THE PEOPLE V. O.J. SIMPSON
Seit dem Doku-Hit „Making A Murderer“sind wahre Kriminalgeschichten wieder im Trend. FX’ preisgekrönte erste Staffel von „American Crime Story“schlägt genau in diese Kerbe und behandelt den wohl kontroversesten Promi-Mordprozess aller Zeiten. Das Ergebnis
Eigentlich hätte „American Crime Story: The People v. O.J. Simpson“nicht funktionieren dürfen, da jeder, der in den 90ern nicht unter einem Stein gelebt hat, weiß, wie der Prozess gegen den ehemaligen Football-Star und Schauspieler O. J. Simpson ausgegangen ist. Und selbst der Weg zu diesem umstrittenen Urteil dürfte zumindest in den USA jedem geläufig sein. Schließlich dominierte die Story dort fast ein Jahr lang die Nachrichten: Von der ersten Verhaftung, über Simpsons Flucht über den Freeway bis hin zur täglichen Live-Übertragung der Verhandlung und den dazugehörigen Skandalen. Fast jede Facette des Prozesses ist bis heute im kollektiven Gedächtnis. Dass „The People v. O.J. Simpson“trotzdem begeistert, liegt nicht nur am überaus clever geschriebenen Skript, den fantastischen Leistungen des gesamten Ensembles und einem erstklassigen Produktionsdesign. Nein, die Serie vollbringt noch ein zweites Wunder – sie ist mit ihren Themen wie Rassismus, Gleichberechtigung und falscher Promiverehrung wieder aktueller denn je.
Spektakel v. Justiz
In den zehn einstündigen Episoden geht es um mehr, als nur um O.J. Simpson (Cuba Gooding Jr.), der 1994 des Mordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown und dem Kellner Ron Goldman beschuldigt wird. Die Serie zeigt, wie es Simpsons Anwälten Robert Kardashian (David Schwimmer), Robert Shapiro (John Travolta) und Johnnie Cochran (Courtney B. Vance) gelungen ist, den Doppelmord zur Nebensache zu erklären und stattdessen Polizeigewalt, Rassismus und Verschwörungen gegen den Football-Star zum Gegenstand des Prozesses und der gewaltigen medialen Berichterstattung werden zu lassen. Und das, obwohl die engagierten Staatsanwälte Marcia Clark (Sarah Paulson) und Christopher Darden (Sterling K. Brown) mehr als genug Beweise für eine Verurteilung hatten. Doch dieser Prozess wurde eben nicht mit harten Fakten geführt, sondern mit Emotionen und Meinungen.
Fakt v. Fiktion
Den Drehbuchautoren Larry Karaszewski und Scott Alexander ging es nicht darum, O.J. Simpson neu zu verurteilen. Die Produzenten machen zwar deutlich, dass der Ex-Football-Profi ihrer Meinung nach schuldig ist, sprechen es aber nie offen aus. Stattdessen ergründet die Serie auf eindrucksvolle Art, warum es trotz enormer Beweislast zum kuriosen Urteil kam und wie die Suche nach Gerechtigkeit immer unwichtiger wurde. Ryan Murphy und seine Regie-Kollegen fokussieren sich in jeder Episode dabei auf einen anderen Aspekt des Prozesses und geben so einen detaillierten Einblick in die Gedanken und Strategien der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung. Aber auch Nebenschauplätze wie die Familien der Opfer, der unfassbare Medienzirkus, die Rolle der Geschworenen und natürlich O.J. Simpson selbst werden behandelt. Die Serie lässt dabei stets Raum für Zweifel auf beiden Seiten und spielt mit dieser ambivalenten Wahrnehmung, was das unausweichliche Ende umso moralisch fragwürdiger erscheinen lässt. Was „The People v. O. J. Simpson“aber zu dem Serienerlebnis der letzten Jahre macht, sind die herausragenden Schauspielleistungen. Selbst kleine Rollen haben eine emotionale Komplexität, die man sehr selten findet. Dennoch sind es Leistungen wie die von Sarah Paulson, die herausstechen. Das breite, emotionale Spektrum, das sie als idealistische Staatsanwältin Marcia Clark an den Tag legt, ist schlicht beeindruckend und hat ihr nicht umsonst zahlreiche Awards beschert. Aber auch Brown, Vance und Travolta portraitieren ihre realen Vorbilder meisterhaft. David Schwimmer fängt als Robert Kardashian die innere Zerrissenheit in der Schuldfrage nuanciert ein und übernimmt damit quasi die Rolle der Zuschauer. Dass bei all dem gerade Cuba Gooding Jr.s durchweg solide Performance von O. J. Simpson etwas hinten runter fällt, entbehrt da nicht einer gewissen Ironie. Doch wie im Prozess selbst, so geht es eben auch in der Serie eigentlich nicht um den Angeklagten, sondern mehr um das gesamte Drumherum.
Substanz v. Stil
Inszenatorisch hat die erste Staffel „American Crime Story“hierbei alles richtig gemacht. Die dynamische Kameraarbeit, die punktgenau nachgestellten Prozessaufnahmen und der stimmige Soundtrack überzeugen. Die Technik kann da nicht ganz mithalten. Zwar ist die Detailschärfe sehr hoch, dafür leiden der Kontrast und die Farbgebung manchmal unter dem anvisierten 90erVHS-Stil. Der Sound bietet ebenfalls wenig Dynamik, kann aber mit seinen glasklar abgemischten Dialogen punkten. Bei den Extras gibt es unter anderem ein Making-Of. „The People v. O. J. Simpson“ist eine Ausnahme-Serie, die die Latte für die kommenden Staffeln sehr hoch gelegt hat.