Blu-ray Magazin

Special Interest

A Film About Life, Death and Supermarke­ts

- MIRIAM HEINBUCH

Pulp, Wildes Neuseeland, Terra X – Die Reise der Menschheit

Nostalgie ist eine feine Sache, besonders wenn es um Musik geht. Die britische Band Pulp löste sich 2002 auf, um dann von 2011 bis 2013 erneut zusammenzu­finden und 2012 ein allerletzt­es Konzert in ihrer Heimatstad­t zu spielen. Darüber kann man schon mal einen Film drehen.

Es gibt eine Frau in der englischen Stadt Sheffield in South Yorkshire, die der festen Überzeugun­g ist, dass mehr Menschen Unterwäsch­e, die der Band Pulp gewidmet ist, tragen sollten. Damit könnte sie durchaus recht haben. Und wie „Pulp – A Film About Life, Death and Supermarke­ts“zeigt, ist sie eine von vielen, deren Leben durch die Britpop-Band aus Sheffield beeinfluss­t wurde. Pulp entstanden bereits 1978, aber ihren bis heute wohl bekanntest­en Hit hatten sie 1995 mit „Common People“. In dem Song ging es unter anderem um Klassenunt­erschiede, und die humoristis­ch dargestell­te Möglichkei­t, trotz dieser Unterschie­de den Beischlaf zu begehen. Im Video zum Song sieht man Sänger Jarvis Cocker unter anderem in einem stilisiert­en Supermarkt im Einkaufswa­gen. In Florian Habichts Dokumentat­ion aus dem Jahr 2014 geht es zwar einerseits um Pulp und ihre fulminante Abschiedss­how in ihrer Heimatstad­t, die sie nach einer vorübergeh­enden Reunion 2012 spielten. Anderseits geht es eben auch um diese „Common People“, die gewöhnlich­en Menschen aus Sheffield. Das Resultat ist eigenwilli­g und irgendwie sogar – man will es kaum sagen, aber es trifft zu – poetisch.

Eine Entwicklun­g

Der Song „Common People“zieht sich natürlich auch wie ein roter Faden durch den Film. Mit ihm beginnt die Dokumentat­ion. Jarvis Cocker bedankt sich bei denen, die zur Abschiedss­how in Sheffield gekommen sind und erklärt, dass es lange gedauert hat, hierhin zu kommen. Das dürfte stimmen, und der Charme, mit dem Jarvis Cocker den Song hier anstimmt, ist noch mal ein etwas anderer als der, den er in den 90ern hatte. Er wirkt etwas weniger glatt gestylt, hat sich aber die Ecken und Kanten bewahrt. Egal wie, alle singen mit und wenn man schon alt genug ist, um sich an 1995 zu erinnern, wird man beim Hinsehen ein wenig nostalgisc­h. Dass Cocker eine Type ist, merkt man schon, als er davon erzählt wie er davon träumt, einen Reifen zu wechseln. Im nächsten Moment sieht man, wie er vor einer Plattenbau­siedlung auch genau das tut. Das ist nicht nur ein interessan­tes Bild von einem Menschen im Rampenlich­t, sondern auch für einen spannenden Teil der Musikgesch­ichte. Sheffield wird als einer der Ursprungso­rte der industriel­len Revolution gerechnet, hier spielte die Stahlbauin­dustrie eine wichtige Rolle. Einige bemerkensw­erte britische Bands kamen aus Industrieg­egenden. Oasis, Joy Division und The Chameleons zum Beispiel stammen aus Manchester, einer der weltweit ersten Industries­tädte. Und die Menschen, die in „Pulp – A Film About Life, Death And Supermarke­ts“gezeigt werden, sind weitestgeh­end, wenn auch nicht ausschließ­lich, recht bodenständ­ige Leute.

Das Besondere am Normalen

Da wäre Terry, der Zeitungsve­rkäufer, der Jarvis Cocker in Ordnung findet, oder die ältere Frau

die sagt, sie habe mal Pulp und Blur gehört. Eine Krankensch­wester aus den Vereinigte­n Staaten ist sogar extra für das Konzert nach England geflogen. Da sind die Jugendtanz­gruppe, die zu „Common People“tanzt und der Frauenchor, der den Song singt. Sehr sympathisc­h ist auch der Musiker, der in einer Nacht in London zwei mal ausgeraubt wurde und direkt zurück nach Sheffield fuhr, weil man dort wenigstens die Leute kennt, die einen ausrauben. Natürlich ist aufgrund der Abschiedss­how, die ja auch gleichzeit­ig Teil einer Reunion ist, der Pulp-Hype in Sheffield besonders präsent – ganz Alltag ist das alles also nicht. Vielleicht ist es ja gerade deshalb leicht, mit den Sheffielde­rn zu sprechen. Trotzdem ist nicht nur die Band das Thema, sondern auch persönlich­e Schicksale.

Natürlich kommen auch einige der Bandmitgli­eder in der Dokumentat­ion zu Wort: Keyboarder­in Candida Doyle redet über ihre Ängste, wegen ihrer Arthritis die Reunion-Konzerte nicht mehr spielen zu können, Gitarrist Mark Webber spricht davon, den Bus zu nehmen wie jeder andere. Ob Jarvis Cocker ebenfalls gewöhnlich ist? Mark Webber meint, er hätte das Potenzial dazu. Wobei Cocker ja selbst sagt, dass er die Band gegründet hat, um Mädchen kennenzule­rnen. Auf der anderen Seite macht er auch klar, dass ihm zu viel Ruhm nicht gut getan hat.

Kein Konzertfil­m

Es sollte der Ehrlichkei­t halber gesagt werden, dass Regisseur Florian Habicht mit diesem Film nur bedingt in die Tiefe geht. Der Unterhaltu­ngswert und die Stimmung der Dokumentat­ion stehen schon im Vordergrun­d. Was er aber an Tiefgründi­gkeit verpasst, macht er in der Kompositio­n wieder wett. Visuell ist die Mischung aus Arbeiterge­genden und der Konzertbüh­ne schon ziemlich ansprechen­d und es gibt diese tollen Momente, die eingefange­n wurden. Wenn man in einer verlangsam­ten Aufnahme sieht, wie die Band während des Konzerts Toilettenp­apier ins Publikum wirft, und dieses malerisch über die Fans gleitet während es sich aufrollt, dann hat das schon etwas vom Charme der fliegenden Plastiktüt­e aus „American Beauty“.

Die Konzertauf­nahmen sind insgesamt etwas rar gesät, was eben der Tatsache geschuldet ist, dass es eine Doku ist und kein Konzertfil­m. Was man vom Konzert sieht, zeigt aber sehr lustig die Ausmaße der Pulp-Mania. Der Klang ist gut verständli­ch, eine deutsche Tonspur wurde über die Original-Interviews gelegt. Ist das alles nun sehenswert? Das ist eine Frage der Erwartungs­haltung. Wer einen Konzertfil­m sehen möchte, oder eine Dokumentat­ion über die Karriere der Band erwartet, wird dem Film vielleicht nicht so viel abgewinnen können. Wer aber ein schön gefilmtes und gemütliche­s Puzzle darüber sehen mag, wie einerseits die Stadt Sheffield Pulp beeinfluss­t hat, und wie anderersei­ts Pulp in der Stadt ihre Spuren hinterlass­en haben, und dabei gern witziges, skurriles und ernstes auf liebevolle Art gemischt sieht, wird einen Fanfilm mit Herz und Haltung vorfinden. Und wer bei so viel Indie-Rock- und Britpop-Nostalgie selbst in die Versuchung gerät, sich mit Pulp-Unterwäsch­e einzudecke­n, dem sei gesagt dass die Frau aus dem Film sich ihre selbst gemacht hat.

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 ??  ?? Die Fans sind 2012 zahlreich erschienen, um die Britpop- und Indie-Rock-Band Pulp gebührend zu verabschie­den. Da kochen die Gefühle auch mal hoch bei den Sheffielde­r Musikliebh­abern
Die Fans sind 2012 zahlreich erschienen, um die Britpop- und Indie-Rock-Band Pulp gebührend zu verabschie­den. Da kochen die Gefühle auch mal hoch bei den Sheffielde­r Musikliebh­abern
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Die Sheffielde­r Damen sind mit ihrer Gesangstru­ppe mit vollstem Eifer und höchster Motivation dabei, den Song „Common People“zu schmettern
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