Homeland
Ohne die zahlreichen Qualitäten, welche die bisherigen fünf Staffeln von „Homeland“auszeichneten, schmälern zu wollen, muss doch zugegeben werden, dass die preisgekrönte Serie um CIA-Agentin Carrie Mathison bislang durch ein ziemlich einseitiges Feindbild auffiel. Mochte die CIA gelegentlich auch Dreck am Stecken haben, war die Agency in der Serie insgesamt doch ganz klar eine Kraft des Guten, die den Westen vor den Angriffen niederträchtiger muslimischer Terroristen bewahrte, wieder und wieder. Damit ist es nun vorbei, Al-Hamdulillah! Die sechste Staffel mischt die Karten und erfindet sich mit geradezu erschreckend aktueller Ausgangssituation neu. Schon der Zeitpunkt, in dem die neue Staffel einsetzt, ist faszinierend, spielt die Handlung doch zwischen der US-Präsidentschaftswahl im November 2016 und der Amtseinführung des neuen Präsidenten im Januar. Pardon, richtig muss es natürlich heißten: der neuen Präsidentin, denn in „Homeland“ wurde die Wahl von der demokratischen Senatorin Elizabeth Keane (Elizabeth Marvel) gewonnen. Angetreten mit dem Versprechen, Amerikas Kriege zu beenden und den aufgeblähten Militär- und Geheimdienstapparat des Landes zu reformieren, steht die Präsidentin in spe vor einer gewaltigen Aufgabe. Beraten wird sie vor der Amtseinführung nicht nur von Vertretern von Streitkräften und Geheimdiensten, sondern bisweilen auch von der ehemaligen CIA-Analystin Carrie Mathison (Claire Danes). Diese lebt nach den Ereignissen von Berlin mit ihrer kleinen Tochter in New York, wo sie sich hauptberuflich in einer Stiftung engagiert, welche Muslime in den Vereinigten Staaten rechtlich unterstützt. Ihre neue Stellung bringt sie jedoch immer wieder in Konflikt mit alten Freunden und Kollegen, und auch die Beratertätigkeit für Keane lässt Gedanken an ein ruhiges und geregeltes Berufsleben in weite Ferne rücken. Als sich abzeichnet, dass Kräfte in den eigenen Reihen beginnen, die Position der künftigen Präsidentin schon vor der Amtsübernahme zu schwächen, ist Mathison gezwungen, sich zwischen Loyalität zu Keane, zur Nation oder ihrem Privatleben zu entscheiden.
Relevant und brandaktuell
Wie schon die Vorgängerstaffeln erzählt auch die sechste Staffel keine einfache und geradlinige Thrillerhandlung. Carrie Mathison ist alles andere als ein weiblicher Jason Bourne. Neben dem Verhindern von Anschlägen und Verschwörungen verlangt auch das Privatleben nach ihr, und zwar mit ähnlicher Dringlichkeit. Doch konfrontiert die aktuelle Story das Publikum mit Problemen, die unangenehm nah an der eigenen Lebenswirklichkeit zu bohren beginnen. Wir alle hören beinahe täglich von den „Leaks“aus Kreisen nahe des US-Präsidenten, und auch wenn angesichts der Persönlichkeit des derzeitigen Amtsinhabers dieser konstante Vertrauensbruch eher mit Schadenfreude aufgenommen wird, stimmt diese Unterminierung eines demokratisch gewählten Staatsoberhauptes schon nachdenklich. Und auf unerhört spannende Weise führt die sechste „Homeland“-Staffel uns vor, was es bedeutet, wenn derartige Attacken auf dieses hohe Amt eine sympathische und fähige Politikerin treffen, die den Status Quo in Frage stellt.