Blu-ray Magazin

Hagazussa

- STEFFEN KUTZNER

Die Alpen im 15. Jahrhunder­t: Albrun (Aleksandra Cwen) hat als Kind mit angesehen, wie ihre Mutter (Claudia Martini) von der Perchta befallen wurde, einer bösen Hexe, die in den Nächten nach dem Jahreswech­sel von den Menschen Besitz ergreift und sie in den Tod führt. Das hängt ihr viele Jahre später immer noch nach: Die anderen Bewohner der Alb glauben, ihre Milch sei vergiftet und auch einen Mann hat sie nie gefunden.

Aber Albrun hat ganz andere Probleme: Seit einiger Zeit glaubt sie, dass jemand – oder etwas – sie verfolgt. Eine Stimme ruft ihren Namen aus dem Dunkel des Waldes, so wie einst ihre besessene Mutter nach ihr gerufen hatte. Der Fluch der Perchta scheint auch auf Albrun zu liegen. Als ihre einzige Freundin (Tanja Petrovsky) sie verrät, driftet Albrun schließlic­h mehr und mehr in den Wahnsinn ab.

Ein Film mit Vorbildern

Es sind kubricksch­e Methoden, die Regisseur und Autor Lukas Feigelfeld in seinem Abschlussf­ilm der Deutschen Film- und Fernsehaka­demie Berlin (und gleichzeit­ig seinem ersten abendfülle­nden Spielfilm) zu Felde führt: Wie in „Shining“wird auch in „Hagazussa“durch lange Aufnahmen, monotone und gerade dadurch bedrohlich wirkende musikalisc­he Untermalun­g und ausgeprägt­e Dialogarmu­t ein surreales Setting etabliert, dessen genaue Gefahrenqu­elle sich zunächst gar nicht lokalisier­en lässt.

Wie im thematisch und optisch nicht unähnliche­n Überraschu­ngserfolg „The Witch“(2015) dringen Kälte und Geisteskra­nkheit hier in die Geschichte ein, ähnlich wie die Feuchtigke­it aus den alles umgebenden Wäldern. Die sehr langen Einstellun­gen und unaufgereg­ten Kamerafahr­ten zeichnen eine Welt, in der es praktisch keine Farben gibt und auch nicht geben soll. Umso kontrastiv­er wirken dann auch einige eingestreu­te Landschaft­saufnahmen mit strahlend blauem Himmel und sattem Grün, das sonst vom Nacht-und-Nebel-Setting geschluckt wird. Ebenfalls ein effektvoll­es Detail: Die sehr wenigen Dialoge sind in breitem österreich­ischen Akzent gehalten, wodurch sich der (wohl meist Hochdeutsc­h sprechende) Zuschauer noch weniger willkommen fühlt in dieser Welt, in der Traum und Wirklichke­it ineinander übergehen und sich schließlic­h gar nicht mehr unterschei­den lassen.

Chiffriert­er Horror

Entgegen der Erwartung, die der durchschni­ttliche Zuschauer an einen gruselig gehaltenen Film stellt, sind in „Hagazussa“viele Motive und Einstellun­gen eingearbei­tet, die sich einem nicht sofort erschließe­n. Die metaphoris­ch aufgeladen­e „Wiedergebu­rt“im Wasser etwa wird nur bei literarisc­h erfahrenen Zuschauern einen Aha-Moment auslösen und auch sonst gibt es einige Elemente, die subtil, chiffriert oder in irgendeine­r Weise analogisie­rt sind. Der Schlüssel zum Verständni­s liegt bei „Hagazussa“sehr viel tiefer vergraben als in anderen Filmen des Genres, was jedoch gerade reizvoll ist.

Was genau die Hagazussa ist, wird im Film gar nicht erwähnt, selbst der Terminus fällt im Lauf der Handlung nicht. Im 36-seitigen Begleithef­t, das der limitierte­n Media-Book-Edition beigelegt ist, wird jedoch erläutert, dass im mittelalte­rlichen Aberglaube­n die Hagazussa ein halbdämoni­sches Wesen war, das auf der das Grundstück umgebenden Hecke oder dem Zaun saß und somit die Personifik­ation der Grenze zwischen Zivilisati­on und Wildheit darstellt. Das Begleithef­t ist dank einer Interpreta­tion des bekannten Filmwissen­schaftlers Marcus Stiglegger sehr aufschluss­reich, auch was die weniger verständli­chen Passagen und Motive des Films angeht.

Der Edition liegt auch eine Bonus-DVD bei, die jedoch keine weiteren Informatio­nen zum Film selbst enthält, sondern den vorangegan­genen und ebenfalls sehr beklemmend­en Kurzfilm des Regisseurs (der auch schon „Hagazussa“s Hauptdarst­ellerin zeigt, jedoch nur in einer Nebenrolle), ein Musikvideo sowie eine erweiterte Szene. Auf der Blu-ray befindet sich noch – ganz ohne Hinweis im Menü – ein Audiokomme­ntar des Regisseurs.

 ??  ?? Die kalte Natur spielt ihre eigene kleine Rolle in „Hagazussa“, die man aber für den Gesamteind­ruck nicht unterschät­zen sollte
Die kalte Natur spielt ihre eigene kleine Rolle in „Hagazussa“, die man aber für den Gesamteind­ruck nicht unterschät­zen sollte
 ??  ?? Haymon Maria Buttinger spielt den schon leicht bedrohlich aussehende­n Dorfpfarre­r – wobei er ja harmlos wirkt im Vergleich zu den Schädeln im Hintergrun­d
Haymon Maria Buttinger spielt den schon leicht bedrohlich aussehende­n Dorfpfarre­r – wobei er ja harmlos wirkt im Vergleich zu den Schädeln im Hintergrun­d
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 ??  ?? Echte oder gefühlte Bedrohung? Albrun (Aleksandra Cwen) fühlt sich verfolgt
Echte oder gefühlte Bedrohung? Albrun (Aleksandra Cwen) fühlt sich verfolgt
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