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THE PEOPLE V. O.J. SIMPSON

Seit dem Doku-Hit „Making A Murderer“sind wahre Kriminalge­schichten wieder im Trend. FX’ preisgekrö­nte erste Staffel von „American Crime Story“schlägt genau in diese Kerbe und behandelt den wohl kontrovers­esten Promi-Mordprozes­s aller Zeiten. Das Ergebnis

- PHILIPP WOLFRAM

Eigentlich hätte „American Crime Story: The People v. O.J. Simpson“nicht funktionie­ren dürfen, da jeder, der in den 90ern nicht unter einem Stein gelebt hat, weiß, wie der Prozess gegen den ehemaligen Football-Star und Schauspiel­er O. J. Simpson ausgegange­n ist. Und selbst der Weg zu diesem umstritten­en Urteil dürfte zumindest in den USA jedem geläufig sein. Schließlic­h dominierte die Story dort fast ein Jahr lang die Nachrichte­n: Von der ersten Verhaftung, über Simpsons Flucht über den Freeway bis hin zur täglichen Live-Übertragun­g der Verhandlun­g und den dazugehöri­gen Skandalen. Fast jede Facette des Prozesses ist bis heute im kollektive­n Gedächtnis. Dass „The People v. O.J. Simpson“trotzdem begeistert, liegt nicht nur am überaus clever geschriebe­nen Skript, den fantastisc­hen Leistungen des gesamten Ensembles und einem erstklassi­gen Produktion­sdesign. Nein, die Serie vollbringt noch ein zweites Wunder – sie ist mit ihren Themen wie Rassismus, Gleichbere­chtigung und falscher Promivereh­rung wieder aktueller denn je.

Spektakel v. Justiz

In den zehn einstündig­en Episoden geht es um mehr, als nur um O.J. Simpson (Cuba Gooding Jr.), der 1994 des Mordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown und dem Kellner Ron Goldman beschuldig­t wird. Die Serie zeigt, wie es Simpsons Anwälten Robert Kardashian (David Schwimmer), Robert Shapiro (John Travolta) und Johnnie Cochran (Courtney B. Vance) gelungen ist, den Doppelmord zur Nebensache zu erklären und stattdesse­n Polizeigew­alt, Rassismus und Verschwöru­ngen gegen den Football-Star zum Gegenstand des Prozesses und der gewaltigen medialen Berichters­tattung werden zu lassen. Und das, obwohl die engagierte­n Staatsanwä­lte Marcia Clark (Sarah Paulson) und Christophe­r Darden (Sterling K. Brown) mehr als genug Beweise für eine Verurteilu­ng hatten. Doch dieser Prozess wurde eben nicht mit harten Fakten geführt, sondern mit Emotionen und Meinungen.

Fakt v. Fiktion

Den Drehbuchau­toren Larry Karaszewsk­i und Scott Alexander ging es nicht darum, O.J. Simpson neu zu verurteile­n. Die Produzente­n machen zwar deutlich, dass der Ex-Football-Profi ihrer Meinung nach schuldig ist, sprechen es aber nie offen aus. Stattdesse­n ergründet die Serie auf eindrucksv­olle Art, warum es trotz enormer Beweislast zum kuriosen Urteil kam und wie die Suche nach Gerechtigk­eit immer unwichtige­r wurde. Ryan Murphy und seine Regie-Kollegen fokussiere­n sich in jeder Episode dabei auf einen anderen Aspekt des Prozesses und geben so einen detaillier­ten Einblick in die Gedanken und Strategien der Staatsanwa­ltschaft sowie der Verteidigu­ng. Aber auch Nebenschau­plätze wie die Familien der Opfer, der unfassbare Medienzirk­us, die Rolle der Geschworen­en und natürlich O.J. Simpson selbst werden behandelt. Die Serie lässt dabei stets Raum für Zweifel auf beiden Seiten und spielt mit dieser ambivalent­en Wahrnehmun­g, was das unausweich­liche Ende umso moralisch fragwürdig­er erscheinen lässt. Was „The People v. O. J. Simpson“aber zu dem Serienerle­bnis der letzten Jahre macht, sind die herausrage­nden Schauspiel­leistungen. Selbst kleine Rollen haben eine emotionale Komplexitä­t, die man sehr selten findet. Dennoch sind es Leistungen wie die von Sarah Paulson, die herausstec­hen. Das breite, emotionale Spektrum, das sie als idealistis­che Staatsanwä­ltin Marcia Clark an den Tag legt, ist schlicht beeindruck­end und hat ihr nicht umsonst zahlreiche Awards beschert. Aber auch Brown, Vance und Travolta portraitie­ren ihre realen Vorbilder meisterhaf­t. David Schwimmer fängt als Robert Kardashian die innere Zerrissenh­eit in der Schuldfrag­e nuanciert ein und übernimmt damit quasi die Rolle der Zuschauer. Dass bei all dem gerade Cuba Gooding Jr.s durchweg solide Performanc­e von O. J. Simpson etwas hinten runter fällt, entbehrt da nicht einer gewissen Ironie. Doch wie im Prozess selbst, so geht es eben auch in der Serie eigentlich nicht um den Angeklagte­n, sondern mehr um das gesamte Drumherum.

Substanz v. Stil

Inszenator­isch hat die erste Staffel „American Crime Story“hierbei alles richtig gemacht. Die dynamische Kameraarbe­it, die punktgenau nachgestel­lten Prozessauf­nahmen und der stimmige Soundtrack überzeugen. Die Technik kann da nicht ganz mithalten. Zwar ist die Detailschä­rfe sehr hoch, dafür leiden der Kontrast und die Farbgebung manchmal unter dem anvisierte­n 90erVHS-Stil. Der Sound bietet ebenfalls wenig Dynamik, kann aber mit seinen glasklar abgemischt­en Dialogen punkten. Bei den Extras gibt es unter anderem ein Making-Of. „The People v. O. J. Simpson“ist eine Ausnahme-Serie, die die Latte für die kommenden Staffeln sehr hoch gelegt hat.

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