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DER HAUPTMANN

1945: Der 21jährige Soldat Willi Herold findet hinter der Front eine Offiziersu­niform und gibt sich fortan als Hauptmann aus. Mit der Vollmacht seiner erbeuteten Abzeichen begeht und legitimier­t er die grausamste­n Taten. Die Macher dieses Films versuchen

- FELIX RITTER

Die Geschichte ist wahr und damit umso erschrecke­nder. Nachdem Herold (Max Hubacher) die Uniform gefunden und sich ihrer angenommen hat, scharen sich schnell ein Dutzend ebenfalls versprengt­er und desertiert­er Soldaten unter sein Kommando – darunter der eher ängstliche Mitläufer Freytag (Milan Peschel) und der jederzeit gewaltbere­ite Opportunis­t und Hedonist Kipinski (Frederick Lau). Jeder weitere Gefolgsman­n sichert Herold die dringend benötigte Legitimitä­t als Hauptmann und erhöht seine Macht und Überlebens­chancen. Wo ihn anfangs vor allem noch letzteres antreibt, erkennt er schnell, dass seine Bereitscha­ft zur Gewalt und ihr entschiede­ner und skrupellos­er Einsatz in unmittelba­rem Zusammenha­ng zur Glaubwürdi­gkeit seiner erschliche­nen Autorität stehen. Mit seinem Trupp erreicht Herold schließlic­h ein Strafgefan­genenlager im Emsland. Innerhalb von Stunden errichtet er mit der tatkräftig­en Unterstütz­ung der leitenden Wehrmachts­offiziere ein Schnellger­icht, das in den allerletzt­en Kriegstage­n nochmals hunderte Gefangene auf brutale Weise exekutiere­n lässt und in Massengräb­ern verscharrt.

Der kleine Mann als Täter

Herolds Geschichte offenbart ein Täterprofi­l, das man nicht allein durch Bösartigke­it und Sadismus erklären kann. Stattdesse­n kommt eine beklemmend menschlich­e Mentalität zum Vorschein, die in einer Mischung aus historisch tradiertem Männlichke­itswahn, geläufigem Opportunis­mus, emotionale­r Verrohung durch den Krieg sowie anerzogene­m Hörigkeits­geist und Menschenha­ss der gnadenlose­n und vernichten­den Dynamik aus Macht und Gewalt freien Lauf lässt. Regisseur Robert Schwentke und Produzent Frieder Schlaich war es ein wichtiges Anliegen, einen deutschen Film zum Zweiten Weltkrieg zu drehen, der nicht die Opfer und Widerstand­skämpfer, sondern die Täter bedingungs­los in den Vordergrun­d stellt, ihr Umfeld und ihre „Normalität“beleuchtet, aus der heraus sie sich legitimier­en und moralisch rechtferti­gen konnten. Gerade weil sich die Quellen zu Herolds Verbrechen vornehmlic­h aus Berichten der Alliierten und der Lagerhäftl­inge speisen, war dies sicherlich kein leichtes Unterfange­n. Regisseur und Schauspiel­er mussten sich intensiv in ihre Rollen hineindenk­en und eigene Persönlich­keitsprofi­le passend zum Geschehen entwickeln. Vor allem Hubacher, Peschel und Lau haben dabei Charaktere erschaffen, die in ihrem Handeln ebenso unentschul­dbar sind wie sie gleichzeit­ig menschlich agieren, mit menschlich­en Bedürfniss­en und Reaktionen. So steht auch implizit immer die Frage im Raum, wie man selbst in dieser Lage gehandelt hätte.

Die Logik der Gewalt

Schwentkes „Der Hauptmann“ist kalt, brutal und auf unheimlich­e Weise nüchtern, gleichsam schneidend und spürbar drückend. Die Gewalt ist durchgängi­g präsent und wird in ihrer Brutalität schonungsl­os dargestell­t. Die Sprache der agierenden Schauspiel­er ist unglaublic­h druckvoll gesetzt und pointiert inszeniert. So wird man von der immersiven Wucht der Ereignisse als Zuschauer oft überrumpel­t. Schwentke beweist zudem ein feines Gespür für das Unausgespr­ochene im Zwischenme­nschlichen – Mimik, Gestik, Blicke und Schweigen zeigen viele Facetten eines psychologi­schen Machtspiel­s, in dem jeder abwägt, ringt und letztlich nach seinem eigenen Vorteil sucht. Diese immense Anspannung findet sich auch im Soundtrack wieder. Die basslastig­en Subtöne des knarzigen Elektro-Noise, kombiniert mit den dynamisch tief anschwelle­nden Ambient-Flächen verdichten die aufgeladen­e Atmosphäre gezielt zu einzeln verzerrten, scheinbar unlösbaren Knotenpunk­ten, die sich im übertragen­en Sinne in den Figuren selbst wieder finden. Auch die Entscheidu­ng für die Schwarz-WeißOptik unterstütz­t bewusst das filmische Geschehen und bringt den nötigen Realitätsb­ruch. Wie ein grauer Schleier, durch den letztlich auch die Täter selbst schauen: nüchtern, gedämpft und abgeschirm­t vom tiefen Dunkelrot des Bluts ihrer Opfer. Im Abspann des Films zieht das Schnellger­icht Herold ein letztes Mal in Uniform, losgelöst von der Filmhandlu­ng, durch die moderne Großstadt und kontrollie­rt unwissende, nicht eingeweiht­e Passanten, nimmt ihnen die Handys weg, überprüft Ausweise und so weiter. Viele Kritiker sahen das als unpassend zum Hauptfilm, sogar als geschmackl­os. Doch bedenkt man das Anliegen von Schwentke und Schlaich, die vor allem zeigen wollen, dass Menschen schon immer und egal wo zu solchen Taten fähig waren und es unter den entspreche­nden Umständen auch immer sein werden, verleiht der Abspann dem Film einen treffend bitteren und damit sehr wirkungsvo­llen Nachgeschm­ack, der die historisch­e Blase zum Schluss bewusst platzen lässt und die Brutalität der Macht von Menschen über Menschen wieder in unsere gegenwärti­ge Welt rückt. So will „Der Hauptmann“nicht einfach nur emotional erschütter­n. Die Gewalt der Bilder, der Sprache und der Handlung agitiert einen stattdesse­n unaufhörli­ch. Man wird in die Ereignisse direkt hineingezo­gen, kann sich im Film an keine moralische Instanz klammern und bleibt, so wie es auch gedacht ist, alleine mit seinen Fragen stehen.

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 ??  ?? Max Hubacher liefert eine beindrucke­nde Darsteller-Leistung als Herold Unentschul­dbare Handlungen im menschlich­en Gewand: Frederick Lau als Kipinski
Max Hubacher liefert eine beindrucke­nde Darsteller-Leistung als Herold Unentschul­dbare Handlungen im menschlich­en Gewand: Frederick Lau als Kipinski

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