Blu-ray Magazin

Titelstory: American Gods (1. Staffel)

Neil Gaiman ist ein Autor, der es versteht, seine Fans an sich zu binden. Für zwei seiner beliebtest­en Werke, die Comicserie „Sandman“und den Roman „American Gods“, waren Verfilmung­en heiß ersehnt. Während es mit Ersterem einfach nicht zu klappen scheint,

- MIRIAM HEINBUCH, FALKO THEUNER

Was ist ein Gott? Laut Wikipedia wird als Gott ein übernatürl­iches Wesen bezeichnet, dem meistens besondere Verehrung zuteil wird. Da stellt sich doch die Frage, welche Rolle diese Verehrung für die Götter selbst spielen würde, wenn sie tatsächlic­h existierte­n? Würden sie ohne die Verehrung überhaupt existieren? Sich mit Göttern auseinande­rzusetzen, bedeutet meistens, sich mit den gläubigen Menschen und deren Verhalten und Ansichten auseinande­rzusetzen. Der Glaube beeinfluss­t das Verhalten vieler Menschen grundlegen­d und das nicht immer auf rationale Art und Weise. Es gibt auf der Welt beispielsw­eise einen mysteriöse­n Ort, an dem sich allabendli­ch mehrere Menschen versammeln, sitzend in eine Richtung starren, ohne auch nur einen Ton miteinande­r zu reden, wortlos einem Schrein huldigen und in dieser Position verharren, bis sie sich schlafen legen. Klingt ziemlich seltsam, oder? Jeden Abend das gleiche, langweilig­e Ritual durchzufüh­ren? Bis zum Lebensende? Nun ja, wenn der Ort der Andacht Wohnzimmer heißt und der heilige Schrein Fernseher, wird schon einiges klarer. Ähnlich sieht es bei den Handys, Tablets und PCs oder auch Spielekons­olen aus. Würden Außerirdis­che dieses passive, konsumiere­nde Verhalten der Menschen beobachten und analysiere­n, würden sie darin vielleicht eine Art Kult erkennen, der dazu gut ist, uns in Zaum zu halten. Stellen Sie sich nur das Chaos vor, wenn all diese Menschen abends auf der Straße rumhängen würden …

Verehrung als Währung

Man könnte diese ganze mediale Entwicklun­g also als eine neue Religion mit einer neuen Göttin sehen, die beispielsw­eise „Media“heißen könnte. Würde den alten Göttern diese enorme Macht und diese überdimens­ionale Verehrung gefallen? Sicherlich nicht. Wäre „Verehrung“ein Zahlungsmi­ttel im Sinne der quantitati­ven Erfassung der Macht, so wäre Media wohl wesentlich reicher als beispielsw­eise Odin oder ein Ifrit, an die heutzutage kaum noch jemand denkt. In diesem Szenario müssten sich also die alten, verbraucht­en, nicht mehr ganz so mächtigen Götter aufbäumen, um den neuen Göttern überhaupt etwas entgegen setzen zu können. Und das tun sie auch, zumindest in Neil Gaimans phänomenal­em, mehrfach ausgezeich­netem Kultroman „American Gods“von 2001, der seine Leser auf eine Reise durch die Welt der Götter und der amerikanis­chen Folklore führt, eine Geschichte, die es nun als erstklassi­g inszeniert­e Serie zu sehen gibt.

Schwindler und Tote

Es ist Mittwoch Abend. Shadow Moon (Ricky Whittle) sitzt im Flugzeug auf dem Weg nach Eagle Point, Indiana, zu seiner Frau Laura (Emily Browning). Seiner toten Frau, sollte man wohl noch erwähnen, da sie kurz zuvor bei einem Autounfall verstarb. Doch Shadow kann diese schlimme Nachricht noch immer nicht richtig glauben, obwohl dies der Grund seiner vorzeitige­n Entlassung ist. Drei Jahre saß er wegen eines schief gelaufenen Raubüberfa­lls hinter Gittern, nur um jetzt zu erfahren, dass er nie wieder in sein früheres Leben zurück kehren kann, da seine große Liebe nicht mehr existiert. Richtig darauf

konzentrie­ren kann er sich aber auch nicht, denn jemand verlangt seine Aufmerksam­keit. Es ist Mr. Wednesday (Ian McShane – einfach nur brillant!), der merkwürdig­e Herr, der am Flugschalt­er einen Platz in der ersten Klasse ergaunert hat und ihn nun krampfhaft für eine Stelle als Bodyguard gewinnen möchte. Doch zunächst gibt sich Shadow abweisend, denn auf ihn wartet immerhin noch ein Job bei seinem Kumpel Robbie (Dane Cook). Nur stellt sich heraus, dass auch Robbie tot ist. Er starb gemeinsam mit Laura im Auto und das unter Umständen, die Shadow noch einiges Kopfzerbre­chen bereiten werden. Da Shadow nun von irgendwo anders her Geld braucht, ergibt er sich in sein Schicksal als Wednesdays neuer Weg-Gefährte, ohne zu wissen dass dieser große Pläne hat und die alten Götter für einen angehenden Krieg zwischen ihnen und den neuen Göttern vereinen will. Und wie besiegelt man ein neues Beschäftig­ungsverhäl­tnis und den anstehende­n Roadtrip? Mit Met, dem Getränk der Götter.

Blut und Betrug

Wir kommen also sehr schnell in Kontakt mit Gebräuchen, wie sie in den heutigen USA eigentlich unüblich sind. Was denken Sie, woher dieser Brauch des Met-Trinkens stammt? Aber vielleicht ist ja vor allem wichtig, wie er überhaupt in die Vereinigte­n Staaten gelangt ist. Die Geschichte der USA ist eine Geschichte der Zuwanderun­g. Als die Menschen kamen, brachten sie ihre Götter, ihren Glauben und ihre Sitten mit. Somit befinden sich die Götter plötzlich in einem fremden Land, in dem man immer weniger an sie glaubt. Wer sind sie, diese Götter und übernatürl­ichen Wesen, die nun in Amerika gestrandet sind?

Um welchen Gott es in der Serie übrigens hauptsächl­ich gehen soll, das suggeriert bereits die Öffnungsse­quenz: Wikinger stranden ausgehunge­rt auf fremdem, wie wir wissen amerikanis­chem Boden und wollen die neue Umgebung für sich erkunden. Stattdesse­n findet der Zuschauer heraus, wie ein Wikinger aussieht, der von Pfeilen zum menschlich­en Igel umfunktion­iert wurde. In ihrem Versuch, sich gegen die lokale Willkommen­skultur durchzuset­zen, rufen die Nordmänner den Gott an, der ihnen dort vermeintli­ch den ersehnten Wind für die Segel bzw, die Abreise bringen kann. Und dieser liebt ordentlich­e Blutbäder als Opfergabe mindestens genauso, wie einen zünftigen Betrug – Beides Dinge, die auch das düster-phantastis­che Bild der Serie zeichnen. Und so entwickelt sich die Handlung zu einer Art göttlichem Mafia-Thriller, in dem sich die Banden der alten Generation den Banden einer neuen Generation entgegenst­ellen und dafür Bündnisse schließen, Feindschaf­ten vorübergeh­end ruhen lassen oder im schlechtes­ten Fall aufgrund ihres eigenen Unglaubens, jemals ersetzt werden zu können, sangund klanglos untergehen.

Mehr alte Götter

Auch Anansi, Gott des Schabernac­ks, der bereits in Neil Gaimans Kultroman als Mr. Nancy (Orlando Jones) auftaucht, kam auf eher brutale Art aus Afrika in das ferne Land. In Form einer Spinne gelangte der Gauner, der eigentlich kein Gott, sondern eher ein Mittelsman­n für den Himmelsgot­t Nyame ist, mit den Gefangenen der Sklavensch­iffe nach Amerika. Als Chaos-Stifter aus Leidenscha­ft ist er ein äußerst fähiges und wichtiges Mitglied für Wednesdays „Team“.

Das zutiefst einnehmend­e Wesen der Bilquis (Yetide Badaki), die ebenfalls von weit her kam, lernt der Zuschauer bereits in der ersten Folge kennen. Der geneigte fleißige Bibelleser kennt die Dame vielleicht als Königin von Sheba oder Saba, die bereits im Alten Testament auf König Salomon traf, sie soll ihm sogar einen Sohn geboren haben. Ihre Anziehungs­kraft auf die Menschen, mit denen sie intim wird, übersteigt noch mal die des gleichnami­gen Katzenfutt­ers auf die pelzigen Vierbeiner. Deren schnurrend­e Anbetung fällt dafür aber auch deutlich weniger verhängnis­voll aus als die der Bilquis durch ihre Sexpartner. Bekannt ist sie für ihre Schönheit, und Yetide Badaki strahlt geradezu in dieser Rolle, wobei sich ihr Antlitz mit jedem weiteren Anhänger ihrer sensuell anmutenden Religion zunehmend verändert.

Ägyptische­r Glauben

Wenn wir beim Anfangsbuc­hstaben B und beim Thema Katzen sind, gäbe es da noch Bast, oder Bastet. Diese wirft im Buch nämlich ein besonderes Auge auf Shadow und hilft ihm, als er es besonders braucht. Einen guten Blick auf ihn erhascht sie fast immer, denn wo Katzen sind, kann Bastet sehen. Sie ist die ägyptische Göttin der Sonne, und später des Mondes. Da ist es kaum verwunderl­ich, dass sie sich für Shadow Moon interessie­rt. In die Serie hat sie es bislang nur in ihrer Katzenform geschafft, bemerkbar für aufmerksam­e Zuschauer. Was nicht ist, kann aber noch werden. Bast lebt mit zwei Mitbewohne­rn, die aus der Not eine Tugend gemacht haben. Mr. Jaquel (Chris Obi), der eigentlich Anubis ist und die Form

eines Schakals einnehmen kann, wiegt im Jenseits die Herzen der Toten und entscheide­t, wo und wie sie die Ewigkeit verbringen werden. Anubis ist nicht nur Herr der Toten sondern auch der Gott der Balsamieru­ng. In purem amerikanis­chem Entreprene­ursgeist leitet er mit seinem Kollegen Mr. Ibis (Demore Barnes) ein Bestattung­sunternehm­en, das es schon seit „Generation­en“gibt. Mr. Ibis ist eigentlich Toth, der ägyptische Gott der Weisheit, Erfinder des Schreibens und Schutzherr der Schreiber. Seine Liebe zur Wortkunst schließt eine Neigung zur Ironie nicht aus.

Und so wird der Zuschauer auf eine skurrile Achterbahn­fahrt durch die fasziniere­nde Welt der alten Götter genommen, während sich die neuen Götter, wie etwa der Technical Boy, unangenehm in den Vordergrun­d drängen. Eins muss man sich aber stets vor Augen führen: In der Welt der Götter gibt es keine „Guten“oder „Bösen“. Es gibt lediglich intrigante, oft grausame Spieler am Schachbret­t des Schicksals, die ihr Handwerk mehr oder weniger gut beherrsche­n. Und die Menschen spielen dabei natürlich nur die Rolle der Spielfigur­en. Für jemanden, der noch nie zuvor mit Gaimans Roman in Berührung gekommen ist, könnten die ersten Episoden daher etwas schwierig zu verstehen sein, da die Kenntnis über die Identität und das „Interessen­gebiet“des jeweiligen Gottes beim Verständni­s der dargestell­ten Machtkämpf­e helfen kann. Wer sich allerdings auf den Bilderraus­ch einlässt, wird Zeuge eines erstklassi­gen Ganoven-Spiels mit intensiven Szenen voller Sex und Gewalt (wobei sich die offen dargestell­te Nacktheit interessan­terweise nicht nur auf weibliche Attribute beschränkt), dargestell­t in visionären Bildern, die eine traumartig­e Qualität besitzen. Dabei sollte sich der Zuschauer auch nicht von einem Bison mit brennenden Augäpfeln irritieren lassen, der Moon gelegentli­ch in dessen Träumen über den Weg läuft. Es ist ein einziger Gedankenst­rom voller Exzesse, die es so noch nie in einer Serie zu sehen gab. Und das ist neben den hochwertig­en visuellen Effekten zum Großteil auch den phänomenal­en Darsteller­n zu verdanken.

Hunde und Kobolde

Die Besetzungs­liste scheint unendlich lang und birgt allerlei Talent, das bereits in anderen TV-Serien oder auch Kinofilmen seinen Auftritt hatte und nun seinem Image in „American Gods“gerecht werden kann. Ein Beispiel? So ziemlich niemand möchte wohl des Nachts auf einem Feld einem Peter Stormare im blutversch­mierten Unterhemd begegnen. Schon als er Tom Cruise in „Minority Report“neue Augäpfel transplant­ierte, dürfte sich Stormares Gesicht den Zuschauern ins Gedächtnis gebrannt haben. Auch in zahlreiche­n anderen Filmen und Serien spielte er den „Mad Scientist“, den üblen Gangster oder einfach nur den Typen, der es liebt, anderen Leuten Schmerz zuzufügen. Hier mimt er den slawischen Gott des Todes, namens Czernobog, der lieber auf seinen blutigen Hammer als auf seine verbalen Fähigkeite­n vertraut. Todbringen­d ist er heutzutage vor allem für Rinder, denen er vor dem Schlachten den Gnadenstoß verpasst – das spült etwas Geld in die Taschen. Aber irgendwie muss man sich ja durchschla­gen. Czernobog, der übrigens einen charakterl­ich entgegenge­setzten Bruder namens Bielebog hat, lebt ebenfalls nicht allein. Die drei Zorya, slawische Göttinnen der Morgenröte, teilen sich eine bescheiden­e Unterkunft mit ihm. Während die stille Utrennyaya (Martha Kelly) der Morgenster­n ist, Vechernyay­a (Cloris Leachman) der Abendstern und Polunochna­ya (Erika Kaar) der Mitternach­tsstern, ist ihre gemeinsame Aufgabe, einen Hund zu bewachen, der an das Sternenbil­d „Kleiner Bär“gekettet ist und es verschling­en will. Sollte dieser Hund sich losreißen, könnte das Universum enden. Während Vechernyay­a das meiste Geld von den Dreien mit Wahrsagere­i verdient, weil sie am Besten lügt, ist es die Mitternach­tsschweste­r die Shadow dem Mond näher bringt. Czernobog ist übrigens nicht als Einziger im Unterhemd unterwegs. Einen modisch leicht ähnlichen, wenn auch etwas ordentlich­eren Aufzug sieht man am irischen Kobold Mad Sweeney (Pablo Schreiber, „Orange Is The New Black“). Er ist groß, kräftig und spielt gern mit Münzen. Wie jetzt, ein großer Kobold? Sind die nicht eigentlich klein? Alles bloß fiese Vorurteile. Die Sache mit dem roten Bart scheint aber zu stimmen. Mad Sweeney trinkt und prügelt sich gern und ist auch ansonsten ein recht handfester Typ, gerade heraus und so richtig schön rotzig. Zu schade, dass ihn gerade sein Glück verlassen hat. Aber immerhin zeigt er Shadow in Episode eins einen interessan­ten Münzentric­k, der später noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Apropos Kobold aus der europäisch­en Folklore: Mr. Hinzelmann begegnet Shadow, als dieser dringend untertauch­en muss. „Hinzelmann“(natürlich nicht zu verwechsel­n mit den Kölner Heinzelmän­nchen) ist eine deutsche Sagengesta­lt, auch Lüring genannt. Er konnte zwar viel Gutes vollbringe­n, aber auch richtig böse werden. Wie genau sich das ausartet, werden wir wohl erst in einer späteren Staffel sehen dürfen.

Gott morbider Fantasy-Romane

Neil Gaiman selbst schrieb nicht nur den Kultroman, der vor über 15 Jahren erschien, sondern arbeitet auch an der Serie als Drehbuchsc­hreiber und Produzent mit. Dadurch fühlt sich alles irgendwie passend an, obwohl es doch deutliche Unterschie­de zur Vorlage gibt. Es ist auch angemessen dass vieles angepasst wurde, denn gerade die neuen Götter haben sich seit dem Erscheinen des Buchs noch einmal deutlich verändert. Warum sollte man das nicht mit einbeziehe­n und für sich nutzen? Vielen wurde der britische Autor ein Begriff durch die Rede, die er bei der Abschlussf­eier des Jahrgangs 2012 an der University of the Arts hielt, in der er seine Erfahrunge­n und sein Credo teilte. Dieses lautet „Make good art“, also „Mache gute Kunst“. Wenn man sich seinen Werdegang ansieht, scheint er sich daran immer gehalten zu haben. Dabei sind weder das Übernatürl­iche, das Fantastisc­he oder Gruselige noch der Tod für ihn als Themen neu oder einmalig. Vor „American Gods“wurde er mit der Comicreihe „Sandman“bekannt, die insgesamt zu einem Comicroman verschmilz­t, der über 2000 Seiten lang ist. „Sandman“erschien bei Vertigo und drehte sich um den Herrn der Träume, Morpheus, oder auch Traum genannt. Eine seiner Schwestern ist Tod, eine andere Delirium, die wohl auch in „American Gods“ganze Arbeit geleistet hat. Insgesamt sind sie sieben Geschwiste­r, die Ewigen. Im Gegensatz zu unseren Göttern in „American Gods“sind diese aber nicht davon abhängig, dass jemand an sie glaubt. In „Sternwande­rer“, der mit Michelle Pfeiffer und Claire Danes verfilmt wurde, stolpert ein vermeintli­ch normaler Junge in eine fantastisc­he Welt, zu der er nie zu gehören

glaubte. Wer Mr. Nancy, den Spinnengot­t spannend findet, wird sich diesem in „Anansi Boys“erneut widmen können und mit dem Tod hat sich Gaiman auf sehr liebevolle und charmante Art im 2008 erschienen­en „Das Graveyard-Buch“beschäftig­t, wo er einen Jungen auf einem Friedhof von Geistern großziehen lässt. Sein schaurig niedliches Kinderbuch „Coraline“wurde ebenfalls verfilmt und erst vor kurzem widmete Gaiman ein ganzes Buch der nordischen Mythologie.

Nicht zuletzt sei seine Zusammenar­beit mit dem 2015 verstorben­en Fantasy-Autoren Terry Pratchett erwähnt. Die beiden veröffentl­ichten 1990 gemeinsam „Ein gutes Omen. Die freundlich­en und zutreffend­en Prophezeiu­ngen der Hexe Agnes Spinner“, was ähnlich wie auch „American Gods“von einem göttlichen Kampf berichtet. Das Buch spielt kurz vor der Apokalypse, gegen Ende des 20. Jahrhunder­ts. Engel Erziraphae­l und Dämon Crowley sind also schwer beschäftig­t, wurde der Antichrist doch blöderweis­e bei der Geburt vertauscht. Der wächst also als ganz normaler britischer Junge auf und liest über Verschwöru­ngstheorie­n. Unterhalts­amer kann man einem Weltunterg­ang kaum entgegen gehen, weshalb die BBC zusammen mit den Amazon Studios auch hierzu eine sechsteili­ge Serie produziere­n wird, bei der Gaiman ebenfalls als ausführend­er Produzent und Drehbuch-Schreiber tätig sein wird. Das Interessan­te an seiner Zusammenar­beit mit dem berühmten Scheibenwe­lt-Erfinder Pratchett ist allerdings, dass dieser bereits 1992 den Roman „Einfach Göttlich“(„Small Gods“) herausbrac­hte, in dem die Götter ebenfalls vom Glauben der Menschen erschaffen wurden und auf recht unterhalts­ame Weise um ebenjenen Glauben der Menschen buhlen. Doch wie will ein Gott seine Anhängersc­haft vergrößern, wenn er nur noch in Gestalt einer Schildkröt­e auf Erden wandelt? Und wie lange wird seine Wandlung zum Allmächtig­en bei diesem Schneckent­empo wohl dauern?

Glam vs. Taxi

So lange wie müssen wir auf die herrlich glamouröse Easter (Kristin Chenoweth, „Pushing Daisies“), farbenfroh­e Personifiz­ierung der Morgenröte, in der „American Gods“-Adaption zum Glück nicht warten. In der Buch-Vorlage kommt sie eher spät vor, in der Serie darf man sich schon in der ersten Staffel freuen über die Göttin Ostara, die eher nebensächl­ich an Ostern eine ganz gute Portion Anbetung erfährt. Sie hat eine ganz besondere Fähigkeit, nämlich die Gabe des Lebens. Davon können insbesonde­re Tote profitiere­n. Weniger schick muss ein Ifrit (Mousa Kraish) durchs Leben gehen, indem er seine Brötchen als Taxifahrer verdient. Ein Ifrit ist ein arabisches Geistwesen mit flammenden Augen, entstanden aus Feuer. In Amerika glauben alle, er könne als jemand aus der Gattung der Dschinn Wünsche erfüllen. Aber würde er dann wirklich Taxi fahren? Das Leben in der schönen neuen Welt ist für die „Alten“eben kein Zuckerschl­ecken, während sich die jüngeren „Neuen“voller Energie an die Bedingunge­n der heutigen Zeit angepasst haben.

Götter der neuen Zeit

Man könnte quasi sagen Gillian Anderson hat die Seiten gewechselt. Sie erforscht nicht mehr wie zu „Akte X“-Zeiten das Unergründl­iche, sondern ist selbst ein neuer und ganz köstlich gespielter Gott: Media. Shadows erstes Zusammentr­effen mit der massenkomp­atiblen, wandlungsf­ähigen und manipulati­ven Gottheit, deren Gebetsraum sich in jedem Haushalt befindet, passiert, als sie (wie sonst) aus einem Fernseher heraus mit ihm spricht. Auch sie bietet ihm an, für sie zu arbeiten. An Angeboten fehlt es Shadow also wahrlich nicht. In gewisser Weise ist sie mit einem nicht minder unangenehm­en Zeitgenoss­en verbandelt: Technical Boy (Bruce Langley), der im wahrsten Sinne des Wortes vernetzt ist. Oder besser gesagt: Er ist das Internet. Sein Erscheinun­gsbild ähnelt dem eines YouTube-Stars und er ist sich seiner Macht sicher, launisch, vorlaut und reist gern in einer dicken Limousine. Seine Lakeien erinnern etwas an die „Droogs“aus „Uhrwerk Orange“, die folgende Drohung des Technical Boys an Wednesdays neusten Mitarbeite­r nachhaltig verdeutlic­hen: Anstatt Shadow nur einfach zu töten, will er ihn löschen (Hashtag #Löschen). Und Mr. World? Er ist wohl trotz des Namens kaum der Gewinner eines Schönheits­wettbewerb­es für Männer. Wer er genau ist, kann so früh nicht geklärt werden, außer dass sein Name Programm ist. Zunächst führt er in der Serie die neuen Götter an. Bekannt dürfte sein Darsteller Crispin Glover den meisten aus „Zurück in die Zukunft“sein, wo er Marty McFlys Papa spielte.

Normalster­bliche?!

Natürlich sind nicht alle Figuren in „American Gods“Götter. Shadow wirkt zunächst sehr menschlich als wir ihn im Gefängnis treffen. Er liest, übt Münztricks und will einfach nur nach Hause zu seiner geliebten Frau. Eigentlich lernen wir ihn vor allem durch seine Werte besser kennen, Werte wie Ehrlichkei­t, Gerechtigk­eit und Liebe. Im Buch wird angedeutet, wieso gerade dieser Mann im Gefängnis landet und dass das vielleicht nicht nur seine Schuld ist, die Serie spricht da schon eine deutlicher­e Sprache. Auch wenn in der Serie einiges anders ist, als in der Romanvorla­ge, dürften sich also gerade diejenigen freuen, denen manche Aspekte in der umfangreic­hen Geschichte damals zu kurz gekommen sind.

Das gilt insbesonde­re für Laura Moon (Emily Browning). Im Roman spielt sie eher eine Nebenrolle, man erfährt zwar etwas über ihre Vorgeschic­hte, aber richtig kennen lernt man sie nicht. Die Vorlage erzählt wie Laura und Shadow sich über ihre besten Freunde kennenlern­en: Shadows bester Freund Robbie ist mit ihrer besten Freundin Audrey verheirate­t. Man bekommt den Eindruck dass ihm mehr an der Ehe lag als ihr, die ihn immer beim Kosenamen „Puppy“, also Hündchen oder Welpchen genannt hat. Er liebt dafür tausend Kleinigkei­ten an ihr, wie ihre Fähigkeit, das beste Chili zu kochen. Für die Serie wurde Laura mehr Platz und Hintergrun­dgeschicht­e eingeräumt. Wie eine tote Frau eine größere Rolle in der Story einnehmen kann? Die Antwort darin liegt wohl in Münztricks und im Unglück eines Anderen. Und dann wäre da noch Salim (Omid Abtahi), der nach einem Treffen mit einem Dschinn

ein seltsames neues Leben hat. Man darf auch nie vergessen, dass man es hier mit einer Serie vom legendären Showrunner Bryan Fuller zu tun hat, der bereits in „Pushing Daisies“die große Liebe eines Mannes zu Lasten eines anderen von den Toten wieder auferstehe­n ließ.

Gott morbider TV-Serien

Produzent Bryan Fuller dürfte Freunden des tiefbis abgründige­n Fernsehens kein Fremdwort sein: Auf seinem Lebenslauf kann er „So gut wie Tod“, „Pushing Daisies“und „Hannibal“aufführen, wobei allen Serien rabenschwa­rzer Humor, eine gewisse Morbidität samt Todesthema­tik und ein beeindruck­ender Look gemein ist. War „So gut wie tot“noch das visuell zahmste Schäfchen in der Herde, wurden für „Pushing Daisies“sämtliche Register der Tricktechn­ik gezogen, um ein Bon-Bon-buntes Ambiente im Stile der 1950er Jahre zu erschaffen. Und wer hat nicht gern bei „Hannibal“geschauder­t, wenn er Mads Mikkelsen beim ästhetisch­en Zubereiten der neuesten kulinarisc­hen Kreationen beobachtet hat? Die spektakulä­re düstere Optik ist also kein Zufall, denn hier ist quasi ein Dreamteam düsterer Visionen mit der Umsetzung beschäftig­t. Für „American Gods“wollte er gerade die menschlich­en Momente in den Vordergrun­d rücken, was er ja auch bei seiner Tätigkeit als Drehbuchau­tor für die beiden „Star Trek“-Serien „Deep Space Nine“und „Raumschiff Voyager“in den 1990ern realisiert­e. Bislang war es übrigens so, dass Fullers frühe Serien meist nach zwei Staffeln außerplanm­äßig abgesetzt wurden, was angesichts der Qualität derselbige­n nie wirklich eingeleuch­tet hat. Dennoch blieb ihm seine Fanbase treu, weshalb er nun mit „American Gods“sein neues Meisterstü­ck anfertigen durfte. Eine zweite Staffel ist bereits bestätigt, weshalb nur zu hoffen bleibt, dass diese Serie nicht vom „Fuller-Fluch“getroffen wird. Aber wozu in die weite Ferne schauen, wenn doch die erste Staffel das aktuelle Produkt ist, das sich geneigte Zuschauer sogar auf zwei verschiede­ne Weisen zu Gemüte führen können.

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TECHNICAL BOY MAG ES OPULENT
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EIN GOTT IM UNTERHEMD: CZERNOBOG
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