Vaxxed – Die schockierende Wahrheit?
Die Debatte darüber, ob man seine Kinder impfen lassen sollte, wird spätestens seit den vermehrten Ausbrüchen von Masern in den letzten Jahren erhitzt geführt. Ein Film, der einen sinnvollen Beitrag zu dieser Diskussion leisten will, sollte also komplett auf Fakten basiert, nachvollziehbar und auf sachliche Art deeskalierend gestaltet sein. Eine Aufschrift auf dem Cover von „Vaxxed“lautet „Der Film, der nicht gesehen werden darf“, der Titelzusatz im Original „From Cover-Up to Catastrophe“(von der Vertuschung zur Katastrophe). Das lässt aufgrund seiner reißerischen Formulierung bereits vermuten, dass „Vaxxed“nicht dieser objektive Beitrag sein wird.
Vielleicht sind mit Ersterem aber auch Reaktionen auf die Veröffentlichung des Films gemeint, denn sowohl beim Tribeca Film Festival als auch bei anderen geplanten Vorführungen wurde der Film aufgrund von Protesten nicht gezeigt. Nun erscheint er auf Blu-ray für jeden käuflich. „Vaxxed“ basiert auf der Geschichte des Whistleblowers Dr. William Thompson, ein Insider bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC. Es soll bewiesen werden, dass die CDC (Centers for Disease Control) Zahlen vertuscht hat, die zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln und einem vermehrten Auftauchen von Autismus geben soll. Dazu gewagte These aufgestellt, dass bis 2032 angeblich jedes zweite geimpfte Kind in den Vereinigten Staaten autistisch sein soll.
Macher als „Quellen“
Neben der Stimme des Whistleblowers (er selbst tritt nicht auf), emotionalen Beiträgen von Eltern autistischer Kinder und Aussagen des Medizinjournalisten Del Bigtree (Produzent des Films) kommt vor allem Drehbuchautor und Regisseur Andrew Wakefield selbst zu Wort. Als Macher gekennzeichnet sind die beiden im Film nicht. Wakefield ist kein unbeschriebenes Blatt: Er veröffentlichte als Mediziner 1998 einen impfkritischen Beitrag in der medizinischen Zeitschrift „The Lancet“(der später von der Zeitschrift zurückgezogen wurde) über den vermeintlichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen ließen sich nicht reproduzieren, gelten längst als widerlegt und Wakefield hat in Großbritannien Berufsverbot. Des Weiteren wurde 2004 bekannt, dass er vor der Veröffentlichung die Summe von 55 000 britischen Pfund von Anwälten erhalten hatte, die die Eltern autistischer Kinder vertraten.
Was wir wissen
Als Filmkritiker ohne medizinische Vor- und Fachkenntnisse kann man zum medizinischen Teil der Doku nur schwer eine fachkundige Aussage machen. Zur Machart hingegen kann man sich äußern. Zunächst sollte klar sein, dass grundsätzlich Patienten über mögliche Nebenwirkungen von Impfungen gründlich informiert werden sollten. Und natürlich darf man Pharmakonzerne und Behörden hinterfragen. Worüber man in der Doku allerdings nicht informiert wird, sind die Gefahren die vom Nicht-Impfen ausgehen. Stattdessen werden hier kritisch zu sehende Behauptungen aufgestellt. Die Präsentation und Herkunft der Daten und Quellen ist in „Vaxxed“völlig einseitig, und auf eine Art, die es dem Zuschauer nicht nachvollziehbar macht, wie er die Informationen selbst verifizieren kann. Dazu ist der Film sehr emotionsgeladen, anstatt einen professionell-objektiven Ton zu wählen. Vorhandene Studien, die Wakefields Thesen widerlegen, bleiben unerwähnt. Eine Dokumentation, die nicht nur einen vermeintlichen Skandal aufdecken will, sondern versucht, alle Seiten zu beleuchten und auch darauf aufmerksam macht, dass die Masern bis heute durchaus eine tödliche Krankheit sein können, ist dieser Film leider nicht. Und zu weniger Stigmatisierung von Menschen mit der Diagnose Autismus trägt er in seiner Machart sicherlich auch nicht bei.