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Der Pianist (SE), Lady Bird, Die Nonne (SE), Ungehorsam, Cold Skin, Stronger, Arthur & Claire, Familiye, Der Buchladen der Florence Green, Racer & The Jailbird, Half Nelson, Roman Israel J. Esquire, Madame Aurora, Midnight Sun, Red Dog, Das schweigende Klassenzimmer
Über Polanskis Meisterwerk muss nicht viel gesagt werden. Es ist ein Film, der den Holocaust auf eine Weise einfängt, der man sich einfach nicht entziehen kann und die man hinterher auch nicht wieder vergisst. Der Regisseur selbst empfindet „Der Pianist“als seinen besten Film. Fast genau 16 Jahre nach dem deutschen Kinostart erscheint das erschütternde Kriegsdrama in einer Special Edition mit neuem Bonusmaterial, das nicht nur sehr umfänglich ist, sondern dem Zuschauer auch viel Mehrwert bietet. Bevor Sie jedoch weiterlesen, sei eine Warnung angebracht: Wer den Film noch nicht kennt, sollte ihn sich zuerst anschauen, bevor er weiterliest.
Drei Interviews
Das Bonusmaterial der Special Edition enthält ein wenige Minuten langes Interview mit dem Enkel Wladyslaw Szpilmans, der als Kind bei den Dreharbeiten in einer Statistenrolle mitgewirkt hatte, und ein 20-minütiges Interview mit dem Drehbuchautor Ronald Harwood, in dem der inzwischen 83-Jährige erzählt, welche Anteile am Drehbuch Polanski aus seiner eigenen Kriegserfahrung als kleiner Junge im Krakauer Ghetto beisteuerte, welche Teile des Drehbuchs er mehr oder weniger erfinden musste und wie er als Autor an die Geschichte Szpilmans heranging. In einem dritten Interview erzählt der Sohn Wladyslaw Szpilmans, Andrzej, reserviert aber doch offen, wie er und sein Vater mit dessen Geschichte und Erlebnissen umgingen, wie er die Filmrechte an der Autobiografie nur von Roman Polanski verfilmen lassen wollte und wie sich die beiden zufällig schon seit den 1970er Jahren kannten.
Auch die Frage, weshalb Wilhelm Hosenfeld, der deutsche Wehrmachtsoffizier, der Szpilman am Ende des Films hilft, in einem russischen Arbeitslager starb, ohne dass Szpilman Kontakt zu ihm aufnahm, wird geklärt – und was später aus Hosenfeld wurde, der ein überzeugter Anhänger der Nazis war und trotzdem mehr als zwei Dutzend Juden und Polen rettete, nachdem er gesehen hatte, welche abscheulichen Kriegsverbrechen die Wehrmacht in Polen beging. Andrzej Szpilman gibt in diesem Interview eine Menge interessanter Informationen preis, die den Film und seine Produktion in einen komplexeren Kontext rücken.
Polanski ganz privat
Das Herzstück des Bonusmaterials ist die im Frühjahr 2010 entstandene Dokumentation „Roman Polanski: A Film Memoir“, die im Wesentlichen ein Gespräch Polanskis mit einem alten Freund aus dem Filmbusiness darstellt, das sieben Monate nach seiner Verhaftung in der Schweiz geführt wurde. Polanski, der vor wenigen Wochen 85 Jahre alt wurde, gibt darin offenherzig Antworten auf Fragen bezüglich seiner Verhaftung und des seit 1977 offenen Haftbefehls wegen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen. Das Interview bietet zu Beginn keinen leichten Einstieg, weil Polanskis Freund, Andy Braunsberg, ihm oft Worte in den Mund legt und unterbricht, was für ein Interview in den meisten Fällen unangebracht ist. Andererseits kommt aber auch nie das Gefühl auf, das Interview wäre ein freundschaftliches Gespräch mit privatem Tenor, denn dafür ist es einerseits zu formell und unpersönlich gehalten und andererseits wird die übliche Frage-Antwort-Struktur dafür zumindest zu Beginn zu wenig aufgebrochen. Stattdessen herrscht in den ersten Minuten eine sonderbare Atmosphäre, die sich nicht recht einordnen lässt, weil sie versucht, Intimität und Vertrautheit zu suggerieren, aber daran scheitert. Nach dem Einstieg mit Polanskis Verhaftung wechselt der Tenor jedoch und der damals unter Hausarrest stehende Regisseur erzählt chronologisch und ohne dauernde Unterbrechungen seine Lebensgeschichte: Die früheste Kindheit in Paris, die detaillierten Erinnerungen ans Krakauer Ghetto und die Nazi-Zeit, wie er durch einen Zufall zur Schauspielerei und später zum Film kam, wie seine hochschwangere Frau ermordet und er schließlich Opfer einer ungerechten Justiz und verleumderischen Medien wurde. Dabei versucht Polanski sein Vergehen an der damals 13-jährigen Samantha Geimer nicht zu relativieren oder zu entschuldigen, erklärt aber auch, weshalb der offene Haftbefehl Ergebnis von richterlicher Willkür ist – denn Polanski hatte seine Strafe ja bereits abgesessen.