Brimstone
Irgendwann, irgendwo im Wilden Westen: Liz (Dakota Fanning) ist eine stumme junge Frau, deren Leben eines Tages beim Gottesdienst vollends auf den Kopf gestellt wird: Ein reisender Prediger, den niemand kennt („Memento“-Star Guy Pearce), ist in den Ort gekommen. Aber Liz kennt ihn sehr wohl – und er sie ebenfalls. Das verrät schon ihre Angst. Mit dem namenlosen Mann verbindet sie eine grausame Vergangenheit. Immer wieder versuchte sie, ihm zu entkommen.
Jetzt steht ihr neues Leben und ihre junge Familie davor, in Stücke gerissen zu werden – denn Liz heißt nicht wirklich Liz und ihr Leben ist nur Fassade. Der Reverend macht vor ihr auch keinen Hehl daraus, was er möchte: Diejenigen töten, die Liz liebt. Und eine alte Schuld einfordern, die nur zu deutlich macht, dass der Prediger keineswegs ein „Mann Gottes“ist. Die Geschichte um die junge Frau und ihre Vergangenheit wird in vier Kapiteln und tendenziell rückwärts erzählt. Eine clevere Maßnahme von Autor und Regisseur Martin Koolhoven, der bei seinen ersten Drehbuchentwürfen noch mit Rückblicken gearbeitet hatte, die sich nicht sinnvoll einfügen wollten. Schließlich bemerkte er, dass sie wesentlicher Teil der Geschichte sind und dementsprechend gleichwertig eingeflochten werden müssen. Dreieinhalb Jahre arbeitete der 49-jährige Niederländer an seinem ersten englischsprachigen Drehbuch. Weitere zwei Jahre dauerte es, die Finanzierung auf die Beine zu stellen und sogar die Produktion selbst dauerte weitere anderthalb Jahre.
Wenn von der Idee zum fertigen Film so viel Zeit vergeht, obwohl sich das Drehbuch verkauft hat, ist das gewöhnlich kein gutes Zeichen. Bei „Brimstone“ist das Gegenteil der Fall - der Western zeigt sich unkonventionell, stark erzählt und visuell eindrucksvoll. So wie schon 2014 „Das finstere Tal“dem Genre einen erfrischenden Schlag versetzte, kommt auch dieser neue Ansatz wieder aus Europa. Allerdings fand nicht jeder „Brimstone“so überzeugend.
Ein unamerikanischer Western
In Europa kam „Brimstone“bei Publikum und Kritikern ziemlich gut an, in den USA, dem Heimatland des Westerngenres, jedoch nicht. Einzig in einem Punkt waren sich alle einig: Die schauspielerischen Leistungen sind großartig. Und in der Tat ist Guy Pearce, der zuletzt in „Iron Man 3“(2013) eine prestigeträchtige Rolle spielte, in jedem einzelnen Augenblick ein schlichtweg fantastischer Bösewicht. Auch Dakota Fanning erblüht zu neuer Höchstform, wie einst in den alten Tagen, als sie mit gerade einmal zehn Jahren Denzel Washington, Tom Cruise und Robert De Niro mit einer unschuldigen Leichtigkeit an die Wand spielte.
Ein Grund, weshalb die amerikanischen Kritiker den Film nicht mochten, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Unkonventionalität sein. Kaum ein Genre ist auf seine Motive und Strukturen so festgelegt, wie der Western, vor allem der amerikanische mit seinen glattgebügelten Helden, die keinen Schmerz kennen und immer uneingeschränkt für das Gute eintreten, ohne je moralische Grenzen zu übertreten. In „Brimstone“sehen wir eine sehr junge Frau, die nicht sprechen kann – und erzählt wird nicht die Geschichte eines Kampfes für die Gerechtigkeit, sondern die einer Flucht, die voller Fehlschläge und Fehlentscheidungen ist. „Brimstone“ist darüber hinaus auch deutlich zu kompromisslos und manchmal zu brutal für Hollywood: Die Studios bevorzugen eher sterile Geschichten, die das Leben an der „Frontier“nostalgisch verklären, wie etwa „Der mit dem Wolf tanzt“, der seinerzeit sieben Oscars abräumte und das Genre bis heute (mit)definiert. Ein Film wie „Brimstone“, der auch vor unheimlichen Motiven keineswegs zurückschreckt, und einen Bösewicht bietet, bei dessen Auftauchen es jedes Mal kurz darauf unheilschwanger brennt, passt da nicht so recht ins Bild. Martin Koolhoven war allerdings schlau genug, die Finanzierung allein durch ein amerikanisches Studio abzulehnen, weil er dann die Entscheidungsgewalt über die finale Fassung verloren hätte.
Als Bonusmaterial gibt es 13 entfallene und alternative Szenen und ein paar recht ausführliche Interviews mit Guy Pearce, Dakota Fanning, Kit Harington, der in einer Nebenrolle auftaucht, und Autorenregisseur Martin Koolhoven. Weder die zusätzlichen Szenen noch die Interviews sind deutsch untertitelt.