Titelstory: American Gods (1. Staffel)
Neil Gaiman ist ein Autor, der es versteht, seine Fans an sich zu binden. Für zwei seiner beliebtesten Werke, die Comicserie „Sandman“und den Roman „American Gods“, waren Verfilmungen heiß ersehnt. Während es mit Ersterem einfach nicht zu klappen scheint,
Was ist ein Gott? Laut Wikipedia wird als Gott ein übernatürliches Wesen bezeichnet, dem meistens besondere Verehrung zuteil wird. Da stellt sich doch die Frage, welche Rolle diese Verehrung für die Götter selbst spielen würde, wenn sie tatsächlich existierten? Würden sie ohne die Verehrung überhaupt existieren? Sich mit Göttern auseinanderzusetzen, bedeutet meistens, sich mit den gläubigen Menschen und deren Verhalten und Ansichten auseinanderzusetzen. Der Glaube beeinflusst das Verhalten vieler Menschen grundlegend und das nicht immer auf rationale Art und Weise. Es gibt auf der Welt beispielsweise einen mysteriösen Ort, an dem sich allabendlich mehrere Menschen versammeln, sitzend in eine Richtung starren, ohne auch nur einen Ton miteinander zu reden, wortlos einem Schrein huldigen und in dieser Position verharren, bis sie sich schlafen legen. Klingt ziemlich seltsam, oder? Jeden Abend das gleiche, langweilige Ritual durchzuführen? Bis zum Lebensende? Nun ja, wenn der Ort der Andacht Wohnzimmer heißt und der heilige Schrein Fernseher, wird schon einiges klarer. Ähnlich sieht es bei den Handys, Tablets und PCs oder auch Spielekonsolen aus. Würden Außerirdische dieses passive, konsumierende Verhalten der Menschen beobachten und analysieren, würden sie darin vielleicht eine Art Kult erkennen, der dazu gut ist, uns in Zaum zu halten. Stellen Sie sich nur das Chaos vor, wenn all diese Menschen abends auf der Straße rumhängen würden …
Verehrung als Währung
Man könnte diese ganze mediale Entwicklung also als eine neue Religion mit einer neuen Göttin sehen, die beispielsweise „Media“heißen könnte. Würde den alten Göttern diese enorme Macht und diese überdimensionale Verehrung gefallen? Sicherlich nicht. Wäre „Verehrung“ein Zahlungsmittel im Sinne der quantitativen Erfassung der Macht, so wäre Media wohl wesentlich reicher als beispielsweise Odin oder ein Ifrit, an die heutzutage kaum noch jemand denkt. In diesem Szenario müssten sich also die alten, verbrauchten, nicht mehr ganz so mächtigen Götter aufbäumen, um den neuen Göttern überhaupt etwas entgegen setzen zu können. Und das tun sie auch, zumindest in Neil Gaimans phänomenalem, mehrfach ausgezeichnetem Kultroman „American Gods“von 2001, der seine Leser auf eine Reise durch die Welt der Götter und der amerikanischen Folklore führt, eine Geschichte, die es nun als erstklassig inszenierte Serie zu sehen gibt.
Schwindler und Tote
Es ist Mittwoch Abend. Shadow Moon (Ricky Whittle) sitzt im Flugzeug auf dem Weg nach Eagle Point, Indiana, zu seiner Frau Laura (Emily Browning). Seiner toten Frau, sollte man wohl noch erwähnen, da sie kurz zuvor bei einem Autounfall verstarb. Doch Shadow kann diese schlimme Nachricht noch immer nicht richtig glauben, obwohl dies der Grund seiner vorzeitigen Entlassung ist. Drei Jahre saß er wegen eines schief gelaufenen Raubüberfalls hinter Gittern, nur um jetzt zu erfahren, dass er nie wieder in sein früheres Leben zurück kehren kann, da seine große Liebe nicht mehr existiert. Richtig darauf
konzentrieren kann er sich aber auch nicht, denn jemand verlangt seine Aufmerksamkeit. Es ist Mr. Wednesday (Ian McShane – einfach nur brillant!), der merkwürdige Herr, der am Flugschalter einen Platz in der ersten Klasse ergaunert hat und ihn nun krampfhaft für eine Stelle als Bodyguard gewinnen möchte. Doch zunächst gibt sich Shadow abweisend, denn auf ihn wartet immerhin noch ein Job bei seinem Kumpel Robbie (Dane Cook). Nur stellt sich heraus, dass auch Robbie tot ist. Er starb gemeinsam mit Laura im Auto und das unter Umständen, die Shadow noch einiges Kopfzerbrechen bereiten werden. Da Shadow nun von irgendwo anders her Geld braucht, ergibt er sich in sein Schicksal als Wednesdays neuer Weg-Gefährte, ohne zu wissen dass dieser große Pläne hat und die alten Götter für einen angehenden Krieg zwischen ihnen und den neuen Göttern vereinen will. Und wie besiegelt man ein neues Beschäftigungsverhältnis und den anstehenden Roadtrip? Mit Met, dem Getränk der Götter.
Blut und Betrug
Wir kommen also sehr schnell in Kontakt mit Gebräuchen, wie sie in den heutigen USA eigentlich unüblich sind. Was denken Sie, woher dieser Brauch des Met-Trinkens stammt? Aber vielleicht ist ja vor allem wichtig, wie er überhaupt in die Vereinigten Staaten gelangt ist. Die Geschichte der USA ist eine Geschichte der Zuwanderung. Als die Menschen kamen, brachten sie ihre Götter, ihren Glauben und ihre Sitten mit. Somit befinden sich die Götter plötzlich in einem fremden Land, in dem man immer weniger an sie glaubt. Wer sind sie, diese Götter und übernatürlichen Wesen, die nun in Amerika gestrandet sind?
Um welchen Gott es in der Serie übrigens hauptsächlich gehen soll, das suggeriert bereits die Öffnungssequenz: Wikinger stranden ausgehungert auf fremdem, wie wir wissen amerikanischem Boden und wollen die neue Umgebung für sich erkunden. Stattdessen findet der Zuschauer heraus, wie ein Wikinger aussieht, der von Pfeilen zum menschlichen Igel umfunktioniert wurde. In ihrem Versuch, sich gegen die lokale Willkommenskultur durchzusetzen, rufen die Nordmänner den Gott an, der ihnen dort vermeintlich den ersehnten Wind für die Segel bzw, die Abreise bringen kann. Und dieser liebt ordentliche Blutbäder als Opfergabe mindestens genauso, wie einen zünftigen Betrug – Beides Dinge, die auch das düster-phantastische Bild der Serie zeichnen. Und so entwickelt sich die Handlung zu einer Art göttlichem Mafia-Thriller, in dem sich die Banden der alten Generation den Banden einer neuen Generation entgegenstellen und dafür Bündnisse schließen, Feindschaften vorübergehend ruhen lassen oder im schlechtesten Fall aufgrund ihres eigenen Unglaubens, jemals ersetzt werden zu können, sangund klanglos untergehen.
Mehr alte Götter
Auch Anansi, Gott des Schabernacks, der bereits in Neil Gaimans Kultroman als Mr. Nancy (Orlando Jones) auftaucht, kam auf eher brutale Art aus Afrika in das ferne Land. In Form einer Spinne gelangte der Gauner, der eigentlich kein Gott, sondern eher ein Mittelsmann für den Himmelsgott Nyame ist, mit den Gefangenen der Sklavenschiffe nach Amerika. Als Chaos-Stifter aus Leidenschaft ist er ein äußerst fähiges und wichtiges Mitglied für Wednesdays „Team“.
Das zutiefst einnehmende Wesen der Bilquis (Yetide Badaki), die ebenfalls von weit her kam, lernt der Zuschauer bereits in der ersten Folge kennen. Der geneigte fleißige Bibelleser kennt die Dame vielleicht als Königin von Sheba oder Saba, die bereits im Alten Testament auf König Salomon traf, sie soll ihm sogar einen Sohn geboren haben. Ihre Anziehungskraft auf die Menschen, mit denen sie intim wird, übersteigt noch mal die des gleichnamigen Katzenfutters auf die pelzigen Vierbeiner. Deren schnurrende Anbetung fällt dafür aber auch deutlich weniger verhängnisvoll aus als die der Bilquis durch ihre Sexpartner. Bekannt ist sie für ihre Schönheit, und Yetide Badaki strahlt geradezu in dieser Rolle, wobei sich ihr Antlitz mit jedem weiteren Anhänger ihrer sensuell anmutenden Religion zunehmend verändert.
Ägyptischer Glauben
Wenn wir beim Anfangsbuchstaben B und beim Thema Katzen sind, gäbe es da noch Bast, oder Bastet. Diese wirft im Buch nämlich ein besonderes Auge auf Shadow und hilft ihm, als er es besonders braucht. Einen guten Blick auf ihn erhascht sie fast immer, denn wo Katzen sind, kann Bastet sehen. Sie ist die ägyptische Göttin der Sonne, und später des Mondes. Da ist es kaum verwunderlich, dass sie sich für Shadow Moon interessiert. In die Serie hat sie es bislang nur in ihrer Katzenform geschafft, bemerkbar für aufmerksame Zuschauer. Was nicht ist, kann aber noch werden. Bast lebt mit zwei Mitbewohnern, die aus der Not eine Tugend gemacht haben. Mr. Jaquel (Chris Obi), der eigentlich Anubis ist und die Form
eines Schakals einnehmen kann, wiegt im Jenseits die Herzen der Toten und entscheidet, wo und wie sie die Ewigkeit verbringen werden. Anubis ist nicht nur Herr der Toten sondern auch der Gott der Balsamierung. In purem amerikanischem Entrepreneursgeist leitet er mit seinem Kollegen Mr. Ibis (Demore Barnes) ein Bestattungsunternehmen, das es schon seit „Generationen“gibt. Mr. Ibis ist eigentlich Toth, der ägyptische Gott der Weisheit, Erfinder des Schreibens und Schutzherr der Schreiber. Seine Liebe zur Wortkunst schließt eine Neigung zur Ironie nicht aus.
Und so wird der Zuschauer auf eine skurrile Achterbahnfahrt durch die faszinierende Welt der alten Götter genommen, während sich die neuen Götter, wie etwa der Technical Boy, unangenehm in den Vordergrund drängen. Eins muss man sich aber stets vor Augen führen: In der Welt der Götter gibt es keine „Guten“oder „Bösen“. Es gibt lediglich intrigante, oft grausame Spieler am Schachbrett des Schicksals, die ihr Handwerk mehr oder weniger gut beherrschen. Und die Menschen spielen dabei natürlich nur die Rolle der Spielfiguren. Für jemanden, der noch nie zuvor mit Gaimans Roman in Berührung gekommen ist, könnten die ersten Episoden daher etwas schwierig zu verstehen sein, da die Kenntnis über die Identität und das „Interessengebiet“des jeweiligen Gottes beim Verständnis der dargestellten Machtkämpfe helfen kann. Wer sich allerdings auf den Bilderrausch einlässt, wird Zeuge eines erstklassigen Ganoven-Spiels mit intensiven Szenen voller Sex und Gewalt (wobei sich die offen dargestellte Nacktheit interessanterweise nicht nur auf weibliche Attribute beschränkt), dargestellt in visionären Bildern, die eine traumartige Qualität besitzen. Dabei sollte sich der Zuschauer auch nicht von einem Bison mit brennenden Augäpfeln irritieren lassen, der Moon gelegentlich in dessen Träumen über den Weg läuft. Es ist ein einziger Gedankenstrom voller Exzesse, die es so noch nie in einer Serie zu sehen gab. Und das ist neben den hochwertigen visuellen Effekten zum Großteil auch den phänomenalen Darstellern zu verdanken.
Hunde und Kobolde
Die Besetzungsliste scheint unendlich lang und birgt allerlei Talent, das bereits in anderen TV-Serien oder auch Kinofilmen seinen Auftritt hatte und nun seinem Image in „American Gods“gerecht werden kann. Ein Beispiel? So ziemlich niemand möchte wohl des Nachts auf einem Feld einem Peter Stormare im blutverschmierten Unterhemd begegnen. Schon als er Tom Cruise in „Minority Report“neue Augäpfel transplantierte, dürfte sich Stormares Gesicht den Zuschauern ins Gedächtnis gebrannt haben. Auch in zahlreichen anderen Filmen und Serien spielte er den „Mad Scientist“, den üblen Gangster oder einfach nur den Typen, der es liebt, anderen Leuten Schmerz zuzufügen. Hier mimt er den slawischen Gott des Todes, namens Czernobog, der lieber auf seinen blutigen Hammer als auf seine verbalen Fähigkeiten vertraut. Todbringend ist er heutzutage vor allem für Rinder, denen er vor dem Schlachten den Gnadenstoß verpasst – das spült etwas Geld in die Taschen. Aber irgendwie muss man sich ja durchschlagen. Czernobog, der übrigens einen charakterlich entgegengesetzten Bruder namens Bielebog hat, lebt ebenfalls nicht allein. Die drei Zorya, slawische Göttinnen der Morgenröte, teilen sich eine bescheidene Unterkunft mit ihm. Während die stille Utrennyaya (Martha Kelly) der Morgenstern ist, Vechernyaya (Cloris Leachman) der Abendstern und Polunochnaya (Erika Kaar) der Mitternachtsstern, ist ihre gemeinsame Aufgabe, einen Hund zu bewachen, der an das Sternenbild „Kleiner Bär“gekettet ist und es verschlingen will. Sollte dieser Hund sich losreißen, könnte das Universum enden. Während Vechernyaya das meiste Geld von den Dreien mit Wahrsagerei verdient, weil sie am Besten lügt, ist es die Mitternachtsschwester die Shadow dem Mond näher bringt. Czernobog ist übrigens nicht als Einziger im Unterhemd unterwegs. Einen modisch leicht ähnlichen, wenn auch etwas ordentlicheren Aufzug sieht man am irischen Kobold Mad Sweeney (Pablo Schreiber, „Orange Is The New Black“). Er ist groß, kräftig und spielt gern mit Münzen. Wie jetzt, ein großer Kobold? Sind die nicht eigentlich klein? Alles bloß fiese Vorurteile. Die Sache mit dem roten Bart scheint aber zu stimmen. Mad Sweeney trinkt und prügelt sich gern und ist auch ansonsten ein recht handfester Typ, gerade heraus und so richtig schön rotzig. Zu schade, dass ihn gerade sein Glück verlassen hat. Aber immerhin zeigt er Shadow in Episode eins einen interessanten Münzentrick, der später noch eine wichtige Rolle spielen wird.
Apropos Kobold aus der europäischen Folklore: Mr. Hinzelmann begegnet Shadow, als dieser dringend untertauchen muss. „Hinzelmann“(natürlich nicht zu verwechseln mit den Kölner Heinzelmännchen) ist eine deutsche Sagengestalt, auch Lüring genannt. Er konnte zwar viel Gutes vollbringen, aber auch richtig böse werden. Wie genau sich das ausartet, werden wir wohl erst in einer späteren Staffel sehen dürfen.
Gott morbider Fantasy-Romane
Neil Gaiman selbst schrieb nicht nur den Kultroman, der vor über 15 Jahren erschien, sondern arbeitet auch an der Serie als Drehbuchschreiber und Produzent mit. Dadurch fühlt sich alles irgendwie passend an, obwohl es doch deutliche Unterschiede zur Vorlage gibt. Es ist auch angemessen dass vieles angepasst wurde, denn gerade die neuen Götter haben sich seit dem Erscheinen des Buchs noch einmal deutlich verändert. Warum sollte man das nicht mit einbeziehen und für sich nutzen? Vielen wurde der britische Autor ein Begriff durch die Rede, die er bei der Abschlussfeier des Jahrgangs 2012 an der University of the Arts hielt, in der er seine Erfahrungen und sein Credo teilte. Dieses lautet „Make good art“, also „Mache gute Kunst“. Wenn man sich seinen Werdegang ansieht, scheint er sich daran immer gehalten zu haben. Dabei sind weder das Übernatürliche, das Fantastische oder Gruselige noch der Tod für ihn als Themen neu oder einmalig. Vor „American Gods“wurde er mit der Comicreihe „Sandman“bekannt, die insgesamt zu einem Comicroman verschmilzt, der über 2000 Seiten lang ist. „Sandman“erschien bei Vertigo und drehte sich um den Herrn der Träume, Morpheus, oder auch Traum genannt. Eine seiner Schwestern ist Tod, eine andere Delirium, die wohl auch in „American Gods“ganze Arbeit geleistet hat. Insgesamt sind sie sieben Geschwister, die Ewigen. Im Gegensatz zu unseren Göttern in „American Gods“sind diese aber nicht davon abhängig, dass jemand an sie glaubt. In „Sternwanderer“, der mit Michelle Pfeiffer und Claire Danes verfilmt wurde, stolpert ein vermeintlich normaler Junge in eine fantastische Welt, zu der er nie zu gehören
glaubte. Wer Mr. Nancy, den Spinnengott spannend findet, wird sich diesem in „Anansi Boys“erneut widmen können und mit dem Tod hat sich Gaiman auf sehr liebevolle und charmante Art im 2008 erschienenen „Das Graveyard-Buch“beschäftigt, wo er einen Jungen auf einem Friedhof von Geistern großziehen lässt. Sein schaurig niedliches Kinderbuch „Coraline“wurde ebenfalls verfilmt und erst vor kurzem widmete Gaiman ein ganzes Buch der nordischen Mythologie.
Nicht zuletzt sei seine Zusammenarbeit mit dem 2015 verstorbenen Fantasy-Autoren Terry Pratchett erwähnt. Die beiden veröffentlichten 1990 gemeinsam „Ein gutes Omen. Die freundlichen und zutreffenden Prophezeiungen der Hexe Agnes Spinner“, was ähnlich wie auch „American Gods“von einem göttlichen Kampf berichtet. Das Buch spielt kurz vor der Apokalypse, gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Engel Erziraphael und Dämon Crowley sind also schwer beschäftigt, wurde der Antichrist doch blöderweise bei der Geburt vertauscht. Der wächst also als ganz normaler britischer Junge auf und liest über Verschwörungstheorien. Unterhaltsamer kann man einem Weltuntergang kaum entgegen gehen, weshalb die BBC zusammen mit den Amazon Studios auch hierzu eine sechsteilige Serie produzieren wird, bei der Gaiman ebenfalls als ausführender Produzent und Drehbuch-Schreiber tätig sein wird. Das Interessante an seiner Zusammenarbeit mit dem berühmten Scheibenwelt-Erfinder Pratchett ist allerdings, dass dieser bereits 1992 den Roman „Einfach Göttlich“(„Small Gods“) herausbrachte, in dem die Götter ebenfalls vom Glauben der Menschen erschaffen wurden und auf recht unterhaltsame Weise um ebenjenen Glauben der Menschen buhlen. Doch wie will ein Gott seine Anhängerschaft vergrößern, wenn er nur noch in Gestalt einer Schildkröte auf Erden wandelt? Und wie lange wird seine Wandlung zum Allmächtigen bei diesem Schneckentempo wohl dauern?
Glam vs. Taxi
So lange wie müssen wir auf die herrlich glamouröse Easter (Kristin Chenoweth, „Pushing Daisies“), farbenfrohe Personifizierung der Morgenröte, in der „American Gods“-Adaption zum Glück nicht warten. In der Buch-Vorlage kommt sie eher spät vor, in der Serie darf man sich schon in der ersten Staffel freuen über die Göttin Ostara, die eher nebensächlich an Ostern eine ganz gute Portion Anbetung erfährt. Sie hat eine ganz besondere Fähigkeit, nämlich die Gabe des Lebens. Davon können insbesondere Tote profitieren. Weniger schick muss ein Ifrit (Mousa Kraish) durchs Leben gehen, indem er seine Brötchen als Taxifahrer verdient. Ein Ifrit ist ein arabisches Geistwesen mit flammenden Augen, entstanden aus Feuer. In Amerika glauben alle, er könne als jemand aus der Gattung der Dschinn Wünsche erfüllen. Aber würde er dann wirklich Taxi fahren? Das Leben in der schönen neuen Welt ist für die „Alten“eben kein Zuckerschlecken, während sich die jüngeren „Neuen“voller Energie an die Bedingungen der heutigen Zeit angepasst haben.
Götter der neuen Zeit
Man könnte quasi sagen Gillian Anderson hat die Seiten gewechselt. Sie erforscht nicht mehr wie zu „Akte X“-Zeiten das Unergründliche, sondern ist selbst ein neuer und ganz köstlich gespielter Gott: Media. Shadows erstes Zusammentreffen mit der massenkompatiblen, wandlungsfähigen und manipulativen Gottheit, deren Gebetsraum sich in jedem Haushalt befindet, passiert, als sie (wie sonst) aus einem Fernseher heraus mit ihm spricht. Auch sie bietet ihm an, für sie zu arbeiten. An Angeboten fehlt es Shadow also wahrlich nicht. In gewisser Weise ist sie mit einem nicht minder unangenehmen Zeitgenossen verbandelt: Technical Boy (Bruce Langley), der im wahrsten Sinne des Wortes vernetzt ist. Oder besser gesagt: Er ist das Internet. Sein Erscheinungsbild ähnelt dem eines YouTube-Stars und er ist sich seiner Macht sicher, launisch, vorlaut und reist gern in einer dicken Limousine. Seine Lakeien erinnern etwas an die „Droogs“aus „Uhrwerk Orange“, die folgende Drohung des Technical Boys an Wednesdays neusten Mitarbeiter nachhaltig verdeutlichen: Anstatt Shadow nur einfach zu töten, will er ihn löschen (Hashtag #Löschen). Und Mr. World? Er ist wohl trotz des Namens kaum der Gewinner eines Schönheitswettbewerbes für Männer. Wer er genau ist, kann so früh nicht geklärt werden, außer dass sein Name Programm ist. Zunächst führt er in der Serie die neuen Götter an. Bekannt dürfte sein Darsteller Crispin Glover den meisten aus „Zurück in die Zukunft“sein, wo er Marty McFlys Papa spielte.
Normalsterbliche?!
Natürlich sind nicht alle Figuren in „American Gods“Götter. Shadow wirkt zunächst sehr menschlich als wir ihn im Gefängnis treffen. Er liest, übt Münztricks und will einfach nur nach Hause zu seiner geliebten Frau. Eigentlich lernen wir ihn vor allem durch seine Werte besser kennen, Werte wie Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Liebe. Im Buch wird angedeutet, wieso gerade dieser Mann im Gefängnis landet und dass das vielleicht nicht nur seine Schuld ist, die Serie spricht da schon eine deutlichere Sprache. Auch wenn in der Serie einiges anders ist, als in der Romanvorlage, dürften sich also gerade diejenigen freuen, denen manche Aspekte in der umfangreichen Geschichte damals zu kurz gekommen sind.
Das gilt insbesondere für Laura Moon (Emily Browning). Im Roman spielt sie eher eine Nebenrolle, man erfährt zwar etwas über ihre Vorgeschichte, aber richtig kennen lernt man sie nicht. Die Vorlage erzählt wie Laura und Shadow sich über ihre besten Freunde kennenlernen: Shadows bester Freund Robbie ist mit ihrer besten Freundin Audrey verheiratet. Man bekommt den Eindruck dass ihm mehr an der Ehe lag als ihr, die ihn immer beim Kosenamen „Puppy“, also Hündchen oder Welpchen genannt hat. Er liebt dafür tausend Kleinigkeiten an ihr, wie ihre Fähigkeit, das beste Chili zu kochen. Für die Serie wurde Laura mehr Platz und Hintergrundgeschichte eingeräumt. Wie eine tote Frau eine größere Rolle in der Story einnehmen kann? Die Antwort darin liegt wohl in Münztricks und im Unglück eines Anderen. Und dann wäre da noch Salim (Omid Abtahi), der nach einem Treffen mit einem Dschinn
ein seltsames neues Leben hat. Man darf auch nie vergessen, dass man es hier mit einer Serie vom legendären Showrunner Bryan Fuller zu tun hat, der bereits in „Pushing Daisies“die große Liebe eines Mannes zu Lasten eines anderen von den Toten wieder auferstehen ließ.
Gott morbider TV-Serien
Produzent Bryan Fuller dürfte Freunden des tiefbis abgründigen Fernsehens kein Fremdwort sein: Auf seinem Lebenslauf kann er „So gut wie Tod“, „Pushing Daisies“und „Hannibal“aufführen, wobei allen Serien rabenschwarzer Humor, eine gewisse Morbidität samt Todesthematik und ein beeindruckender Look gemein ist. War „So gut wie tot“noch das visuell zahmste Schäfchen in der Herde, wurden für „Pushing Daisies“sämtliche Register der Tricktechnik gezogen, um ein Bon-Bon-buntes Ambiente im Stile der 1950er Jahre zu erschaffen. Und wer hat nicht gern bei „Hannibal“geschaudert, wenn er Mads Mikkelsen beim ästhetischen Zubereiten der neuesten kulinarischen Kreationen beobachtet hat? Die spektakuläre düstere Optik ist also kein Zufall, denn hier ist quasi ein Dreamteam düsterer Visionen mit der Umsetzung beschäftigt. Für „American Gods“wollte er gerade die menschlichen Momente in den Vordergrund rücken, was er ja auch bei seiner Tätigkeit als Drehbuchautor für die beiden „Star Trek“-Serien „Deep Space Nine“und „Raumschiff Voyager“in den 1990ern realisierte. Bislang war es übrigens so, dass Fullers frühe Serien meist nach zwei Staffeln außerplanmäßig abgesetzt wurden, was angesichts der Qualität derselbigen nie wirklich eingeleuchtet hat. Dennoch blieb ihm seine Fanbase treu, weshalb er nun mit „American Gods“sein neues Meisterstück anfertigen durfte. Eine zweite Staffel ist bereits bestätigt, weshalb nur zu hoffen bleibt, dass diese Serie nicht vom „Fuller-Fluch“getroffen wird. Aber wozu in die weite Ferne schauen, wenn doch die erste Staffel das aktuelle Produkt ist, das sich geneigte Zuschauer sogar auf zwei verschiedene Weisen zu Gemüte führen können.