Das schweigende Klassenzimmer
Herbst 1956, sowjetischer Sektor: Theo (Leonard Scheicher) ist ein Freidenker, der Kleeblättern ein viertes Blatt anklebt und russische Soldaten mit Nüssen bewirft, weil sie den Freiheitskampf der Ungarn unterdrücken. Sein bester Freund Kurt (Tom Gramenz) ist ein eher systemkonformer Einserschüler, lässt sich aber bereitwillig in die Aktionen seines besten Freundes verwickeln. Im Frühjahr steht das Abitur an; aber so weit kommt es gar nicht. Als Kurt, Theo und einige Klassenkameraden heimlich RIAS hören und erfahren, dass der Aufstand in Ungarn blutig niedergeschlagen wurde, nehmen sie sich ein Beispiel an der Reaktion der Mitglieder des Europarates und halten während des Unterrichts eine Schweigeminute ab – ein Affront, den die Schulleitung nicht hinnehmen kann. Die Sache wird zum Politikum. Als sich der DDR-Bildungsminister persönlich einschaltet, um die Rädelsführer der „Konterrevolution“zu entlarven, müssen sich die Schüler eingestehen, dass ihr kleiner Protest aus dem Ruder gelaufen ist. Wollen sie nun Stellung beziehen und zusammenstehen oder klein beigeben und sich gegenseitig verraten?
Helden und Solidarität
„Das schweigende Klassenzimmer“ist eine überaus kraftvolle Geschichte, die, und das ist sehr wichtig, nicht plump erzählt, wie barbarisch doch die DDR ihre Einwohner unterdrückte, sondern wie sich zwischenmenschliche Beziehungen in kleinen und großen Momenten aufeinander zu oder voneinander wegbewegen. Natürlich werden in die verschiedenen sozialen Verstrickungen auch eine Menge historischer Unwegsamkeiten eingestreut, die die Komplexität der Figuren erweitern – so war einer der Schülerväter beim Aufstand 1953 dabei, was vor dem Sohn jedoch verheimlicht wurde. Dass nahezu alle Figuren einen detaillierten Hintergrund haben, der mal mehr, mal weniger intensiv beleuchtet wird, hilft dem Film außerordentlich, wenngleich die toll ausgearbeiteten Figuren keine Errungenschaft des Drehbuchautors sind, sondern des Sachbuchautors Dietrich Garstka, der selbst einer der Schüler war, die im Herbst 1956 in Storkow in der Provinz Brandenburgs eine folgenschwere Schweigeminute abhielten. Natürlich nimmt sich der Film hier und dort einige Freiheiten und baut dramaturgische Finessen ein. „Das schweigende Klassenzimmer“ist ein faszinierender, hoffnungsvoller, Mut machender Film, in dem mit viel Leidenschaft das Konzept von Solidarität bekräftigt und, von anderer Seite betrachtet, aufgelöst wird. Menschen, die für ihre Überzeugungen Risiken eingehen und große Opfer bringen, werden gewöhnlich zu Helden erklärt, solange sie für die - im Nachhinein – „richtige“Sache kämpfen.
Filme und Geschichten über Helden, die sich gegen ein ungerechtes System auflehnen, hatten seit jeher Hochkonjunktur, denn sie funktionieren ganz sicher. Das bewiesen erst vor wenigen Jahren die Filme um die „Tribute von Panem“wieder. „Das schweigende Klassenzimmer“ist schon allein aus diesem Grund sehenswert. Ein anderer ist die großartige Besetzung. Neben deutschen Größen wie Michael Gwisdek, Florian Lukas und Burghart Klaußner bietet die Geschichte natürlich auch einigen Jungtalenten Raum zur Entfaltung. Dabei ragt Jonas Dassler besonders heraus. Er spielt Erik, einen dem Sozialismus treu ergebenen Mitschüler, der in der Handlung des Films eine zentrale Rolle spielt. Der 22-Jährige ist bisher nur in drei anderen Filmen zu sehen gewesen, zuletzt unter der Regie von Florian Henckel von Donnersmark, dreht aber gerade mit Fatih Akin die Verfilmung des erfolgreichen Heinz-Strunk-Romans „Der goldene Handschuh“und wurde dort für die Hauptrolle des Serienmörders Fritz Honka besetzt. Für „Das schweigende Klassenzimmer“und seine vorangegangene Rolle in „LOMO: The Language Of Many Others“erhielt er den Bayerischen Filmpreis als Bester Nachwuchsdarsteller.