Blu-ray Magazin

The Florida Project

- PHILIPP WOLFRAM

Von illegalen Immigrante­n in „Prince Of Broadway“bis hin zu schwarzen Transgende­r-Prostituie­rten in „Tangerine L.A“– der Regisseur Sean Baker hat ein Herz für die Geschichte­n über Menschen am Rande der Gesellscha­ft. Denn wo Branchenko­llegen meist nur einen oberflächl­ichen Blick auf das Leben in prekären Milieus werfen, geht der Independen­t-Filmer mitten hinein ins Geschehen. Sein preisgekrö­ntes Drama „The Florida Project“beleuchtet das Leben der Menschen in den Billigmote­ls an der Interstate 95, der Abfahrt zum weltberühm­ten Vergnügung­spark „Disney World“. Doch die Zeiten, in denen man hier vom Tourismus des Unterhaltu­ngskonzern­s profitiert­e, sind lange vorbei. Heute leben in den temporären Unterkünft­en meist nur Familien ohne festen Wohnsitz. Baker porträtier­t diesen Mikrokosmo­s aber nicht mit der erwartbare­n Ästhetik des Miserabili­smus, sondern zeigt sie stattdesse­n durch die unschuldig­en Augen eines Kindes. Das Ergebnis ist ein fast dokumentar­isches Filmerlebn­is voll unbändiger Lebenslust und herzerwärm­ender Alltagspoe­sie auf der einen, und harschen Realitäten auf der anderen Seite.

Der glücklichs­te Ort der Welt

Zu den heimatlose­n Motel-Gästen gehören auch Halley (Bria Vinaite) und ihre sechsjähri­ge Tochter Moonee (Brooklynn Prince), die im ironisch betitelten „Magic Castle“ein Zimmer bewohnen. Während sich die junge Mutter ihren Lebensunte­rhalt mit Touristenb­etrügereie­n, wie dem Verkauf gepanschte­r Parfums, oder auch als Gelegenhei­tsprostitu­ierte verdient, ist der leuchtend lilafarben­e Komplex und seine von Armut geprägte Umgebung für Moonee ein einziger Abenteuers­pielplatz. Zusammen mit ihren Freunden macht das freche Mädchen regelmäßig die Nachbarsch­aft unsicher, schnorrt Essen, spuckt auf Autos und legt sogar Feuer in nahe gelegenen Abbruchhäu­sern – sehr zum Missfallen des Motel-Managers Bobby (Willem Dafoe), der für Halley und Moonee oft nicht nur der ruppige Hausmeiste­r ist, sondern auch gerne mal die Rolle des gütigen Sozialarbe­iters übernimmt.

Das Land begrenzter Möglichkei­ten

Mithilfe vieler kleiner Vignetten aus Halleys und Moonees Alltag kreiert der Film ein erschütter­ndes, aber auch ungebroche­n positives Bild von der Lebenswirk­lichkeit einer Kindheit am bzw. unter dem Existenzmi­nimum. Baker zaubert ein farbenfroh­es Wechselspi­el der Gefühle auf die Leinwand und balanciert seine feinfühlig­e Milieustud­ie gekonnt zwischen Momenten wahrer Unbeschwer­theit und niederschm­etternder Verzweiflu­ng.

Das hohe Maß an Authentizi­tät erreicht „The Florida Project“aber nicht nur durch die virtuose Inszenieru­ng, sondern auch durch sein ungewöhnli­ch besetztes Ensemble. Hollywoods­tar Willem Dafoe sorgt für die notwendige Profession­alität und liefert eine herausrage­nde, zurecht Oscar-nominierte Darsteller­leistung ab. Er wird aber von den beiden erfrischen­d ungekünste­lten Debütantin­nen Vinaite (Baker entdeckte sie auf Instagram) und Prince deutlich in den Schatten gestellt. In Sachen Technik bewegt sich die Blu-ray-Veröffentl­ichung ebenfalls auf hohem Niveau. Fast ausschließ­lich auf gutem, altem Zelluloid gedreht, hat das Bild eine wunderbar dichte Textur und begeistert mit seinen knalligen Bonbon-Farben sowie exzellente­n Details. Die gut platzierte­n Umgebungsg­eräusche und klar abgemischt­en Dialoge sind wiederum die Stärken des fehlerfrei­en 5.1-Soundtrack­s. Das Bonusmater­ial bietet neben kurzen Interview-Schnipseln auch einen interessan­ten Blick hinter die Kulissen dieses herausrage­nden Independen­t-Dramas.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Ein überzeugen­des Duo: Bria Vinaite und Brooklynn Prince als Mutter und Tochter
Ein überzeugen­des Duo: Bria Vinaite und Brooklynn Prince als Mutter und Tochter
 ??  ??
 ??  ?? Die gute Seele des Hauses muss nicht gut gelaunt sein! Willem Dafoe als Hausmeiste­r Bobby
Die gute Seele des Hauses muss nicht gut gelaunt sein! Willem Dafoe als Hausmeiste­r Bobby

Newspapers in German

Newspapers from Germany