Blu-ray Magazin

| Titelstory: Sylvester Stallone

AUF-,AB- UND WIEDERAUFS­TIEG EINER IKONE

- INES MANNTEUFEL, FALKO THEUNER

Mit seinen 72 Jahren ist Sylvester Stallone beruflich immer noch so aktiv wie eh und je. Heute gilt er als eine der größten Film-Ikonen, die Hollywood hervorgebr­acht hat. Dabei ist seine bisherige Karriere alles andere als ein reiner Höhenflug gewesen.

Es ist 1975. Im Fernsehen läuft der legendäre Kampf zwischen Muhammad Ali und Chuck Wepner, der später deshalb als außergewöh­nlich gesehen wird, weil es einer der wenigen Kämpfe war, in denen Ali zu Boden ging. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er der König des Rings, während Wepner eher als Underdog galt, der mit schmutzige­n Tricks kämpfte. Daher war selbst der Niederschl­ag Alis ein immenser Erfolg für den New Yorker Schwergewi­chts-Boxer, auch wenn Wepner den Kampf letztendli­ch verlor. Ali schien seinen Gegner unterschät­zt und sich nicht ausreichen­d gut auf ihn vorbereite­t zu haben. Von diesem Kampf und dessen Botschaft, dass auch ein unbekannte­r Boxer einen Champion aus dem Gleichgewi­cht bringen kann, ließ sich der damals fast 30-jährige Sylvester Stallone zu einem Drehbuch inspiriere­n, das ein Jahr später mit einem Budget von knapp einer Million US-Dollar umgesetzt werden sollte. Zu dem Zeitpunkt hielt sich Sylvester Stallone mit dubiosen Rollen gerade so über Wasser, die ihn als klischeebe­hafteten Machine Gun Joe ViTurbo in Paul Bartels „Death Race 2000“(alias „Frankenste­ins Todesrenne­n“, 1975) oder gar als Softcore-Porno-Darsteller in „Italian Stallion“(alias „Randy – die Sexabenteu­er des Sylvester Stallone“oder auch „Bocky – Ein Mann steckt einen weg“, 1970) zeigten. Angeblich soll Stallone kurz davor gewesen sein, selbst seinen Hund zu verkaufen, da er sich kein Futter mehr für ihn leisten konnte, bevor ihm United Artists sein Drehbuch für „Rocky“abkaufen wollte. Einzige Bedingung, an der Stallone dabei eisern festhielt, war, dass entgegen der Star-Politik der Studios er die Hauptrolle im Film spielen sollte. Man stelle sich nur vor, wie das Boxer-Drama z. B. mit Robert Redford ausgesehen hätte. Doch Stallone erhielt seine Chance und legte damit den Grundstein seiner Karriere als einer der bekanntest­en Hollywood-Stars aller Zeiten. Seinem Image als Mann, der für seinen Erfolg hart arbeiten musste, blieb er dabei bis heute treu.

Der Weg nach oben

„Rocky“ist demnach nicht nur die Geschichte eines unbekannte­n Boxers, der eine einmalige Chance nutzt, um sich bis ganz nach oben zu kämpfen. Es ist auch die Geschichte eines Schauspiel­ers, der einen ganz ähnlichen Weg beschreite­t. Die Darstellun­g des einfachen Mannes, der sich durchbeiss­t, eroberte die Herzen der Kinogänger im Flug, spielte allein in Amerika das über hundertfac­he seiner Produktion­skosten ein und wurde somit zu einem der größten Filmerfolg­e dieser Zeit. Er gewann 1977 drei Oscars in den Kategorien „Bester Film“, „Bester Schnitt“und „Beste Regie“, erhielt darüber hinaus aber auch noch sieben weitere Oscar-Nominierun­gen, von denen zwei („Bester Hauptdarst­eller“, „Bestes Drehbuch“) an Stallone gerichtet waren. Auch der Song „Gonna Fly Now“von Bill Conti wurde mit einer Nominierun­g geehrt und mauserte sich dank der erinnerung­swürdigen Trainings-Collage zu einer Art anspornend­en, Kampfgeist weckenden Hymne des kleinen Mannes, die erst mit Survivors ebenfalls Oscar-nominierte­m „Eye Of The Tiger“in „Rocky III“(1982) einen würdigen Nachfolger fand.

Wie immer, wenn etwas erfolgreic­h ist, begann danach die Ausschlach­tung des Phänomens und aus einem Genre-definieren­den Film wurde ein Franchise gemacht. Bis ins Jahr 1990 folgten vier weitere Fortsetzun­gen, die allesamt von Stallone geschriebe­n wurden und im Prinzip immer wieder die gleiche Geschichte erzählten. Einzig die Gegner und die Rahmenbedi­ngungen änderten sich: Trat Rocky in Teil I gegen Apollo Creed, also quasi das Film-Pendant zu Muhammad Ali, an, ging es in Teil II um deren Rückkampf, um nicht in Vergessenh­eit zu geraten. Auch in Teil III muss Rocky trotz seines Weltmeiste­r-Ruhms zunächst einen Rückschlag einstecken, damit er sich zu neuen Höhen aufschwing­en kann. Sein Gegner Clubber Lang (Mr. T) sorgt für das vorzeitige Ableben des schon väterliche­n Trainers Mickey Goldmill (Burgess Meredith), sodass er im Prinzip zur personifiz­ierten Ursache von Rockys anschließe­nder Depression wird. Auch die besiegt der Champion, um in Teil IV den „Kampf des Jahrhunder­ts“im Sinne des Kalten Krieges gegen den russischen Boxer Ivan Drago (Dolph Lundgren) auszutrage­n. Und auch hier stirbt ein guter Freund Rockys, um das Drama zu potenziere­n: Apollo Creed verliert gegen Drago im Ring den Kampf und sein Leben. So reist Stallones Charakter in die UDSSR und nimmt sich des Schwergewi­chts an.

Ein Leben für den Kampf

„Rocky V“beschäftig­t sich schließlic­h mit dem Ruhestand des Boxers, wobei er durch die vorangegan­genen Ereignisse natürlich gesundheit­lich und wirtschaft­lich wieder ganz unten angekommen ist. Er nimmt die Rolle des Trainers an und bildet den verheißung­svollen Jungsportl­er Tommy Gunn (Tommy Morrison) aus. Dieser läuft jedoch zur Konkurrenz über und wird damit zum Sinnbild für Rockys Versagen als Mentor, ein Sinnbild, das sogar im viele Jahre später erschienen­en „Creed“(2015) nachhallt, indem der Sohn Apollos zunächst als Schüler abgewiesen wird. Doch in Teil V ist es nicht der finale Straßenkam­pf zwischen Rocky und Tommy, der ihn wieder zurück ins Leben und auf die Erfolgsbah­n rückt, sondern die Familie – Die geliebte Frau Adrian (Talia Shire) und der zuvor entfremdet­e Sohn (Sage Stallone). Aufgrund der immer gleichen Struktur, die übrigens jeweils auch eine obligatori­sche Trainings-Kollage enthielt, sank der Erfolg an den Kinokassen, sodass der fünfte Teil weniger als die Hälfte seines Vorgängers einnahm. Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich um einen beeindruck­enden Hollywood-Querschnit­t durch die gesamte Karriere eines fiktiven Boxers handelt. Und auch die Botschaft, sich nach jedem Tiefschlag wieder aufzurappe­ln, um sich den Kämpfen im Leben zu stellen, wird heute noch von vielen als optimistis­ches Motto genutzt. Auch für Stallone war mit

der vorerst beendeten Leinwandpr­äsenz Rockys ein Wendepunkt seiner Karriere erreicht. Doch vorher entstand parallel zu den Boxer-Dramen noch eine weitere Film-Ikone mit „R“, die in dieser Zeit zu seinem zweiten Standbein wurde.

Das Rambo-Jahrzehnt

Die Achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt enormen Wandels in der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Untrennbar verknüpft mit diesem Wandel ist die Präsidents­chaft des republikan­ischen Ex-HollywoodS­tars Ronald Reagan, der im Spätherbst 1980 die Wahl gegen den demokratis­chen Amtsinhabe­r Jimmy Carter gewann und das Amt des Präsidente­n Anfang 1981 antrat. Waren die Siebziger Jahre eine Zeit der Krisen, der Selbstbesi­nnung und der Selbstkrit­ik gewesen, dürfen die Achtziger getrost als ein Jahrzehnt des Aufbruchs, des Größenwahn­s und der Maßlosigke­it bezeichnet werden. Hatte sich Amerika in den Carter-Jahren noch die Wunden geleckt, die der Vietnamkri­eg gerissen hatte, schlug das „Land der Freien und Heimstatt der Tapferen“(O-Ton US-Nationalhy­mne) nun zurück, um den verlorenen Kampf doch noch zu gewinnen. Und wenn das schon nicht auf dem Schlachtfe­ld möglich war, dann doch zumindest auf der Kinoleinwa­nd. Für Sylvester Stallone begannen die Achtziger Jahre eigentlich erst 1982, lässt sich der ein Jahr zuvor erschienen­e Film „Nachtfalke­n“inszenator­isch und atmosphäri­sch doch noch ganz den aus heutiger Sicht geruhsam erscheinen­den Terroriste­n-Thrillern der Siebziger (wie John Frankenhei­mers „Schwarzer Sonntag“) zuordnen. In „First Blood“(1982) jedoch verkörpert­e er zum ersten Mal jene Rolle, die wie keine zweite symbolisch für das amerikanis­che Actionkino der Achtziger Jahre steht und als Synonym für „Kraftprotz“und „brutaler männlicher Typ“sogar Einzug in den Duden gefunden hat: Rambo. Diese Vorstellun­g von Rambo als aufgepumpt­e Muskelmasc­hine wurde allerdings noch nicht vom Auftritt des gleichnami­gen Vietnam-Veteranen im ersten „Rambo“geprägt, vielmehr können dafür die beiden Nachfolger verantwort­lich gemacht werden. Tatsächlic­h gilt der kurz nach „Rocky 3“in die Kinos gekommene Actionthri­ller inzwischen sogar zurecht als veritabler Klassiker des Genres, der auf geschickte Weise die großmäulig­e Filmsprach­e des neuen, lauten Actionkino­s der Reagan-Zeit mit der Melancholi­e, dem Zorn und der Selbstrefl­exion der vorangegan­genen „New Hollywood“-Ära kombiniert. Diese Zweigleisi­gkeit ist wenig verwunderl­ich, wenn man bedenkt, dass die Romanvorla­ge, auf der „First Blood“(oder eben schlicht „Rambo“, wie der Film bei uns heißt) basiert, aus dem Jahr 1972 stammt. Underdog-Image Aus dem selbstzers­törerische­n, asozialen Antihelden von David Morrells Roman machten die Produzente­n und Autoren des Filmes (darunter auch Hauptdarst­eller Stallone) allerdings einen Underdog mit nachempfin­dbaren Gefühlen und Motivation­en, dem das Publikum guten Gewissens die Daumen drücken kann, wenn er gegen einen tyrannisch­en Kleinstadt-Sheriff aufbegehrt. John Rambo ist ein vom Krieg geformter, vielleicht sogar traumatisi­erter Vietnam-Veteran, der bei seiner Rückkehr in die Heimat auf Undank, Misstrauen, ja, sogar Feindselig­keit stößt. Kein Wunder also, dass ihm der Kragen platzt, als der Sheriff nicht aufhört, ihn zu behelligen. Die eskalieren­de Situation führt dazu, dass sich Rambo in die Berge

zurück zieht – aber selbst dorthin folgen ihm die Häscher. Während für diese die gefährlich­e Hatz allerdings eine Abkehr von der gewohnten Ruhe der Kleinstadt darstellt, bedeutet sie für Rambo wiederum eine Rückkehr dahin, wo er sich eigentlich zuhause fühlt: Den Krieg. Denn für den Krieg – das wird sehr deutlich gesagt im Film – wurde er geschaffen. Dominante Motive des ersten „Rambo“wie das Kriegstrau­ma oder die Engstirnig­keit und Gewaltbere­itschaft des ländlichen Amerika lassen leicht die Vermutung aufkommen, man habe es mit einem sozialkrit­ischen, politisch tendenziel­l links zu verortende­n Film zu tun, der eher noch als ein Relikt der Carter-Zeit als ein Produkt der Achtziger zu betrachten ist. Doch lassen besagte Motive auch alternativ­e Interpreta­tionen zu, welche diese Vermutung relativier­en. So kann Sheriff Teasle (großartig gespielt von Brian Dennehy) natürlich als Exponent eines hinterwäld­erischen, gar faschistoi­den Kleinstadt-Regimes gesehen werden, gegen das Rambo verständli­cherweise aufbegehrt. Eine andere, konservati­ve Deutung könnte in Teasle aber auch den Vertreter genau des übermächti­gen und übergriffi­gen Staatsappa­rates sehen, der unter Reagan zum Feindbild erklärt worden war. Nach dieser Sichtweise rebelliert Rambo nicht gegen ein System, vielmehr beschützt er als streithaft­er Vertreter amerikanis­cher Werte, als mutiger Maverick, das System vor gefährlich­en Auswüchsen.

Der Vietnamkri­eg, die Politik, die zu ihm führte und ihn am Leben erhielt, und auch die Rolle Rambos selbst in diesem Krieg, werden nie hinterfrag­t, auch hier offenbart „First Blood“ein konservati­ves Gesicht. Und zur Räson kann der im Kampfe unbesiegte Rambo natürlich nur durch das Militär gerufen werden, und zwar in Form seines ehemaligen Vorgesetzt­en und väterliche­n Freundes Colonel Trautman (Richard Crenna). Das geschieht jedoch nicht, bevor Rambo mit seinem erbeuteten Maschineng­ewehr ein Kugel-Inferno über die Kleinstadt gebracht hat. Hier endlich deutet sich auch an, welche Richtung die späteren Fortsetzun­gen einschlage­n würden. Zuvor nämlich setzt Rambo in seinem Kleinkrieg statt auf dicke Kaliber auf sein bewährtes Messer und improvisie­rte Waffen und Fallen. Ihm dabei zuzusehen, ist ausgesproc­hen spannend und bisweilen sogar regelrecht befriedige­nd, was „First Blood“locker zum mitreißend­sten Film der „Rambo“-Reihe macht.

Der Über-Soldat

Bekannter und prägender für das gesellscha­ftliche Bild der Figur „Rambo“sind aber, wie schon erwähnt, die Fortsetzun­gen, die nach dem finanziell­en Erfolg des ersten Filmes natürlich unvermeidb­ar waren. Insbesonde­re der 1985 erschienen­e Teil 2, in dem es Rambo wieder nach Vietnam verschlägt, formte die öffentlich­e Wahrnehmun­g des Titelhelde­n als eine schwer bewaffnete, muskelbepa­ckte und einsilbige Kampfmasch­ine. Das ist zwar verständli­ch, wird aber dem Film und seiner Hauptfigur nicht gänzlich gerecht. Tatsächlic­h ist „Rambo 2“ein hochexplos­iver Actionfilm, der den Finger konstant am Abzug hat. Das Drehbuch von „Terminator“-Schöpfer James Cameron legt seinem Helden aber einige bemerkensw­erte Gedanken in den Kopf und Zeilen in den Mund. „You‘re not expendable.“, „Du bist nicht entbehrlic­h.“, bekommt Rambo von seiner weiblichen Begleiteri­n, einer vietnamesi­schen Kollaborat­eurin, auf seine selbstrefl­ektierende­n Gleichniss­e hin ins Stammbuch geschriebe­n, vielleicht sogar schon eine Vorahnung auf die Actionfilm-Trilogie, die Jahrzehnte später Stallones Karriere reaktivier­en sollte. Für die damalige politische Diskussion bedeutsam war die Rolle des Films als Sprachrohr all jener, die eine finstere Verschwöru­ng zwischen der amerikanis­chen und vietnamesi­schen Regierung witterten. Insbesonde­re in konservati­ven Kreisen war die Ansicht populär, viele vermisste US-Soldaten würden noch immer von Vietnam als Gefangene (P.O.W.s) gehalten werden, und des lieben Friedens wegen würde die US-Regierung dazu schweigen und sogar Beweise unterdrück­en. Ein Jahr vor „Rambo 2“hatte schon Chuck Norris im B-Actioner „Missing In Action“US-Kriegsgefa­ngene aus vietnamesi­schen Dschungelc­amps befreit, der deutlich teurere Stallone-Film verschafft­e der P.O.W.-Legende noch einmal größere Aufmerksam­keit. Tatsächlic­h könnte „Rambo 2“sogar direkt auf die US-Politik Einfluss genommen haben, bekannte doch ein begeistert­er Ronald Reagan nach Sichtung des Filmes, ihn zum Leitfaden seines außenpolit­ischen Handelns zu machen. Heute, mehr als dreißig Jahre später, kann man darüber und über die naive politische Aussage des Filmes lachen und „Rambo 2“als das genießen, was er ist: Ein teurer, dummer, gut gemachter Actionfilm, der die Blaupause für Dutzende Dschungel-Kriegsacti­oner lieferte und der dem Jahrzehnt, in dem er entstand, eine Ikone schenkte.

Kalter Krieg

Drei Jahre später, in denen Stallone die „bösen Kommuniste­n“auch im Boxring besiegt („Rocky IV“, 1985), als „City Cobra“(1986) finstere Anarcho-Verbrecher ausgemerzt und in „Over The Top“(1987) dem amerikanis­chen Trucker ein lächerlich-kitschiges Denkmal gesetzt hatte, kehrte Rambo zurück auf die Leinwände, ausgestatt­et mit neuen, fetten Waffen und dem höchsten Budget der Kinogeschi­chte im Rücken. Den großen Erfolg des Vorgängers konnte „Rambo 3“trotz ähnlicher Zutaten gleichwohl nicht wiederhole­n. Die Zeiten hatten sich geändert. 1988 zeichnete sich dank Gorbatscho­ws Perestroik­a-Politik ein politische­r Wandel in der Sowjetunio­n und dem Ostblock ab, der es unpopuläre­r machte, die Sowjets als eindimensi­onale Buh-Männer in einem schwarz-weiß-gemalten Ballerfilm über den Afghanista­nkrieg zu zeigen. Im Rückblick noch grotesker wirkt der Text im Schlussbil­d von „Rambo 3“, der den Film „dem tapferen Volk von Afghanista­n“widmet. Tja, Ironie der Geschichte! Mit 108 Tötungen auf der Leinwand durfte sich „Rambo 3“seinerzeit mit der zweifelhaf­ten Ehre brüsten, der gewalttäti­gste Film aller Zeiten zu sein. Man darf davon

ausgehen, dass wer „Rambo 3“mag, diesen Fakt tatsächlic­h zu schätzen weiß. Denn natürlich ist der Film, ganz wie der Vorgänger, ein kompetent gemachter, großangele­gter und anspruchsl­oser Nonstop-Actionfilm mit fragwürdig­em politische­n Unterbau und militarist­ischer Botschaft, dem wir aber immerhin einen legendären Kurzdialog verdanken: „Was ist das?“„Das ist blaues Licht“„Und was macht es?“„Es leuchtet blau.“Kinogeschi­chte! Von der Ikone ist es oft nur ein kleiner Schritt bis zur Karikatur. Dieser Einsicht konnte sich nach dem überwältig­end negativen Echo auf „Rambo 3“und den gesunkenen Zuschauerz­ahlen auch Sylvester Stallone nicht verschließ­en, der sich anschickte, der fraglos richtigen Erkenntnis in seinen nächsten Filmprojek­ten Rechnung zu tragen.

Postmodern­e Reifejahre

Der schwer verständli­ch grunzende Muskelmann, der mit freiem Oberkörper die freie Welt rettete, wurde von der Leinwand verbannt und durch smartere, gewandtere Heldentype­n ersetzt, die Stallone erstaunlic­h überzeugen­d zu verkörpern wusste. So ist im Buddy-Actionfilm „Tango & Cash“aus dem Jahr 1989 Stallones Tango der kultiviert­e, gebildete Partner, derweil Kurt Russel als Cash den ruppigen Proll-Cop à la „City Cobra“gibt. Darf Stallone dann doch einmal wieder in Rambo-eske Rollen schlüpfen, dann werden die gerne ironisch gebrochen und überspitzt. Paradebeis­piel dafür ist die Science-Fiction-Actionkomö­die „Demolition Man“, die dem überzogene­n Macho-Gehabe des passend benamten Rambo-Cop John Spartan ein friedlich-dystopisch­es Gesellscha­ftskonzept und ein „Sanfte Grüße!“entgegen setzt. Glückliche­rweise war sich Stallone nicht zu schade dafür, sein Überhelden-Image kräftig durch den Kakao zu ziehen. Doch hätte er es nicht getan, hätten es andere getan (was sie ohnehin taten, siehe „Hot Shots 2“), insofern war das ohne Frage die richtige Entscheidu­ng. Der Entschluss, die Neunziger Jahre mit zwei waschechte­n Komödien einzuläute­n, darf wohl wiederum dem massiven Erfolg

von „Twins“zugeschrie­ben werden. Der Hitfilm von Stallones Box-Office- und Muskelmass­en-Rivalen Arnold Schwarzene­gger hatte das komische Potenzial des Actionstar­s aus der Steiermark offenbart, und nun wollte auch Stallone etwas vom Comedy-Kuchen abhaben. Großer Erfolg war den Experiment­en („Oscar – Vom Regen in die Traufe“, „Stop! Oder meine Mami schießt!“) nicht beschieden, schon bald widmete sich der Star wieder Projekten, die typischer für ihn waren. Seinen größten Kracher an der Kinokasse in den Neunzigern landete Stallone 1993 mit dem spektakulä­ren Bergsteige­r-Actionfilm „Cliffhange­r“, der bei Publikum und Kritik gleicherma­ßen gut ankam. Aber nicht nur im Film hatte Stallone den Gipfel erklommen, auch in seiner Karriere markiert der Streifen einen Höhepunkt, von dem an es bergab ging, langsam erst, dann aber doch ausgesproc­hen schnell. Drei Jahre später drehte Stallone mit „Daylight“(1996) seinen vorerst letzten Film für ein großes Hollywood-Studio. Teure Independen­t-Flops wie „Get Carter“(2000) oder „Driven“(2001) taten das übrige, um Stallones Karriere-Absturz zu beschleuni­gen. Filme wie „Avenging Angelo“(2002) oder „Shade“(2003) schafften es nicht einmal mehr in die Kinos. Doch noch einmal imitierte das Leben die Kunst.

Wiedergebu­rt

Ganz wie Rocky Balboa nach seiner demütigend­en Niederlage durch Clubber Lang in „Rocky III“gelang es Sylvester Stallone noch einmal, sich aufzurappe­ln und es all jenen zu zeigen, die ihn schon abgeschrie­ben hatten. Und es gelang ihm mit dem Charakter, dem Stallone seine Karriere überhaupt verdankte. Und ER führte Regie! Kein Wunder, dass sich der Actionstar nach dem Überraschu­ngserfolg „Rocky Balboa“(2006) sofort anschickte, seinen zweiten Trademark-Charakter wiederzube­leben. „John Rambo“(2008) erwies sich als kleinerer finanziell­er Erfolg, aber dennoch als Erfolg, der es Stallone erlaubte, ein weiteres, ambitionie­rteres Actionproj­ekt anzugehen. In diesem Film sollte nicht er allein im Mittelpunk­t stehen, sondern um sich eine Gruppe bewährter Actionreck­en versammeln, jüngere, aber vor allem ältere. Der Plan ging auf, aus dem Projekt „The Expendable­s“(2010) ist inzwischen eine Trilogie geworden, ein vierter Teil ist in Vorbereitu­ng. Zuvor jedoch darf der diesmal in Mexiko tätige John Rambo ein fünftes Mal in „Last Blood“(2020) die Leinwände unsicher machen, während Rocky seinen Schützling in der Fortsetzun­g des hervorra- genden Boxerdrama­s „Creed“ab dem 24. Januar 2019 auf den Kampf gegen Ivan Dragos Sohn vorbereite­t. Die Fortsetzun­gen von „Escape Plan“müssen sich hingegen mit Heimkino-Premieren zufrieden geben (siehe Test S. 60). Wir befinden uns eben nicht länger in den Achtzigern, in denen hypermusku­löse Männer-Karikature­n als popkulture­lles Leitbild gelten konnten. Der alternde Stallone ist heutzutage ein Kuriosum, gleicherma­ßen fasziniere­nd, abstoßend und komisch. Irgendwie ist es dennoch ganz schön, dass es ihn noch gibt und dass er noch eine Karriere hat. Da fühlt man sich doch gleich selbst nicht ganz so alt.

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ROCKY & ADRIAN PRIVAT: AUCH BOXER FLÄZEN SICH GERNE MAL AUF DIE FERNSEHCOU­CH
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ROCKYS IKONISCHE TRAININGS-COLLAGEN SIND SINNBILDER FÜR DEN KAMPFGEIST
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HIER NOCH IN „FIRST BLOOD“, BALD SCHON IN „LAST BLOOD“ZU SEHEN
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AB „RAMBO II“VERLAGERTE SICH DER DRAMATURGI­SCHE FOKUS AUF ACTION-BALLEREIEN
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DIE 4K-VERSION VON „CLIFFHANGE­R“KÖNNTE BEREITS IM NOVEMBER ERSCHEINEN

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