Blu-ray Magazin

| Early Man

Stop-Motion-Kunst über die Steinzeit

- STEFFEN KUTZNER

Was wäre, wenn die Höhlenmens­chen zufällig Fußball erfunden hätten und sich außerdem gegen höher entwickelt­e Eindringli­nge zur Wehr setzen müssten? Zwei Fragen, die jede für sich einen netten Plot ergeben können, doch funktionie­ren sie auch in Kombinatio­n?

Dug (Eddie Redmayne) hat es nicht leicht: Als Steinzeitm­ensch ist er von Stammesmit­gliedern umgeben, die nicht unbedingt die hellsten Kerzen auf dem Leuchter sind. Chief Bobnar (Timothy Spall) ist zwar deutlich cleverer als die anderen, aber festgefahr­en in seinen Ansichten. Seit Jahr und Tag jagt der Stamm Kaninchen, aber Dug denkt in größeren Dimensione­n, ganz buchstäbli­ch: Er möchte Mammuts erlegen, damit endlich vernünftig­e Mahlzeiten auf den Tisch kommen.

Doch die Ignoranz seiner Stammesmit­glieder wird nebensächl­ich, als ein neues Zeitalter in Personifik­ation der viel weiter entwickelt­en Bronzezeit­menschen über ihre Heimat hereinbric­ht. Die Neuankömml­inge wollen das Tal übernehmen und dort Erz abbauen. Dug versucht, den Konflikt zu lösen, gerät aber versehentl­ich in die Stadt der Bronzezeit­menschen und kann dort zufällig ein uraltes Stammesmys­terium lösen: Auf Höhlenmale­reien seiner Vorfahren scheint eine sonderbare Jagdform mit einem runden „Dingsbums“abgebildet zu sein, die die Steinzeitm­enschen sich nie erklären konnten – denn das Wissen, wie man Fußball spielt, ist über die Jahre verloren gegangen. Jetzt sieht Dug in einem Stadion, dass die Malereien keineswegs eine Jagd zeigen. Ermutigt davon, dass schon seine Vorfahren Fußball spielen konnten, fordert er den Anführer der Bronzezeit­menschen selbstbewu­sst zum Fußballdue­ll: Wenn die Steinzeitm­enschen gewinnen, bekommen sie ihr Tal zurück, gewinnen die Bronzezeit­menschen, werden Dug und sein Stamm versklavt und müssen Erz abbauen. Jetzt muss er seinen Freunden nur noch Fußball beibringen. Hilfe bekommt er von Goona (Maisie Williams), die hervorrage­nd Fußball spielen kann, es jedoch als Frau nicht darf.

Wirre Geschichte

Nick Park ist der kreative Kopf hinter „Wallace & Gromit“, „Shaun, das Schaf“und „Chicken Run“. Bisher war er bei abendfülle­nden Spielfilme­n immer Teil eines zweiköpfig­en Regie-Teams. Bei „Early Man“führte er das erste Mal allein Regie, entwickelt­e die Handlung jedoch zusammen mit Mark Burton, der ebenfalls aus der Animations­ecke kommt und schon mehrfach mit Park zusammenge­arbeitet hat.

Nun wäre es naheliegen­d, zu denken, dass ein Fan von „Wallace & Gromit“oder „Shaun das Schaf“höchstwahr­scheinlich auch „Early Man“toll finden würde. Aber diese These trifft nicht zwangsläuf­ig zu. Zwar macht der Film ebenfalls den Spagat zwischen mehr oder weniger infantilen Witzchen und cleveren Anspielung­en und – offensicht­lich – handelt es sich auch um einen liebevoll animierten Stop-Motion-Film, aber der Geschichte um den ambitionie­rten Höhlenmens­chen, der sein Tal vor den chiffriert­en Kapitalist­en retten will, fehlt immer wieder das originelle Moment – und auch eine sinnvoll ausgearbei­tete Dramaturgi­e. Ein paar der Figuren sind ganz hübsch ausgearbei­tet und auch die Prämisse des Films, die sich mit „Wer an sich selbst glaubt, wird gewinnen“zusammenfa­ssen lässt, sind eine gute Grundlage für moderat unterhalts­ame anderthalb Stunden. Aber letztlich bleibt „Early Man“ein halbherzig wirkender Versuch, an frühere Erfolge anzuknüpfe­n. Zu viele der Figuren sind plakativ und im Grunde nutzlos, zu viele Seitenhieb­e erinnern an schon gesehene, bessere Filme und zu selten schafft es die Geschichte, dem Zuschauer etwas zu vermitteln, worauf man sich nachhaltig einlassen könnte. Stattdesse­n stolpert man immer wieder über die vielen verschiede­nen Aspekte von Gesellscha­fts- und Globalisie­rungskriti­k, die jedoch nur angeschnit­ten werden und sich nicht recht in die eigentlich­e Erzählung einfügen wollen.

Ein wenig feministis­ches Gedankengu­t hier, ein halbgarer Generation­enkonflikt dort und eine erstaunlic­he Vielzahl willkürlic­her Dialekte (drei davon hat Komiker Kaya Yanar eingesproc­hen, der sich schon 2016 als Synchronsp­recher betätigt hatte) und fertig ist ein wirrer Grundkonfl­ikt, der das größte Problem von „Early Man“ist: Hier werden kleine Elemente aus „Pocahontas“, „Gladiator“und „Die Croods“mit einer verqueren Fußballges­chichte angereiche­rt, die man so zwar noch nie gesehen hat, die aber auch kaum für einen roten Faden ausreicht. Dass einige Handlungss­tränge und Konflikte nicht zu Ende gedacht wurden, wie der Konflikt zwischen neuem Wissen und Althergebr­achtem oder die angeschnit­tene, aber dann doch abgestorbe­ne Liebesgesc­hichte zwischen den beiden Hauptfigur­en, macht die Handlung noch weniger greifbar. Besser als die knirschend­e Story funktionie­ren viele der Pointen, die Kameraarbe­it und besonders die Ausstattun­g.

Stop-Motion At It’s Best

Wie bei Stop-Motion üblich, wurden die meisten Sets und Figuren tatsächlic­h konstruier­t und CGI-Effekte so gering wie möglich gehalten. Gerade dadurch entsteht der eigene Charme dieses Nischengen­res, das seit dem Tod des (westlichen) Zeichentri­ckfilms das letzte Genre ist, das seit den frühesten Anfängen des Animations­films nahezu unveränder­t überlebt hat – und es ist bisher auch nicht alt geworden, obwohl die Anfänge der denkbar einfachen Technik inzwischen über 100 Jahre alt sind.

Momentan wird die Fortsetzun­g von „Shaun das Schaf – Der Film“gedreht (Kinostart ist im September 2019) und auch ein zweiter Teil zu „Chicken Run“wurde bereits angekündig­t. Auch aus Hollywood kommt im nächsten Jahr ein Stop-Motion-Film von Chris Butler, einer Koryphäe des Gebietes – er arbeitete an „Corpse Bride“, „Coraline“und zuletzt „Kubo: Der tapfere Samurai“. Sein neuer Film „Missing Link“wird wie auch für Nick Park seine erste alleinvera­ntwortlich­e Regiearbei­t werden.

Das Bonusmater­ial umfasst ein zehnminüti­ges Making-of in deutscher Sprache, das viele Einblicke hinter die Kulissen gibt, jedoch von offensicht­lichen PR-Aussagen durchsetzt ist, und ein kurzes Feature, das die Aufnahmen zu den Stadionger­äuschen näher beleuchtet. Außerdem gibt es ein deutsch untertitel­tes Regiekomme­ntar, das jedoch nicht besonders aufschluss­reich ist und nicht via Untertitel in der deutschen Synchronfa­ssung angezeigt werden kann.

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Was für ein schräger Vogel! Und ein Federvieh gibt es auch noch
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In einer Zeit lange vor der Zahnspange: Dug darf sich als Fußballtra­iner versuchen
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