Paterson
Jim Jarmuschs neuester Film zeigt eine Woche aus dem Leben eines Ex-Soldaten (sympathisch gespielt von „Star Wars“-Bösewicht Adam Driver), der mit seiner wunderschönen Künstler-Freundin einen Alltag als Busfahrer und Gelegenheitsdichter verlebt – Nicht mehr und nicht weniger. Hier geht es um Alltag in seiner reinsten und langweiligsten Form … und um die kleinen Dinge, die das Ganze dann doch wieder zu etwas Besonderem machen. Der Protagonist heißt genauso wie der Ort (samt Stadt-Historie berühmter Dichter), an dem er den Linienbus durch die Straßen führt. Steht auf, frühstückt, arbeitet, dichtet in der Mittagspause an seinem Lieblingsort, geht nach Hause, begradigt den Briefkasten, führt eine kurze Konversation mit seiner besseren Hälfte, geht mit dem ungeliebten Hund Gassi (eine englische Bulldogge mit einem Knautschgesicht, das das Missfallen in der Beziehung zwischen ihm und Paterson beschreibt), versackt in der Stammkneipe über einem Glas Bier – jeden Tag, ohne Ausnahme. Seine Poesie (der Versuch des mentalen Ausbruchs aus dem Schema) greift Konversationen seiner Fahrgäste und Alltagsgegenstände auf. Es beschreibt genau das, was man als langweilig und bedeutungslos erachten könnte und enthebt es aus der Bedeutungslosigkeit.
Eines seiner ersten im Film vorgetragenen Gedichte dreht sich beispielsweise um Streichhölzer der Marke „Ohio Blue Tip Matches“, die er anhand ihrer Funktion, ihrer Entstehung und ihres Nutzens zu echter Liebes-Lyrik romantisiert. Wer sich nun fragt, woher die vier im Film gezeigten Gedichte stammen, der erhält die Antwort Ron Padgett, der sich seit den 1960ern mit der Dichtkunst befasst und natürlich aus Ohio stammt. Wer den Film im englischen Originalton schaut, bekommt die Gedichte so zu hören, wie sie im Versmaß und in der Klangmelodie gemeint sind. Die deutsche Tonspur legt einfach eine Übersetzung über die englisch geschriebenen Verse, was in dem Fall der beste Kompromiss war.
Tristesse und Schönheit des Alltags
Flüchtige Begegnungen und kurze Augenblicke, die das Potenzial haben, dem Alltagstrott etwas Aufregendes zu entlocken, sind schnell wieder unter Kontrolle gebracht, weshalb die Genre-Bezeichnung des Dramas oder auch der Tragikomödie vielleicht zu weit hergeholt wirkt. Aber genau das ist eigentlich auch schon das Drama, dass es keins gibt in dem Leben eines Mannes, der mit jeder Situation fertig werden könnte, nur dass es einfach keine solche Ausnahmesituation gibt. Was bleibt, sind eine Handvoll vergänglicher Alltagsgedichte, die auch von einem kleinen Mädchen stammen könnten, wie Paterson feststellt, und die einzig und allein für den Moment existieren. Seine Freundin Laura (Golshifteh Farahani), eine naive Träumerin, die den ganzen Tag über Selbstfindung betreibt und ihren eigenen Look sucht und findet sowie natürlich ihren Träumen hinterher jagt, scheint das genaue Gegenteil von ihm zu sein. Alles im allen hat der Film sämtliche Ingredienzen, die Jim-Jarmusch-Fans so mögen, ohne den Anspruch erheben zu wollen, den Zuschauer durch Action oder überzogene Skurrilitäten unterhalten zu wollen. Seien es nun die beliebten kurzen Gastauftritte von Jarmusch-Buddys wie Method Man vom Wu-Tang-Clan und dem japanischen Schauspieler Masatoshi Nagase oder die kleinen eingestreuten Details, wie die überall auftauchenden Zwillinge, die direkt Lauras Träumen entsprungen zu sein scheinen – „Paterson“bleibt bodenständig, authentisch und dennoch phantastisch zugleich. Malerische Orte, wie der Wasserfall verlieren nichts von ihrem Zauber, nur weil sie jetzt mitten in der Stadt liegen und der Busfahrer in der Mittagspause seine Brotbüchse dort entfaltet. Im Gegenteil. Es ist ein Stück Freiheit im ewigen Alltagstrott, die wohltuende Sonne auf sich scheinen zu lassen und die Schönheit aktiv wahrzunehmen. Durch diese Bilder scheint sich die Beziehung zum eigenen Alltag des Film-Zuschauers ebenfalls zu verändern, wobei hier allerdings bei allem Lob auch eine Warnung ausgesprochen werden soll: Wer einen Unterhaltungsfilm oder gar eine Komödie mit herausstechenden Pointen und explizitem Humor erwartet, wird extrem enttäuscht sein. Die Handlung des Films besticht durch ihre Abwesenheit, weshalb selbst der Protagonist richtig aufblüht, wenn sich auch nur die kleinste Chance auf eine Extremsituation auftut. Dies und das offene Ende macht Jarmuschs aktuelles Werk zu einem Spiegel des Zuschauers, weshalb der Effekt und der Unterhaltungswert zum größten Teil auch vom Betrachter abhängt.