Sully
Drama/Biografie
Auf dem Papier sah „Sully“wie ein echter Oscar-Kandidat aus: Hollywood-Legende Clint Eastwood auf dem Regiestuhl, Schauspielgott Tom Hanks in der Hauptrolle und die unglaubliche Heldengeschichte des US-Airways-Piloten Chesley Sullenberger und seiner beispiellosen Notlandung auf dem Hudson River als Story-Vorlage. Dass die filmische Nacherzählung des Unglücks mit glücklichem Ausgang am Ende nur in einer technischen Kategorie nominiert war, kann nur an der stärkeren Konkurrenz gelegen haben. Denn anders lässt es sich nicht erklären, dass Eastwoods und Hanks erste Zusammenarbeit nicht weiter gewürdigt wurde. „Sully“ist ein packend inszeniertes und dennoch äußerst menschliches Drama geworden, das nicht nur die Story, die wir alle kennen, auf eindrucksvolle Art und Weise zeigt, sondern sich auch auf die Nachwirkungen des „Wunders vom Hudson“konzentriert. Nämlich auf die Geschichte, die fast gar nicht in der Öffentlichkeit stattfand: Sullenbergers Kampf um seine berufliche Integrität und die Suche nach der Antwort auf die Frage: Ist er ein Held oder doch ein Betrüger, der das Leben seiner Passagiere fahrlässig aufs Spiel gesetzt hat?
Held wider Willen
Was am 15. Januar 2009 in New York City passiert ist, dürfte jedem noch im Gedächtnis sein: Ein Flugzeug mit 150 Passagieren und fünf Crew-Mitgliedern an Bord stößt kurz nach dem Start mit einem Vogelschwarm zusammen, wodurch beide Triebwerke zerstört werden. Ohne Antrieb bleibt den Piloten Chesley „Sully“Sullenberger (Tom Hanks) und Jeff Skiles (Aaron Eckhart) keine andere Wahl, als eine Notwasserung im Hudson zu versuchen. Wie durch ein Wunder gelingt das spektakuläre Manöver und alle 155 Insassen werden wenig später aus dem eisigen Fluss gerettet. Während „Sully“nun durch zahlreiche Interviews getrieben – und öffentlich als Held gefeiert wird, starten die US-Behörden und die Versicherung der Airline eine Untersuchung, die zeigt, dass das Flugzeug problemlos auf einem der nahegelegenen Flughäfen hätte landen können. Für Sullenberger beginnt daraufhin ein Kampf um seine Reputation und seine Karriere. Clint Eastwood hat mit „Sully“absichtlich keine klassische Biografie abgeliefert, sondern lieber ein behutsames Charakterportrait eines Mannes geschaffen, der von fast allen als Held gesehen wird und dennoch das verteidigen muss, was er getan hat. Auch wenn der Konflikt etwas konstruiert wirkt – der Film zelebriert pure Professionalität im Angesicht unmittelbarer Gefahr, und das ohne eine Spur von Pathos, sondern mit ehrfürchtiger Ehrlichkeit. Hanks Talent, unfreiwillige Helden zu spielen, kommt hier wieder voll zum Tragen. Mit seiner Darstellung des demütigen und gleichzeitig willensstarken Captain Sullenberger trifft er sowohl in den leisen als auch in den lauten Momenten des Films immer ins Schwarze.
Die Inszenierung der eigentlichen Notlandung und der anschließenden Rettungsaktion geschieht ebenfalls ohne die typische Effekthascherei und gehört dennoch zum Besten, was man seit langem gesehen hat. Technisch ist der Film sowieso über jeden Zweifel erhaben. Der nahezu fehlerfreie Dolby-Atmos-Sound lässt gerade bei der Notlandung ordentlich die Muskeln spielen und wirft einen mitten rein ins Geschehen des Beinah-Unglücks, das der Film zu jeder Zeit aus allen nur möglichen, emotionalen Blickwinkeln beeindruckend einfängt. Die Academy hat „Sully“vielleicht übergangen, Sie sollten es definitiv nicht tun.