FREE FIRE
Ben Wheatley ist wahrscheinlich einer der letzten Regisseure, die in fast jedem ihrer Filme versuchen, mit bestehenden Konventionen zu brechen. Sein neuster Streich heißt „Free Fire“– ein 90-minütiger, chaotischer Schusswechsel, bei dem neben Kugeln vor a
Das hier ist kein Film für Feingeister. In „Free Fire“gibt es keine vielschichtigen Charaktere oder komplexen Handlungsverläufe. Um ganz ehrlich zu sein, es gibt nicht einmal eine richtige Story: Zwei kriminelle Parteien in einer alten Lagerhalle im Boston der 70er Jahre, ein Koffer mit Geld, illegale Waffen und ein reichlich banaler Grund, um aufeinander zu schießen – das ist der Plot, sofern man hier von so etwas überhaupt sprechen kann. Der Indie-Regisseur Ben Wheatley („High-Rise“) pfeift nämlich auf eine klassische Narrative und streckt den finalen Akt jedes anderen Crime-Thrillers einfach auf Spielfilmlänge. Garniert mit Tarantino-esken Dialogen, einem Hauch der nihilistischen Brutalität von Sam Peckinpah, Slapstick-Einlagen direkt aus den „Looney Tunes“und einer Wagenladung britisch-schwarzem Humor zelebriert „Free Fire“das Chaos nach einem schiefgelaufenen Waffenhandel. Wer aus dem bunt gemischten Haufen an Figuren am Ende auf wen schießt, wird irgendwann genauso zur Nebensache wie das „Warum“. Wheatleys mutiger Streifen stellt eben keine unnötigen Fragen und hat deshalb auch keinen Grund, sie zu beantworten. Er ist das uneheliche Kind von „Die nackte Kanone“und „Reservoir Dogs“– stylisch, actiongeladen und absurd komisch.
Waffenhandel mit Hindernissen
Die Story, die Ben Wheatley zusammen mit Co-Autorin Amy Jump auf die Beine gestellt hat, passt im Grunde auf einen Bierdeckel: Die zwei IRA-Mitglieder Chris (Cillian Murphy) und Frank (Michael Smiley) treffen sich an den Bostoner Docks mit dem südafrikanischen Waffendealer Vernon (Sharlto Copley). Das Geschäft wurde von den jeweiligen Partnern beider Seiten, Justine (Brie Larson) und Ord (Armie Hammer) vermittelt und scheint trotz kleiner Ungereimtheiten zunächst problemlos abzulaufen. Doch als Chris‘ drogensüchtiger Fahrer Stevo (Sam Riley) und Vernons hitzköpfiger Handlanger Harry (Jack Reynor) aufgrund einer kürzlichen Fehde aneinander geraten, eskaliert die Situation: Nach einigen Fäusten fliegen schnell auch die ersten Kugeln und allen Beteiligten wird klar, dass wahrscheinlich nicht jeder die Nacht überleben wird.
Choreografiertes Chaos
Man könnte meinen, ein langgezogener Schusswechsel würde schnell sehr langweilig werden. Doch „Free Fire“schafft es auf eindrucksvolle Weise, dem Szenario immer wieder neues Leben einzuhauchen. Das gelingt vor allem dadurch, dass die meisten der mehreren hundert Kugeln, die hier durch die alte Lagerhalle zischen, nur verwunden und nicht sofort töten. Die Figuren verbringen also den Großteil des Films damit, hinter Schutthaufen und alten Maschinen zu kauern, von Deckung zu Deckung wahlweise zu humpeln oder zu kriechen und ungelenk auf ihr Gegenüber zu feuern. Zwischendurch hagelt es provokante Beleidigungen und schnippische Antworten, die oft genauso schmerzhaft sind wie eine Schusswunde. Die größte Stärke von „Free Fire“ist es, die rudimentären Beziehungen zwischen seinen Charakteren mit der stets wechselnden Anatomie seines Shootouts zu verbinden. Und obwohl die Kamera von Kinematograph Laurie Rose immer nah am Boden bleibt und so gut wie nie einen Überblick über die Gesamtsituation liefert, hat Ben Wheatley ein effektvolles Action-Mosaik inszeniert, das den Zuschauer zu keinem Zeitpunkt verwirrt zurück lässt.
Viele Knarren, viele Idioten
Das starbesetzte Ensemble hat dabei sichtlich Freude an seinen Rollen, die allerdings eindimensionaler nicht sein könnten. Copleys tölpelhaft-schmieriger Waffenhändler stammt wohl direkt vom Set von „Boogie Nights“, während Murphys geradliniger Ire einen trockenen Kommentar nach dem nächsten abfeuert. Gerade zu Beginn des Films sorgt das ständige Hin und Her zwischen den beiden grundverschiedenen Figuren für einige Lacher. Armie Hammer liefert als eloquenter und Gras rauchender Mann fürs Grobe eine ebenfalls herausragend witzige Performance ab. Wenn er etwa mitten in einem Faustkampf auf seinen Parfümduft angesprochen wird und unter den wütenden Worten „Das ist Bart-Öl!“mit einem Brecheisen zuschlägt, macht der smarte Kalifornier damit „Lone Ranger“fast vergessen. Zwischen all dem Testosteron wirkt Oscar-Gewinnerin Brie Larson als einzige Frau des Films gelegentlich etwas verloren, spielt die taffe Justine aber stets mit großer Coolness. Unter den übrigen Darstellern sind vor allem Sam Riley und Jack Reynor mit ihren anstößigen Zänkereien die auffälligsten.
Stilvoll
Auch wenn „Free Fire“in jeder modernen Zeitepoche wunderbar funktionieren würde, so verleiht das 70er-Setting dem Film einen gewissen Style, der sich in einer gelbfarbenen Disko-Optik widerspiegelt. Zusammen mit der dunklen Lichtstimmung leidet darunter neben dem Kontrast aber manchmal der sonst hohe Schärfegrad. Der wiederum dynamische Sound begeistert gerade während der Schusswechsel und spielt in den ruhigen Momenten mit teilweise räumlich abgemischten Dialogen, was zu einer sehr plastischen Geräuschkulisse führt. Der zeitgenössische Soundtrack mit Hits von CCR und dem brillant eingesetzten John-Denver-Song „Annie“unterstreicht die audiovisuelle Zeitreise zusätzlich. „Free Fire“ist unterm Strich ein Film, der beweist, dass simpel nicht zwangsläufig langweilig bedeuten muss. Und damit trifft Ben Wheatley – anders als seine Protagonisten – voll ins Schwarze.