THE GOOD NEIGHBOR JEDER HAT EIN DUNKLES GEHEIMNIS
Die Geschichte vom potenziell bösartigen Nachbarn ist nicht neu. Hitchcock hat es unter anderem in „Das Fenster zum Hof“(1954) vorgemacht, „Fright Night“(1985) machte daraus eine Vampir-Geschichte und andere folgten mit immer neuen Ideen. Doch das Konzept
Die beiden Teenager Ethan (Logan Miller) und Sean (Keir Gilchrist) helfen keinem anderen, als sich selbst, als sie damit beginnen ihren Nachbarn rund um die Uhr zu überwachen. Das Fernglas am offenen Fenster wirkt gegen ihre Methoden dabei schon harmlos. In jedem Winkel des Nachbarhauses installieren sie Kameras. Sie beobachten jede Bewegung, jedes auffällige Vorkommnis, um am Ende eine bisher nie da gewesene Dokumentation zu produzieren. Während Sean zumindest ansatzweise moralische Zweifel hat, wird Ethan zunehmend besessen von seinem privaten „Big Brother“. Passender noch wäre wohl ein privates „Paranormal Activity“, denn die beiden haben es sich zum Ziel gemacht, ihr Zielobjekt dank gruseliger Effekte in den Wahnsinn zu treiben. Ein Geräusch in der Nacht. Ein zerbrechendes Fenster. Das Thermostat spielt verrückt. Alles im Namen der Wissenschaft natürlich. Doch Nachbar Harold Grainey (James Caan) ist offensichtlich selbst kein Unschuldslamm. Er habe seine Frau bis zu deren Tod geschlagen, Hunde vergiftet und Kinder bei der Polizei gemeldet, heißt es.
Guter Nachbar, Böser Nachbar
Tatsächlich liegt in seinem Auftreten kein Funken Wärme und schon nach kurzer Zeit droht er damit, den Hund eines Spaziergängers zu zerstückeln. Und warum will er den besorgten Polizisten nicht in sein Haus lassen? Was verbirgt Grainey in seinem Keller? Plötzlich wird aus dem Streich bzw. der Dokumentation eine private Mordermittlung. James Caan ist jedenfalls perfekt für die Rolle des alten Grainey besetzt. Mit Filmen wie „Der Pate“(1972), „Thief – Der Einzelgänger“(1981) und „Misery“(1990) erlangte der Schauspieler weltweite Bekanntheit. Bereits in den 1960ern bewies er unter anderem in der Reihe „Alfred Hitchcock zeigt“, was für ein vielseitiger und versierter Thriller-Darsteller er doch ist. Von seinem Talent hat der 77-Jährige nichts verloren. Durch kleine Änderungen in seiner Darstellung bringt er die Zuschauer immer wieder ins Zweifeln, reißt sie hin und her. Ist er hier das Opfer? Oder doch ein Täter? Womöglich sogar beides? Mit ihm wechselt auch der Ton des Films immer wieder. Mal traurig, mal gefährlich und manchmal einfach nur rätselhaft. Bemerkenswert ist übrigens auch Keir Gilchrist, dessen Charakter in einem ständigen Zwiespalt aus Neugier und Besorgtheit steckt. Gilchrist hatte sich in den letzten Jahren vor allem dank seiner Rollen in Horrorfilmen wie „It Follows“einen Namen gemacht.
Klassisches Konzept, moderne Kritik
Der Film wechselt zwischen verschiedenen Erzählweisen und Stilmitteln. Die anfänglichen Szenen sind noch aus Sicht der Hand- und Überwachungskameras gedreht, was zu dem Trugschluss führen könnte, es handle sich um einen weiteren „Found Footage“-Film. Doch zwischendurch ver-
lässt er diese Perspektive häufiger und wechselt zu normalen Filmszenen. Drumherum wurde eine Rahmenhandlung gesponnen, in der Zeugen vor Gericht über die Ereignisse der Kernhandlung aussagen. Erneut stellt sich die Frage: Über wen wird hier gerichtet? Was ist zuvor geschehen? Abgesehen vom zentralen Mysterium, kann „The Good Neighbor“auch als Kommentar auf die aktuelle Internet-Videokultur gesehen werden. Ethan will ein großer Filmemacher sein und lässt sich durch nichts davon abbringen, die Kamera weiter drauf zu halten. Selbst dann, wenn es seine Freundschaft mit Sean gefährdet. Passenderweise sticht ein Poster in seinem Zimmer besonders hervor: „Plan 9 from Outer Space“, von einem nicht weniger besessenen Ed Wood. Ethans Mediengeilheit wird zu einem immer zentraleren Element des Films. Umso interessanter sind die vereinzelten Partyszenen, in denen er versucht, Freunde vom Nutzen seines Projekts zu überzeugen. Mit seiner Hitchcock-ähnlichen Prämisse und den Kommentaren auf den Zustand des Internets vermischt „The Good Neighbor“erfolgreich Klassisches mit Neuem. Dass der Film auch zum Nachdenken anregt, tröstet ein wenig darüber hinweg, dass er sein volles Potenzial als Thriller nicht vollständig auszunutzen weiß. Selbst in den Szenen, in denen die beiden in das Haus des gefährlichen Nachbarn schleichen müssen, kommt der Film nicht ganz an die Spannung eines „Don’t Breathe“heran. Regisseur Kasra Farahani arbeitete bisher vor allem als Designer und Konzeptkünstler in zahlreichen Filmproduktionen und als Art Director in „Star Trek: Into Darkness“, „Men in Black 3“und „Thor“. „The Good Neighbor“gehört zu Farahanis ersten Arbeiten als Regisseur. Das Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen: Ein spannender, wenn auch nicht perfekter Thriller, der den Zuschauer so lange wie möglich in Ungewissheit lässt.