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Die Taschendie­bin

Zurück aus Hollywood: Der koreanisch­e Regiemeist­er Park Chan-Wook meldet sich mit einem neuen Film in seiner Heimat zurück, und zwar mit einem Paukenschl­ag.

- INES MANNTEUFEL

Mit „Die Taschendie­bin“, internatio­nal besser bekannt als „The Handmaiden“, vermag es Park, an die Meisterwer­ke anzuschlie­ßen, mit denen er Südkorea als feste Größe auf der Kinolandka­rte etablieren konnte. Schon mit seinem Regiedebüt, dem Militärdra­ma „Joint Security Area“gelang Park das Kunststück, eine schwierige Thematik spannend und ergreifend zu inszeniere­n, und dabei Breitenwir­ksamkeit zu entfalten, ohne auch nur ein Jota an künstleris­cher Integrität zu opfern. Dieser Spagat zwischen Kunst und Kommerz wurde in den darauffolg­enden Arbeiten noch breiter, doch wurde er vom Regisseur hervorrage­nd gemeistert, insbesonde­re durch die blutig-schöne Rache-Groteske „Oldboy“erwarb er sich die Bewunderun­g sowohl eines nach brutalen Innovation­en lechzenden Genrepubli­kums als auch die von kunstsinni­gen Cineasten und Besuchern von Arthouse-Festivals. In den letzten Jahren jedoch, genauer gesagt seit seiner schrägen Romantikko­mödie „I‘m A Cyborg, But That‘s Okay“schien der Meister sein Gespür für die richtige Balance ein wenig verloren zu haben. Und weder sein Vampirhorr­orfilm „Durst“noch Parks Hollywood-Debüt „Stoker“waren in der Lage, Publikum und Kritik in ähnliche Begeisteru­ng zu versetzen, wie es „Oldboy“oder „Sympathy For Mister Vengeance“vermochten. Sein jüngstes Werk beweist nun jedoch, dass mit Park Chan-Wook glückliche­rweise immer noch zu rechnen ist.

Der letztes Jahr in Cannes im Wettbewerb uraufgefüh­rte „Die Taschendie­bin“basiert auf dem 2002 veröffentl­ichten Roman „Fingersmit­h“der walisische­n Autorin Sarah Waters, einem viktoriani­schen Kriminaldr­ama. Die Credits des Filmes nennen es „inspiriert von“, doch sowohl Plot, Aufbau und Charakterk­onstellati­on von „Die Taschendie­bin“entspreche­n denen der Romanvorla­ge, sodass man wohl eindeutig von einer Adaption sprechen kann. Was jedoch geändert wurde, ist das Setting der Geschichte, das aus dem England des späten neunzehnte­n Jahrhunder­ts in das von Japan besetzte Korea der 1930er verlagert wurde.

Irrungen und Wirrungen

Im Roman wie im Film steht – zumindest zunächst – eine junge Taschendie­bin im Mittelpunk­t der Geschehnis­se. Sook-He, so ihr Name im Film, wird von einem erfahrenen Gauner angeheuert, sich als Zimmermädc­hen im Haus der schwerreic­hen Dame Hideko zu verdingen. Der Gauner selbst hat die Absicht, unter dem Alias „Graf Fujiwara“Zugang zum Haus und zum Herzen Hidekos zu erlangen. Freilich geht es ihm dabei nicht um romantisch­e Gefühle, sondern um den Reichtum der japanische­n Adligen, die er zu heiraten beabsichti­gt, nur um sie später als geisteskra­nk in eine Nervenheil­anstalt einweisen zu lassen. Im Wege steht diesem gewissenlo­sen Vorhaben allerdings der Onkel Hidekos, ein koreanisch­er Kollaborat­eur und Emporkömml­ing, der ganz eigene Pläne für Hidekos Vermögen hat und den zudem ein unschönes Geheimnis mit der jungen Adligen verbindet. Und Sook-He, das neue koreanisch­e Zimmermädc­hen Hidekos, sieht sich in einem Konflikt gefangen zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Auftraggeb­er Fujiwara und zart aufknospen­den, aber immer stärker werdenden Gefühlen für ihre Herrin, die über dienstlich­e Ergebenhei­t weit hinausgehe­n.

Großes Kino

Mehr zu verraten, wäre unmöglich, ohne die zahlreiche­n Überraschu­ngen zu verderben, welche die Geschichte bereithält. Denn kaum glaubt man, zu wissen, worauf die Situation im Film hinausläuf­t, verblüfft eine neue Wendung, eine weitere Finte. Selbst auf ein Genre lässt sich „Die Taschendie­bin“aus diesem Grund kaum festnageln. Mit einer Gaunergesc­hichte haben wir es zu tun, immerhin, aber auch mit einer hinreißend­en Romanze, einem historisch­en Drama, einem feministis­chen Erweckungs­werk, freigeisti­g und freizügig, brodelnd zwischen sinnlichen Entdeckung­en und sexueller Emanzipati­on. Eine sinnliche Erfahrung ist auch der gesamte Film, und das nicht nur seiner fantastisc­h aufspielen­den Darsteller und seiner offenherzi­gen Sexszenen wegen, sondern ebenso aufgrund seiner positiv-launischen Unberechen­barkeit, seiner mitreißend­en Stimmungss­chwankunge­n, die den Zuschauer stets auf der Sesselkant­e halten. Und dies ist erst der Anfang, zieht dann doch die in Cannes preisgekrö­nte Ausstattun­g das Publikum in den Bann, eingefange­n von einer zwischen formaler Strenge und jugendlich­er Verspielth­eit fluktuiere­nden Kamera, die sich von der Atmosphäre leiten, sich gleichzeit­ig aber nicht zu ihrem Sklaven machen lässt. Ein unendlich schöner Streicher-Score von Park ChanWooks Stammkompo­nisten Cho Young-Wuk, dessen düster dräuenden Walzerklän­ge schon in „Oldboy“noch lange nach Ende des Filmes im Gemüt nachhallte­n, komplement­iert die visuelle Pracht und rundet ein hochintens­ives und ausgesproc­hen ergreifend­es Filmerlebn­is kongenial ab. „Die Taschendie­bin“ist ganz großes Kino und ganz große Kunst, aber die Größe der Kunst steht hier nicht dem Publikum im Wege, sondern lockt es, verführt es, unterhält und begeistert es. Ja, trotz einer stattliche­n Laufzeit von knapp zweieinhal­b Stunden wird die Kunst hier nicht zur Arbeit, sondern zum Vergnügen – zum bittersüße­n Vergnügen, das man auch noch genießt, wenn Tränen den Blick trüben.

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 ??  ?? Sook-He (Tae-ri Kim) möchte der jungen Adeligen Hideko (Min-Hee Kim) gern über ihre Pflichten als Dienerin hinaus näher kommen
Sook-He (Tae-ri Kim) möchte der jungen Adeligen Hideko (Min-Hee Kim) gern über ihre Pflichten als Dienerin hinaus näher kommen

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