Arthur & Claire
Schon als der Österreicher Arthur Schlesinger (Josef Hader) im Flieger sitzt und sich staubtrocken mit einem zugegeben recht unsympathischen kleinen Jungen auseinander setzt, denkt man: Dieser Mann hat von allem die Schnauze voll. Wie sehr dies zutrifft, stellt man fest, als Arthur sich mit einem befreundeten Arzt trifft, der überraschend wehmütig dreinschaut bei diesem Wiedersehen. Aber Arthur ist auch nicht hier, um über alte Zeiten zu sprechen, und auch nicht um seinen unheilbaren Lungenkrebs zu behandeln. Er ist nach Amsterdam gekommen, um bei seinem Freund Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Ihm bleibt eine letzte Nacht, die er gedenkt, geruhsam im Hotel zu verbringen. Er setzt den Füllfederhalter an, um seinen Abschiedsbrief zu schreiben, aber von nebenan dröhnt laute Musik. Als er sich wegen der Ruhestörung beschweren will, trifft er auf die deutlich jüngere Claire (Hannah Hoekstra). Ihr Musikgeschmack mag sich auf den ersten Blick unterscheiden, aber sie haben doch etwas gemeinsam: Claire hat vor, sich das Leben zu nehmen. Das Zusammentreffen könnte zunächst kaum feindseliger verlaufen.
Um Leben und Tod, aber leise
Aber irgendwie will keiner so wirklich, dass der andere stirbt, also verbringen sie die Nacht redend, während sie durch die Stadt ziehen und versuchen, herauszufinden wer der andere ist und wieso er nicht mehr leben will. Filme, in denen Menschen unverhofft eine schicksalhafte Begegnung haben, gab es schon öfter. Bestes Beispiel dafür ist „Before Sunrise“von Richard Linklater. „Arthur & Claire“ist aber anders. Zum einen ist das Interesse der beiden aneinander nicht romantisch. Zum anderen ist Interesse ein völlig unzureichendes Wort. Die beiden schweben irgendwo zwischen Irritation und Mitgefühl, Annäherung und gegenseitigem vor den Kopf stoßen. Während sie zusammen essen gehen und auch andere Dinge konsumieren, für die Amsterdam bekannt ist, wird die Stadt ganz nebenbei zur dritten Hauptrolle des Films – eine deutliche Ähnlichkeit mit Linklaters Klassiker, der in Wien spielte. Aber hier geht es nicht einfach nur um eine Begegnung, die vielleicht das Leben verändert, sondern vielmehr um eine, die womöglich das Sterben verändert. Es fühlt sich zwar irgendwie falsch an, zu schreiben dass man sich vom Todeswunsch zweier Menschen gut unterhalten fühlt, aber bei „Arthur & Claire“handelt es sich um eine tiefschwarze Tragikomödie, die eben auch ziemlich lustig ist, obwohl sie ihr Thema stets ernst nimmt. Die Handlung entspinnt sich langsam und lässt ihren Charakteren jede Menge Raum, sich langsam zu entfalten. Jeder desillusionierte Blick, jeder bissige Seitenhieb und jeder böse Witz findet seinen Platz. Dabei ist „Arthur & Claire“in genau den richtigen Momenten warm und herzlich. Dieses Wechseln zwischen gemeinsam und einsam ist es, was den Film spannend hält. Hier wird wenig auf einfache Plot-Lösungen und künstliches Drama gesetzt. „Arthur & Claire“bleibt interessant, weil die beiden sich in dieser Nacht einerseits gegenseitig brauchen, aber beide auch jederzeit bereit sind, die gemeinsame Zeit zu beenden. Beide Hauptrollen sind sehr gut besetzt und überzeugen. Insbesondere Haders filigrane, aber stets deutliche Mimik fasziniert immer wieder. Das Bild hat eine gute Detailschärfe, die gedämpften Farben unterstreichen das ruhige Erzähltempo. Beim Ton hält sich alles solide im guten durchschnittlichen Bereich, und das Verständnis ist trotz des steten Wechsels zwischen Wiener Schmäh und niederländischem Akzent weitestgehend gut. Die deutsch-österreichisch-niederländische Produktion basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Stefan Vögel und erweist sich als leise, aber berührende und intelligent gemachte Perle. Schon allein für die komplexe Dynamik zwischen dem brillanten Hader und der talentierten Hoekstra lohnt sich der Film.