| Thema: Deadpool 2
Wer hätte gedacht, dass solch ein ungezogener Rotzbengel wie Deadpool einmal so das (Heim-)Kino rocken würde? Er ist und bleibt eine Schande Hollywoods – Und die Zuschauer stehen drauf. Wir wiederholen die Frage: „Was bitte soll das denn?!“
Jeder gute Familien-Film beginnt mit einem fiesen Mord: „Bambi“, „Der König der Löwen“sowie „Saw 3D – Vollendung“. Was Wade Wilson, alias Deadpool, hier richtig erkannt hat, lässt sich auch auf seinen neuesten Film beziehen, denn „Deadpool 2“beginnt tatsächlich mit einem Trauma, an dem nicht nur der röteste aller Helden zu knabbern hat, sondern ebenso das Publikum. Schließlich ist einem die zauberhafte Vanessa (Morena Baccarin) im ersten Teil ans Herz gewachsen, auch wenn sie sich hier hauptsächlich nur als Entführungsopfer (ähnlich Prinzessin Peach in „Super Mario Bros.“) etablierte. Teil 2 beginnt mit dem tragischen Tod der Freundin Wilsons, die in den Comics als die wandlungsfähige Superheldin Copycat erscheint. Und das ausgerechnet an ihrem Jahrestag, kurz nachdem sie Wade offenbart hat, dass sie Nachwuchs erwarten. Schuld daran ist niemand geringerer als Wade selbst, der sich inzwischen als Auftragsmörder verdingt, weshalb ein Überlebender seines tödlichen Schaffens an der Tür klingelt und mit einer verirrten Kugel jegliche Freude aus Wilsons Leben löscht. Dieses Trauma ist der Motor des gesamten Films, in dem sich Deadpool als tragischer Held erweist, quasi als Spiegelbild des Antagonisten Cable (Josh Brolin), der in ferner Zukunft ebenfalls seine Familie verliert und nun auf Rache sinnt. Nach Rache ist Wade inzwischen nicht mehr zumute, stattdessen zerfressen ihn Selbstzweifel, die ihn in den Suizid führen. Doch wie soll sich jemand selbst umbringen, dessen Selbstheilungskräfte ihn nahezu unverwundbar machen? Dank Colossus erhält Deadpool professionelle Hilfe in der X-Villa, wobei ihm die X-Men neuen Lebenswillen geben sollen. Und das tun sie auch, selbst wenn sie es nicht wissen: Bei einem Auftrag lernt Wilson den jungen Firefist (Julian Dennison) kennen und landet gemeinsam mit ihm in einem speziellen Gefängnis für Mutanten.
Kid Apocalypse
Zugleich fliegt Cable zurück in die Vergangenheit, um den Mörder seiner Familie zur Strecke zu bringen, noch bevor dieser überhaupt zum Killer werden kann. Der Name seines Ziels lautet „Firefist“. Deadpool kann dass natürlich nicht zulassen. Während ihres ersten Aufeinandertreffens sieht er sich deshalb als „Batman“, während Cable in diesem Kontext wohl als Mann aus Stahl betitelt werden könnte. Überhaupt gibt es viele Parallelen zur Filmhandlung von „Batman V Superman“, die klar machen, dass hier zwei „Gute Jungs“gegeneinander kämpfen – jeder mit nachvollziehbaren Motiven. Nur ihre Mütter teilen sich nicht den gleichen Vornamen und die wahre Bedrohung sieht anders aus, als ein CGIOrk aus „Der Herr der Ringe“.
Comic-Fans wussten natürlich bereits vor dem Film, dass Deadpool und Cable eigentlich Seite an Seite kämpfen, weshalb die Film-Prämisse des Gegeneinanders für umso größere Spannung sorgt. In den Comics ist Cable der uneheliche Sohn des X-Man Scott Summers, alias Cyclops, und des Klons von Scotts großer Liebe Jean Grey. Als Nathan Summers wächst Cable in zerrütteten Verhältnissen auf, wird von seinem Vater verlassen und wegen einer Entführung von seiner Mutter Madelyne getrennt. Es ist Dr. Essex, der ihn in das ominöse Waisenhaus bringt, das auch sein Vater Scott in jungen Jahren bewohnte. Genau genommen hörte Sinnister, wie sich Dr. Essex irgendwann nannte, nie damit auf, Scott zu beobachten. Er war es schließlich, der Jeans Klon Madelyne schuf, da er einen mächtigen Mutanten mit Scotts und Jeans Genen „züchten“wollte. Unter Essex’ Waisenhaus befindet sich ein geheimes Labor, in dem der Wissenschaftler verbotene Experimente mit Mutanten-Kindern anstellt. Im Film kommt dieses sogenannte„Essex House For Mutant Rehabilitation“ebenfalls vor, nur in einem anderen Zusammenhang. Es ist die unfreiwillige Heimstatt des jungen Firefist, bis dieser es mit seinen Kräften teilweise in Schutt und
Asche legt. Der Grund ist hier ähnlich wie beim jungen Cable im Comic, denn auch hier werden die Kinder missbraucht. Deshalb hegt der Junge Mutant solch einen starken Groll gegen den Leiter der Institution, dass er ihn töten möchte, was ihn wiederum zum Mörder werden lassen und das Schicksal von Cables Familie besiegeln würde. Daher will ihn dieser mit aller Gewalt davon abhalten, indem er seine Fähigkeiten einsetzt.
Ein Thanos fürs Grobe
Im Film sehen wir Cable als Supersoldaten mit futuristischen Waffen, einem Energie-Schild, einem extrem starken Cyborg-Arm und generell überragenden Kampffähigkeiten. In den Comics wiederum gilt er als einer der mächtigsten Mutanten, die auf einem Level mit Professor X, Legion, Jean Grey und anderen weltverändernden Telepathen gestellt werden können. Hierfür kann man der Fantasie freien Lauf lassen. Man stelle sich eine Fähigkeit vor, die mit geistigen Superkräften umsetzbar wäre und darf sich sicher sein, dass Cable diese beherrscht: z. B.: Telekinese, telepathische Beeinflussung von Menschen, Teleportation, telepathische Illusionen, telepathische Präkognition und viele weitere Begriffe, die mit „tele“beginnen. Warum also wurden seine Fähigkeiten im Film zurückgestuft? Dafür gibt es gewiss vielerlei Gründe. Zum einen, weil zu viel Macht kein großes Drama ermöglicht, zum anderen weil visuelle Effekte nun einmal viel Geld kosten, weshalb mit ihnen hausgehalten werden muss. Innerhalb der Geschichte könnte man argumentieren, dass Cable eben einen Teil seiner Kräfte nicht ausüben kann, weil ihn der in seinem Körper befindliche techno-organische Virus schwächt. Dieser ist auch beispielsweise der Grund für Cables Cyborg-Arm. Damit der Virus nicht noch mehr seines organischen Körpers in Technologie verwandelt, muss ihn sein Wirt stetig mit telekinetischen Kräften in Zaum halten. Zugleich ist der Virus aber auch in der Lage, selbst totes Gewebe wieder zum Leben zu erwecken …
McAvoy oder Stewart? McAvoy!
Vor allem ist Cable aber auch eines: Er ist ein Zeitreisender. Die einzige Begrenzung darin liegt in der für jeden Sprung benötigten Energieladung, weshalb es sowohl dramatisch als auch flexibel bleibt, wie die Zeitreise die Handlung beeinflussen kann. Einige der besten Filme aller Zeiten faszinieren mit den paradoxen Eigenschaften, die die Reise durch die Zeit mit sich bringt: „Zurück in die Zukunft“, „Looper“, „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“und nicht zuletzt die „Terminator“-Reihe, in der Arnold Schwarzenegger als unaufhaltsame Killermaschine in die Vergangenheit geschickt wird, um eine Schlüsselperson zu töten, noch bevor sie geboren ist. Moment mal: Klang Cables Waffe beim Nachladen nicht genauso wie der T-1000, als er in Sarah Connors Zelle einbricht? Auch der im Film gezeigte Spielplatz erinnert stark an Sarahs atomare Albtraum-Sequenz aus „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“. Mit seinen Cyborg-Teilen und dem glühenden Auge sieht Cable ohnehin wie der von Arnie verkörperte T-800 aus, weshalb sehr gut Parallelen zum „Terminator“-Franchise gezogen werden können. Aber auch sonst funktioniert das Zeitreise-Thema erzähltechnisch mindestens genauso gut, wie in „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“.
„Deadpool 2“wird übrigens nicht Josh Brolins letzter Auftritt als Cable sein, denn er hat auch noch für drei weitere Filme unterschrieben, von denen der geplante, von Drew Goddard umgesetzte „X-Force“der nächste sein dürfte.
Ein wahrer Glücks-Griff
Es gibt allerdings einen Charakter in diesem Film, der als einziger wirklich Einfluss auf die gesamte Handlung nimmt und ebenfalls noch später bei „X-Force“auftreten wird. Ohne diese Person würde sich alles komplett zum schlechteren wenden. Die Rede ist natürlich von der energiegeladenen „Foxy Lady“Domino (gespielt von der aus Berlin stammenden Zazie Beetz), deren Superfähigkeit das pure Glück ist. Egal, was sie tut, es trägt zu ihrem Glück bei. Stößt sie an den Rückspiegel eines Transporters, blendet dieser später einen gewissen Scharfschützen. Springt sie in das offene Schiebedach eines fahrenden Autos, landet sie perfekt auf dem Sitz. Beim völlig daneben gehenden Vorstellungsgespräch kriegt sie die Stelle. Im Prinzip hat sie die beste Superkraft von allen, die allerdings ausschließlich für sie allein wirkt. Sich in ihrer Nähe aufzuhalten, bringt also keinen unmittelbaren Vorteil, zumal das von ihr abgeperlte Pech ja auch irgendwo hin muss. Domino erscheint in den Comics als eher bleiche Person mit einem schwarzen Kreis ums eine Auge. Da wirkt Zazie Beetz’ Erscheinung schon deutlich gesünder, während ihr sommerliches Gemüt und lockerer Charakter zusätzliche Coolness ins Spiel bringt. Wesentlich weniger verwirrend im Vergleich zum Comic ist auch Dominos Beziehung zu den restlichen Hauptfiguren, da sie im Film mehr wie die coole Schwester wirkt, anstatt wie eine ernstzunehmende Liebe. Man stelle sich nur vor, dass Domino im Original als Deadpools Freundin Vanessa eingeführt wurde, die sich mittels ihrer besonderen Fähigkeiten als die Glücksgöttin getarnt und ihren Platz ein-
genommen hat. Die echte Domino hasste den roten Strumpfhosen-Träger und dessen Formwandler-Freundin deshalb und führte zudem ein Verhältnis zu Cable, was die Sache stark verkomplizierte. Welch Glück, dass Domino den Blockbuster dermaßen rockt, dass man sie sogar als Hauptgrund anführen könnte, sich ebendiesen anzuschauen. Mehr Spaß und grandios choreographierte Kampf-Action sieht man selten.
Vom Thor-Regisseur geliehen
Nachdem Ryan Reynolds Taika Waititis („Thor – Tag der Entscheidung“) brillante Dramedy „Wo die wilden Menschen jagen“sah, in dem es ebenfalls um einen rebellierenden Waisen-Jungen geht, soll er angeblich direkt auf den Jungdarsteller Julian Dennison für die Rolle des Firefist bestanden haben. Dieser konnte den Vorgängerfilm aufgrund der Altersfreigabe zu jenem Zeitpunkt natürlich noch nicht kennen, sagte aber dennoch zu. Mit seinen inzwischen 16 Jahren dürfte der Neuseeländer mittlerweile alt genug sein, um beide Filme ohne Probleme sehen zu dürfen. Im Film verkörpert er einen charakteristischen Superhelden, wie man ihn viel zu selten zu sehen bekommt. Nahezu alle Helden sehen stets athletisch und modelhaft aus, als ob es keinen Alltagstypen mit Superkräften geben könnte. Firefist ist da eine willkommene Abwechslung, der in der Vorlage zwar auch eher dem Schönheitsideal entspricht, dafür aber die gleichen Probleme mit seinen unkontrollierbaren pyrotechnischen Kräften hat wie Dennisons Filmfigur. Ob er es hier allerdings auch in die Heldengruppe namens X-Factor schafft, hängt mit Cables moralischem Kompass und Deadpools Überredenskünsten zusammen.
Ein voller „Winnie-the-Pooh“
Dreh und Angelpunkt ist weiterhin der Held aller Helden – der ausdauerndste, beste, schönste, heißeste, redegewandteste, charmanteste, Einhorn-liebenste, verantwortungsvollste und abgefahrenste Masken-Träger, der jemals einen Buchstabierwettbewerb gewonnen hat. Warum Deadpool gerade Einhörner mag? Nun, drücken wir es einmal so aus: Er steht halt auf große „Hörner“. Nicht umsonst warnt ihn seine verschiedene Frau aus der Geisterwelt heraus, die Finger von Colossus zu lassen. Er hält sich also alle Möglichkeiten offen. Praktischerweise trägt Deadpool die meiste Zeit über eine Maske, die im Falle des Films komplett computeranimiert wurde. Vorteil 1 dieser Technik ist dabei, dass die Animatoren Reynolds Gesicht als Orientierung für die Bewegungen der Maske verwenden können und neben den angedeuteten Mundbewegungen auch die Augen recht flexibel im Ausdruck bleiben sowie viele Emotionen transportieren. Vorteil 2 ist, dass auch nach dem Hauptdreh noch Korrekturen und Anpassungen an Deadpools Dialogen gemacht werden können, da Reynolds den Text sowieso noch einmal in der Postproduktionsphase einspricht. Auf diese Weise können die Dialoge bis zum Schluss bearbeitet und Deadpools Mundbewegungen dynamisch von den Animatoren angepasst werden, damit jede Pointe auch wirklich sitzt. Dank