Shin Godzilla
Es war ein rigoroser Schnitt, der da gemacht wurde, zwar schmerzhaft für so manchen langjährigen Fan, aber sinnvoll, und letztendlich hat er sich ausgezahlt: „Shin Godzilla“stürmte 2016 an die Spitze der japanischen Kinocharts (übertroffen nur von Makato Shinkais Animesensation „Your Name“). „Shin Godzilla“ist ein echtes Reboot, eine Neuerfindung des Franchise um Japans beliebtesten Filmexport. Sicher, es hatte zuvor schon immer mal wieder Versuche von Seiten Tohos, der Produktionsfirma, gegeben, die Filmreihe neu zu starten, aber nie waren diese Versuche wirklich konsequent gewesen. „Shin Godzilla“, was im Übrigen nur „Neuer Godzilla“bedeutet, löst sich jedoch von seinen Wurzeln und pfeift auf die Handlung des Original-“Godzilla“aus dem Jahre 1954, der bislang noch von jeder anderen der vorangegangenen 28 Fortsetzungen und „Reboots“ als Ur-Mythos anerkannt worden war. Nun heißt es also „Sayonara, Oxygen-Zerstörer!“und „Tschüss, Hiroshima-Trauma!“, gefolgt von einem schmetternden „Irasshaimase (Willkommen), Fukushima-Aufarbeitung!“
Neues Trauma
Doch „Shin Godzilla“thematisiert nicht die erneute nukleare Gefahr durch den strahlenden Reaktor, vielmehr nutzt der Film das Auftauchen der Riesenechse als Parabel auf das sich langsam und häufig vergeblich drehende Räderwerk der japanischen Politbürokratie, die sich 2011 als unfähig erwiesen hatte, zügig und angemessen auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima zu reagieren. Die Bürokratie ist dann auch gleichermaßen Protagonist wie Antagonist in „Shin Godzilla“, ein krawattenbewehrtes Schwarmwesen, das sich mindestens so häufig im Wege steht, wie es etwas Positives bewirkt. Es fällt schwer, im Heer der Anzugträger Individuen auszumachen, noch schwerer ist es, echte Helden zu finden. Doch immerhin, es gibt Nuancen, Strömungen im Schwarm, die – etwas abseits der strikten Hierarchie – pragmatische Lösungen suchen und, da verrät man wohl nicht zu viel, auch finden. Erfolge sind hier kollektiver Natur, wenn auch das Kollektiv etwas eigenbrötlerischer ist als der Hauptschwarm.
Zerstörungsorgie mit Botschaft
Insofern entwirft „Shin Godzilla“zwar ein zutiefst japanisches Sozialpanorama, übt aber sogleich Kritik am unflexiblen Strukturfetischismus des Landes. Apropos Strukturen, von denen werden trotz Neuanfangs und Gesellschaftskritik natürlich dennoch jede Menge zerstört, insbesondere natürlich Infrastrukturen, und das so glorios und üppig wie nie zuvor. Regisseur Hideako Anno hat Erfahrung mit der Thematik, in seiner inzwischen schon legendären Anime-Serie „Neon Genesis Evangelion“kämpfte die Menschheit, allen voran Japan, schon einmal gegen eine übermächtige Bedrohung.
So ist es dann auch kein Wunder, dass „Shin Godzilla“nicht nur markante Motive des „Evangelion“-Soundtracks zitiert, sondern wie diese Serie ebenfalls lustvoll inszenierten Zerstörungsszenen mit beinahe banalen Alltagsmomenten und augenzwinkernden Spitzen und Schelmereien konterkariert. Godzilla selbst durchlebt im Film mehrere Metamorphose-Stadien, erst in seiner finalen Form ist er ganz der alte, zumindest äußerlich. Verwirklicht wurden Monster und Zerstörung mittels altbewährter Effekttechniken und CGI, wobei zum ersten Mal in Godzillas japanischer Filmografie kein Stuntman im Gummianzug die Riesenechse verkörpert. Auch hier also ein Neuanfang, „Shin Godzilla“trägt seinen Namen zurecht. Doch steckt so viel Liebe und Respekt zur klassischen Reihe in diesem Reboot, dass auch alte Fans diesem eine Chance geben sollten. Und Neueinsteiger, die sich einen Eindruck von aktuellem japanischen Big-Budget-Kino verschaffen wollen, ohnehin.