Westworld (1. Staffel)
Test des Monats
Es ist früh am Morgen, die Sonne scheint und die noch im Bett liegende Farmerstochter Dolores (Evan Rachel Wood) öffnet ihre Augen. Endete ihr Traum soeben oder beginnt er erst? Jetzt startet für sie jedenfalls erst einmal ein neuer Tag voller Schönheit, die es nur zu entdecken gilt. Ihr Charakter ist geprägt von optimistischen Gedanken und fröhlichen Tätigkeiten, wie dem Einkauf oder der Landschaftsmalerei. Es ist ein einfaches, aber auch genügsames Leben. Auch der Cowboy Teddy (James Marsden) scheint optimistisch in die Zukunft zu blicken, als sein Zug in Sweetwaters Bahnsteig einfährt. Er ist ein guter Kerl, das sieht man gleich, und seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem blauen Kleid Dolores’, als er ihr ein in den Sand gefallenes Teil ihres Einkaufs-Gutes aufhebt und zurückgibt. Funken fliegen und beide reiten über die großartigsten Landschaften, die die untergehende Sonne in warmes Licht tauchen kann. Und selbst als bei der abendlichen Rückkehr ein paar Banditen Dolores’ Eltern bedrängen, ist sich der Zuschauer vollkommen sicher, dass der fähige Revolverheld Teddy das Kind schon schaukeln wird. Das anschließende Blutbad, Teddys Ableben und Dolores’ brutale Vergewaltigung durch einen unerwartet auftauchenden, schwarz gekleideten Besucher bringen die Blase des romantischen Wild-West-Bildes jedoch abrupt zum platzen. Willkommen in „Westworld“!
Hundert Prozent Hollywood
Besieht man sich die Namen, die hinter diesem rund 100 Millionen US-Dollar schweren WildWest-Projekt stecken, dürfte klar sein, dass dies einer der größten Blockbuster im derzeitigen Serien-Bereich sein dürfte: „Star Trek“- und „Star Wars“-Regisseur J. J. Abrams ist einer der Hauptproduzenten. Jonathan Nolan, Drehbuchautor von „The Dark Knight“, „Interstellar“und anderen Regiearbeiten seines Bruders Christopher, zeichnet für den roten Faden der Episoden verantwortlich. Zudem übernahm er die Regie der ersten und zehnten Episode der ersten Staffel. In den Hauptund Nebenrollen sind Hollywoodgrößen wie Evan Rachel Wood („Across The Universe“), Thandie Newton („Mission: Impossible 2“), Sir Anthony Hopkins („Das Schweigen der Lämmer“), Ed Harris („Abyss“), James Marsden („X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“), Jeffrey Wright („Die Tribute von Panem: Mockingjay“), Rodrigo Santoro ( „300“), Ben Barnes („Das Bildnis des Dorian Gray“), Clifton Collins Jr. („Star Trek“) und Luke Hemsworth („Thor: Tag der Entscheidung“) zu sehen. Die Musik stammt von dem Duisburger Ramin Djawadi, der auch schon für Kino-Blockbuster wie „Iron Man“, „Pacific Rim“und „Kampf der Titanen“komponierte, aber auch die Musik von Kult-Serien wie „Prison Break“und „Game Of Thrones“schuf. Gedreht wurde teilweise vor natürlichen Kulissen. Für die Western-Städte entschied man sich, die riesigen Kulissen von Major-Filmstudios wie Paramount und Universal Pictures, aber auch die Möglichkeiten der Melody Ranch in Santa Clarita auszunutzen. Für die aufwendigen Zug-Sequenzen wurde die „Fillmore And Western Railway“genutzt. Natürlich wurden auch CGI-Effekte eingesetzt, um beispielsweise Landschaften zu erweitern oder um Städte größer wirken zu lassen. Jedoch zeigt der enorme Aufwand, das Jonathan Nolan lieber auf echte Schauplätze, praktische Effekte und massive Materialschlachten setzt, um filmische Authentizität und kinoartigen Bombast zu erzeugen. Und das ist diesem Prestige-Produkt in jeder einzelnen Minute anzusehen.
Was sind Hosts?
Hinter dem Western verbirgt sich ein Science-Fiction-Szenario aus der Feder Michael Crichtons. Ähnlich wie in seinem bekanntesten Werk „Jurassic Park“extrapoliert diese Geschichte den Themenpark-Gedanken, bei dem alles der Unterhaltungssucht der Menschen untergeordnet zu sein scheint. Statt Achterbahnen, Kettenkarussels oder mittels Gentechnik erstellter Dinosaurier erwarten den Besucher in „Westworld“allerdings lebensechte Androiden, deren Körper mittels modernster 3D-Druck-Technik erstellt, und deren Geist von versierten KI-Designern langwierig geformt wird. Ganz recht: Das ganze Wild-West-Szenario besteht aus künstlichen Menschen, die jeden Tag von Neuem erwachen und einem für sie geschriebenen Handlungsstrang folgen, der höchstens durch den Eingriff zahlender Touristen verändert werden kann. Die Ereignisse des Vortags werden gelöscht, sodass sie immer wieder den gleichen Tag erleben, es sei denn, jemand denkt sich eine neue Rolle für sie aus. Von ihrer Künstlichkeit bemerken die sogenannten „Hosts“also nichts und nur die menschlichen Parkbesucher wurden darüber aufgeklärt. Diese nutzen das Ganze natürlich aus, da jegliches Handeln ihrerseits keinerlei Konsequenzen für sie haben wird und die Hosts keinem Lebewesen etwas zu Leide tun können. Jeder kann die Art von Western-Heldoder Schurke spielen, die am besten zu ihm passt. Oder er lässt die ganzen angebotenen Quests links liegen und betrinkt sich einfach im Saloon – es ist jedem selbst überlassen, was er macht. Dadurch entsteht von jedem Besucher ein persönliches Profil, das sein Innerstes preisgibt und auf diese Weise vielleicht sogar sein wahres selbst zeigt. Und da der Mensch nun mal ein Tier ist, läuft dieser hochphilosophische Selbstfindungstripp meist darauf hinaus, dass die Besucher alles vögeln, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, ihre blutigen Gewaltfantasien in
perversen Massenmorden ausleben oder einfach beides gleichzeitig praktizieren.
Die Wiederholung
Wenn dann auch die letzten Schreie verstummt sind, seien sie nun letaler oder coitaler Natur, betritt ein Räumkommando die Bildfläche, das die Überreste der Hosts einsammelt, sie wieder zusammenflickt, das Gedächtnis löscht und sie wieder sauber und gepflegt in ihre Betten legt. Doch was wäre, wenn … diese künstlichen Menschen eben nicht vergessen würden? Was wäre, wenn sie ein Selbstbewusstsein entwickelten, eigene Bedürfnisse ausbildeten und ihre Geschichte höchstselbst schreiben würden? Hätten sie dann einen freien Willen? Hätten die Hosts dann nicht auch die gleichen Rechte wie Menschen? Und noch viel wichtiger: Was unterscheidet uns dann noch von den künstlichen Wesen? Dies und noch viel mehr erforscht die Serie in einem sich sehr (!) langsam entfaltenden Drama. Wo der eine Zuschauer aufgrund des lahmen Tempos und des repetitiven Erzählens gähnende Langeweile empfindet, sieht der andere Zuschauer ein Meer an Symbolen und Anspielungen, die allesamt eine tiefere, meist philosophische Bedeutung haben. Einige Symbole sind Hommagen an frühere Filme wie z. B. wenn Ed Harris’ dunkel gekleideter Charakter entfernt an Yul Brynners Charakter in Chrichtons selbst inszeniertem Originalfilm „Westworld“(1973) erinnert. Hier gibt es so viele Querverweise an literarische Science-Fiction-Werke zu entdecken, dass das selbstständig spielende Piano (Kurt Vonneguts „Player Piano“bzw. „Das höllische System“) und die Asimovschen Roboter-Gesetze („I, Robot“) gerade mal die auffälligsten davon sind. All dies wird am Rande eingesetzt, um die enge Vermaschung der Abhängigkeiten zu demonstrieren. Wenn die äußerst intelligente Prostituierte Maeve also das spielende Piano zum Schweigen bringt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass sie aus dem System des vorgegebenen Taktes ausbrechen möchte. Wenn Dolores eine Fliege auf ihrer Wange zerschlägt, dann ignoriert sie eines der ihr einprogrammierten Gesetze, keinem Lebewesen schaden zu können. Wer sehr aufmerksam beobachtet, wird an vielen Orten Hinweise auf die beiden elementaren Twists der ersten Staffel entdecken. Das ist die größte Stärke der Serie, dass sie das Publikum fordert und ihm auch auf philosophischer Ebene einiges zutraut.
Szenario vs. Epos
Zugleich ist diese Szenarien-Entwicklung aber auch die größte Schwäche, da etwas Elementares fehlt: Echte Charaktere, die einem sympathisch sind. Statt einer oder mehrerer Identifikationsfiguren gibt es ausschließlich Archetypen an Figuren, mit denen sich keiner identifizieren will. Das hängt logischerweise auch mit der Androiden-Thematik zusammen, aber selbst die menschlichsten Charaktere wirken schlicht wie ersetzbares Beiwerk. Der von Ed Harris gespielte Inbegriff des langjährigen Parkbesuchers birgt enorm viel charakterliches Potenzial in sich, wird aber von der Handlung eher geheimnisvoll gehalten. Einzig seine Rolle als Emotionen und Wahrheit suchender Sadist wird gefestigt. Chefdesigner Bernard (Jeffrey Wright) erscheint so abgebrüht, dass er schlicht zu einem objektiven Zuschauer-Fenster wird. Dem Zuschauer bleibt es also völlig egal, ob da jetzt jemand das Zeitliche segnet oder ob sich jemand in eine vorteilhafte Machtpostion bringt. Die Distanz vergrößert sich noch mit der Tatsache, dass die eigentlichen Protagonisten unendlich oft niedergemetzelt werden und dennoch wieder aufstehen. Diese Entwertung des Host-Lebens ist natürlich gewollt, führt aber letztlich auch dazu, dass das Leben der menschlichen Charaktere beim Zuschauer ebenfalls kaum eine Rolle spielt. Der inflationäre Gewalteinsatz trägt sein Restliches dazu bei, dass der Zuschauer selbst zu einem emotionslosen Roboter verkommt. Insgesamt ist die erste Staffel von „Westworld“also ein hochphilosophisches Glanzprodukt, das ähnlich wie „Memento“Erinnerungen, Vergänglichkeit und Wahrnehmung thematisiert. Sollte die 2018 anstehende zweite Staffel, in der übrigens nicht nur der Wild-West-Teil des Parks thematisiert wird, mehr Charakter-Tiefe bieten, könnte sich die Serie tatsächlich zu eben dem charaktergetriebenen Drama entwickeln, was sich die meisten Zuschauer davon erhoffen. Die Standard-Edition von „Westworld“Staffel eins liegt in einem Digibook vor. Es gibt zahlreiche Extras, die die Faszination für die Serie und deren Hauptthema noch verstärken. Wer die Serie in 4K-Qualität ansehen möchte, kann sich auch die limitierte UHD-Blu-ray-Version anschaffen. Als Verpackung gibt es hier eine geprägte Steel-Box, in der sich die Amaray-Hülle mit den drei UHD- und den drei Standard-Blurays befindet. Beiden Versionen liegt auch noch ein Booklet für neue Westworld-Angestellte sowie ein Episoden-Guide bei.