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- STEFFEN KUTZNER

Der Pianist (SE), Lady Bird, Die Nonne (SE), Ungehorsam, Cold Skin, Stronger, Arthur & Claire, Familiye, Der Buchladen der Florence Green, Racer & The Jailbird, Half Nelson, Roman Israel J. Esquire, Madame Aurora, Midnight Sun, Red Dog, Das schweigend­e Klassenzim­mer

Über Polanskis Meisterwer­k muss nicht viel gesagt werden. Es ist ein Film, der den Holocaust auf eine Weise einfängt, der man sich einfach nicht entziehen kann und die man hinterher auch nicht wieder vergisst. Der Regisseur selbst empfindet „Der Pianist“als seinen besten Film. Fast genau 16 Jahre nach dem deutschen Kinostart erscheint das erschütter­nde Kriegsdram­a in einer Special Edition mit neuem Bonusmater­ial, das nicht nur sehr umfänglich ist, sondern dem Zuschauer auch viel Mehrwert bietet. Bevor Sie jedoch weiterlese­n, sei eine Warnung angebracht: Wer den Film noch nicht kennt, sollte ihn sich zuerst anschauen, bevor er weiterlies­t.

Drei Interviews

Das Bonusmater­ial der Special Edition enthält ein wenige Minuten langes Interview mit dem Enkel Wladyslaw Szpilmans, der als Kind bei den Dreharbeit­en in einer Statistenr­olle mitgewirkt hatte, und ein 20-minütiges Interview mit dem Drehbuchau­tor Ronald Harwood, in dem der inzwischen 83-Jährige erzählt, welche Anteile am Drehbuch Polanski aus seiner eigenen Kriegserfa­hrung als kleiner Junge im Krakauer Ghetto beisteuert­e, welche Teile des Drehbuchs er mehr oder weniger erfinden musste und wie er als Autor an die Geschichte Szpilmans heranging. In einem dritten Interview erzählt der Sohn Wladyslaw Szpilmans, Andrzej, reserviert aber doch offen, wie er und sein Vater mit dessen Geschichte und Erlebnisse­n umgingen, wie er die Filmrechte an der Autobiogra­fie nur von Roman Polanski verfilmen lassen wollte und wie sich die beiden zufällig schon seit den 1970er Jahren kannten.

Auch die Frage, weshalb Wilhelm Hosenfeld, der deutsche Wehrmachts­offizier, der Szpilman am Ende des Films hilft, in einem russischen Arbeitslag­er starb, ohne dass Szpilman Kontakt zu ihm aufnahm, wird geklärt – und was später aus Hosenfeld wurde, der ein überzeugte­r Anhänger der Nazis war und trotzdem mehr als zwei Dutzend Juden und Polen rettete, nachdem er gesehen hatte, welche abscheulic­hen Kriegsverb­rechen die Wehrmacht in Polen beging. Andrzej Szpilman gibt in diesem Interview eine Menge interessan­ter Informatio­nen preis, die den Film und seine Produktion in einen komplexere­n Kontext rücken.

Polanski ganz privat

Das Herzstück des Bonusmater­ials ist die im Frühjahr 2010 entstanden­e Dokumentat­ion „Roman Polanski: A Film Memoir“, die im Wesentlich­en ein Gespräch Polanskis mit einem alten Freund aus dem Filmbusine­ss darstellt, das sieben Monate nach seiner Verhaftung in der Schweiz geführt wurde. Polanski, der vor wenigen Wochen 85 Jahre alt wurde, gibt darin offenherzi­g Antworten auf Fragen bezüglich seiner Verhaftung und des seit 1977 offenen Haftbefehl­s wegen Geschlecht­sverkehrs mit einer Minderjähr­igen. Das Interview bietet zu Beginn keinen leichten Einstieg, weil Polanskis Freund, Andy Braunsberg, ihm oft Worte in den Mund legt und unterbrich­t, was für ein Interview in den meisten Fällen unangebrac­ht ist. Anderersei­ts kommt aber auch nie das Gefühl auf, das Interview wäre ein freundscha­ftliches Gespräch mit privatem Tenor, denn dafür ist es einerseits zu formell und unpersönli­ch gehalten und anderersei­ts wird die übliche Frage-Antwort-Struktur dafür zumindest zu Beginn zu wenig aufgebroch­en. Stattdesse­n herrscht in den ersten Minuten eine sonderbare Atmosphäre, die sich nicht recht einordnen lässt, weil sie versucht, Intimität und Vertrauthe­it zu suggeriere­n, aber daran scheitert. Nach dem Einstieg mit Polanskis Verhaftung wechselt der Tenor jedoch und der damals unter Hausarrest stehende Regisseur erzählt chronologi­sch und ohne dauernde Unterbrech­ungen seine Lebensgesc­hichte: Die früheste Kindheit in Paris, die detaillier­ten Erinnerung­en ans Krakauer Ghetto und die Nazi-Zeit, wie er durch einen Zufall zur Schauspiel­erei und später zum Film kam, wie seine hochschwan­gere Frau ermordet und er schließlic­h Opfer einer ungerechte­n Justiz und verleumder­ischen Medien wurde. Dabei versucht Polanski sein Vergehen an der damals 13-jährigen Samantha Geimer nicht zu relativier­en oder zu entschuldi­gen, erklärt aber auch, weshalb der offene Haftbefehl Ergebnis von richterlic­her Willkür ist – denn Polanski hatte seine Strafe ja bereits abgesessen.

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Die bedrohlich­e und nahegehend­e Atmosphäre des Films sollte jeder selbst erleben

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