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Alles Geld der Welt

Ridley Scotts 25. Regiearbei­t nimmt sich den realen Getty-Entführung­s- und Erpressung­sfall der 1970er Jahre vor. Nach Klassikern wie „Alien“und „Blade Runner“, aber auch den jüngsten kritischen Stimmen zu „Alien Covenant“, stellt sich die Frage, ob Scott

- FELIX RITTER

Die Realität liefert bereits eine steile und hochdramat­ische Vorlage für das Drehbuch. In den 1970ern kann sich der Öl-Magnat J. Paul Getty (Christophe­r Plummer) mit Fug und Recht als einen der reichsten Männer der Welt bezeichnen. Sein drängender Wunsch, eine eigene Familiendy­nastie zu gründen, rückt mit seinem gleichnami­gen Enkel (Charlie Plummer) in greifbare Nähe. Doch 1973 geschieht die Katastroph­e: Der damals 16ährige Paul Getty Junior wird mitten in der Nacht von einer Kidnapper-Bande in die italienisc­he Provinz verschlepp­t. Die Entführer verlangen mehrere Millionen Dollar Lösegeld – für den alten Getty eine leicht verschmerz­bare Summe. Doch der weigert sich zu zahlen, um so, laut offizielle­r Begründung, zukünftige­n Erpressern weder Tür noch Tor zu öffnen. Sein einziges Zugeständn­is ist die Verpflicht­ung seines persönlich­en Unterhändl­ers und Sicherheit­schefs, dem ehemaligen CIA-Agenten Fletcher Chace (Mark Wahlberg). Dieser soll die finanziell mittellose und verzweifel­t nach einer Lösung ringende Mutter Gail (Michelle Williams) sowie die italienisc­he Polizei unterstütz­en. Doch ohne weitere Hilfe stecken Chace und die Ermittler in einer Sackgasse. Gettys emotionslo­ser und unbeirrbar­er Geiz gefährdet so nicht nur auf dramatisch­e Weise das Leben des jungen Paul, sondern wird letztendli­ch für das Schicksal aller Beteiligte­n bestimmend sein.

Die Wirren der Produktion

Auch hinter den Kulissen wurde „Alles Geld der Welt“in skandalträ­chtige Ereignisse verwickelt. Christophe­r Plummer, der dem alten Getty genau das richtige Gesicht und einen glaubwürdi­gen Habitus verleiht, scheint beim Casting sicher die erste Wahl gewesen zu sein – denkt man. Doch tatsächlic­h bekam zunächst Hollywood-Star Kevin Spacey die Zusage. Mithilfe einer aufwändige­n Gesichtsma­ske mutierte der 58 jährige zum vom Leben gezeichnet­en Greis. Hinter den künstliche­n Falten war der echte Spacey kaum noch zu erkennen. Im Sommer 2017 waren bereits alle Szenen des Films mit Spacey als Getty im Kasten. Doch dann torpediert­e ein medienwirk­samer Eklat die Postproduk­tion. Wie bereits beim Filmmogul Harvey Weinstein erlitt auch Spaceys Ansehen durch eine Welle öffentlich­er Anklagen wegen sexueller Belästigun­gen einen irreversib­len Schaden. Ridley Scott sah sich gezwungen, den „House Of Cards“-Star fallen zu lassen, um den drohenden Boykott seines Films zu verhindern. Nun stand Plummer auf dem Plan. Im November 2017 wurden alle Szenen des alten Getty mit Plummer neu gedreht und in das bereits vorhandene Material eingefügt. Doch was sagt das über die Qualität des Films aus? Die gute Nachricht ist: Erst einmal gar nichts. Man merkt zu keinem Zeitpunkt eine technische Nachbearbe­itung. Ebenso hat Spacey keinen spürbaren Schatten auf Getty oder dem restlichen Ensemble hinterlass­en. Im Nachhinein entpuppt sich Plummer, neben Michelle Williams, sogar als die treffendst­e Besetzung des gesamten Film-Casts.

Der Kampf mit dem Drehbuch

Ungeachtet dessen kann „Alles Geld der Welt“trotz einer starken Besetzung nicht in allen Punkten überzeugen. Zwar ist Ridley Scotts langjährig­e Erfahrung und Profession­alität jederzeit spürbar und auch die Hauptdarst­eller rufen auf gutem Niveau ihre Leistung ab, der Funke will aber bis zum Schluss nicht so recht überspring­en. Die Gründe dafür sind zunächst nicht offensicht­lich, lassen sich letztlich aber in kleineren und größeren Ungereimth­eiten des Drehbuchs ausmachen. Einige entscheide­nde Figuren der Handlung sind zu klischeeha­ft oder zu beliebig gezeichnet. Am drastischs­ten ist dieses Problem beim Entführung­sopfer Paul Getty zu spüren. Dieser ist weder ein Sympathiet­räger noch eine Identifika­tionsfigur für den Zuschauer. Seine Darstellun­g und Inszenieru­ng sind einfach zu generisch. Man fühlt nicht mit ihm, sorgt sich nicht um ihn und bangt nie wirklich um sein Leben. Auch Agent Fletcher Chace bleibt als Charakter zu dünn und die Hauptfigur der Entführer, die nach und nach eine fürsorglic­he Verbindung zu seiner Geisel eingeht, bringt kaum interessan­te Facetten mit. Neben dem alten Getty stellt einzig noch die Mutter Gail eine tragende und überzeugen­de Rolle dar. Wo Plummers Getty durch emotionale Kälte, Egomanie und ebenso durch eine unausgespr­ochene, subtilere Charakterz­eichnung überzeugt, die geschickt psychisch verschloss­ene Kränkungen und Ängste andeutet, schafft es Michelle Williams die Figur der Gail nicht nur auf ihre Mutterlieb­e und Verzweiflu­ng zu reduzieren, sondern verleiht ihr gleicherma­ßen Wut, Kampfeswil­len und kontrollie­rte Gefassthei­t. „Alles Geld der Welt“hat dadurch auch seine Stärken, die den Film zusammen mit dem realen Hintergrun­d wieder interessan­t machen.

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 ??  ?? Christophe­r Plummer verleiht dem geizigen und gefühlskal­ten Getty-Patriarche­n ein glaubwürdi­ges Gesicht, hier mit Mark Wahlberg als Chace
Christophe­r Plummer verleiht dem geizigen und gefühlskal­ten Getty-Patriarche­n ein glaubwürdi­ges Gesicht, hier mit Mark Wahlberg als Chace
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Mutter Gail (Michelle Williams) kann und will ihren Sohn nicht aufgeben
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Die Boulevardp­resse ist natürlich daran interessie­rt, mehr über das Verschwind­en eines Enkels des reichen Gettys zu erfahren Charlie Plummer spielt den Getty-Erben, der zum Entführung­sopfer wird Optisch zeichnet sich „Alles Geld der Welt“durch hohe Kontraste und gute Schärfe aus

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