Im Laufe seines Lebens muss jeder Mensch drei wichtige Wahrheiten lernen: Der Weihnachtsmann ist nicht echt, der Osterhase noch weniger und Wrestling ist so viel Seifenoper, wie es eine Sportart sein will.
Für eine gute Wrestling-Sendung braucht es nicht nur hart trainierte Künstler, sondern auch ausdauernde Drehbuchschreiber. Konflikte werden geschaffen und weitreichende Verstrickungen geplant. Kaum etwas bringt Wrestling so gut auf den Punkt, wie die bekannte „South Park“-Episode „W.T.F.“, in der die Kinder anfangs ein Kampfevent planten und letztendlich ein Theaterstück aufführen. Doch gerade hier liegt eben auch der große Reiz und der Grund, weshalb Zuschauer wöchentlich einschalten. Dass es nebenbei ordentlich Prügel gibt, kann ja nicht schaden. Und dann kommt eine Produktion namens „Lucha Underground“und stellt das ganze System noch einmal auf den Kopf.
„Echt“oder Fiktion?
Selbst nach einer ganzen Staffel fällt es schwer zu definieren, was diese „Serie“eigentlich ist. Man könnte sagen, es ist eine fiktive Version einer realen Sportart, die im Kern bereits fiktiv ist. Aber das macht es eben auch nicht weniger verwirrend. Für die Produktion zeigt sich unter anderem Filmemacher Robert Rodriquez verantwortlich. Ein Indiz, das hier etwas anderes vorgeht?
Auf den ersten Blick unterscheidet es sich jedenfalls nicht von Sendungen wie „RAW“oder „SmackDown“. Es gibt einen Ring, Kommentare und Live-Publikum. Eine hübsche Frau kündigt die Kämpfer an, die sich anschließend für 20 Minuten auf die Nase hauen. Viele Kämpfer sind in der Welt des Sports bestens bekannt. So bestreitet Chavo Guerrero Jr., Neffe des verstorbenen Eddie Guerrero, einen der ersten Kämpfe. Auch gibt es den üblichen „Promoter“, der über allem steht. Doch hier beginnt es, auffällig zu werden. Dario Cueto ist sein Name, dargestellt von Schauspieler Luis Fernandez-Gil. Cueto ist ein Bösewicht, wie er im Buche steht. Erst lockt er die Kämpfer mit großen Geldmengen, nur um sie bluten zu sehen, dann schnappt er es ihnen unter ihren Nasen wieder weg. Zwischen den Kämpfen schmiedet er in seinem Büro finstere Pläne. Wozu braucht man Feinde, wenn man so einen Chef hat? Auf der „guten“Seite stehen Kämpfer wie Neueinsteiger Prince Puma und Rivale Johnny Mundo. Das Format erlaubt es den Zuschauern, ihre Helden selbst zu wählen. Sie alle haben ihre starken und schwachen Momente, machen Fehler, werden überheblich oder wechseln sogar auf die dunkle Seite. Die Zahl der Kämpfer wird überschaubar gehalten, sodass Fans ihre Lieblinge auch in jeder Episode zu sehen bekommen. Dennoch ist es gerade Prince Puma, der immer wieder in den Fokus rückt und von den Kommentatoren Matt Striker und Vampiro bei jeder Gelegenheit als die Zukunft des Lucha-Wrestlings bezeichnet wird. Apropos, was ist eigentlich dieses „Lucha“?
Lucha Libre
Sieht man maskierte Männer und Frauen, die sich gegenseitig in den Schwitzkasten nehmen, dann hat man entweder Jack Black in „Nacho Libre“gesehen oder man wird Zeuge eines waschechten „Lucha Libre“. Die mexikanische Disziplin bedeutet Freikampf, die Kämpfer werden als „Luchadore“bezeichnet. „Lucha Underground“erinnert stets an seine südamerikanischen Wurzeln, wird jedoch in Los Angeles aufgezeichnet. In der Geschichte wird immer wieder auf die Aztekenkultur eingegangen, aus der Kämpfer wie Prince Puma ihre Kraft beziehen. Promoter Dario Cueto ist jedoch spanischer Abstammung und bereits deswegen unbeliebt. Feinheiten wie diese nehmen gelegentlich Einfluss auf die Geschehnisse. Aber wie gut ist „Lucha Underground“nun eigentlich? Ist es wirklich eine Serie für jedermann?
Wrestling für Alle?
Ob es sich nun um eine Fernsehserie oder ein Sportevent handelt, ist wohl eine Frage der Definition. Man will sich für ein breiteres Publikum öffnen und neben den Pfaden üblicher Wrestlingveranstaltungen wandern. Jeder Kämpfer bekommt eine schillernde Hintergrundgeschichte, die in eindrucksvollen Videomontagen auf den Bildschirm gezaubert wird. Ähnlich aufwendig werden die Ereignisse außerhalb der Kämpfe gestaltet, begleitet von starken Farbfiltern, kräftigen Kontrasten, Zeitlupen und einer vielfach erhöhten Dramatik. Auch bei den Stunts wird stets noch einer draufgesetzt. Statt zum Beispiel einfach nur auf seinen Gegner zu springen, macht Prince Puma gleich noch vier Saltos in der Luft. Was die Kämpfer hier leisten, lässt so manche Münder offen stehen. Aber das ist eben Wrestling.
Nichts in „Lucha Underground“ist so verrückt wie ein „Undertaker“, der jedes Mal in Dunkelheit und Nebel in der Mitte des Kampfrings erscheint. Mit Veröffentlichungen auf Netflix in USA und Kanada will man die Serie zu einem Hit für eine breite Zuschauermasse machen, doch letztendlich werden hauptsächlich Wrestlingsfans ihren Spaß an den langen Kämpfen haben. Auch für den modernen Trend des „Binge Watching“, bei dem ganze Staffeln am Stück verschlungen werden, eignet sich diese Serie nur bedingt. Bei allen Bemühungen die Kämpfe abwechslungsreich zu gestalten, sind es letztendlich doch die gleichen Kämpfer, die sich regelmäßig gegenüberstehen. Mit einigem Abstand zwischen den Episoden ist „Lucha Underground“aber ein tolles, durch die Charaktere getragenes Erlebnis, das immer wieder die Grenzen des Formates austestet. Übrigens, deutsche Wrestlingfans werden sich mit den Kommentaren von Günther Zapf sofort abgeholt fühlen. Staffel 1.2 mit weiteren 19 Episoden ist bereits für den 26.01.2018 angekündigt und wird voraussichtlich eine FSK-18-Freigabe erhalten.