| Titelstory: Sylvester Stallone
AUF-,AB- UND WIEDERAUFSTIEG EINER IKONE
Mit seinen 72 Jahren ist Sylvester Stallone beruflich immer noch so aktiv wie eh und je. Heute gilt er als eine der größten Film-Ikonen, die Hollywood hervorgebracht hat. Dabei ist seine bisherige Karriere alles andere als ein reiner Höhenflug gewesen.
Es ist 1975. Im Fernsehen läuft der legendäre Kampf zwischen Muhammad Ali und Chuck Wepner, der später deshalb als außergewöhnlich gesehen wird, weil es einer der wenigen Kämpfe war, in denen Ali zu Boden ging. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er der König des Rings, während Wepner eher als Underdog galt, der mit schmutzigen Tricks kämpfte. Daher war selbst der Niederschlag Alis ein immenser Erfolg für den New Yorker Schwergewichts-Boxer, auch wenn Wepner den Kampf letztendlich verlor. Ali schien seinen Gegner unterschätzt und sich nicht ausreichend gut auf ihn vorbereitet zu haben. Von diesem Kampf und dessen Botschaft, dass auch ein unbekannter Boxer einen Champion aus dem Gleichgewicht bringen kann, ließ sich der damals fast 30-jährige Sylvester Stallone zu einem Drehbuch inspirieren, das ein Jahr später mit einem Budget von knapp einer Million US-Dollar umgesetzt werden sollte. Zu dem Zeitpunkt hielt sich Sylvester Stallone mit dubiosen Rollen gerade so über Wasser, die ihn als klischeebehafteten Machine Gun Joe ViTurbo in Paul Bartels „Death Race 2000“(alias „Frankensteins Todesrennen“, 1975) oder gar als Softcore-Porno-Darsteller in „Italian Stallion“(alias „Randy – die Sexabenteuer des Sylvester Stallone“oder auch „Bocky – Ein Mann steckt einen weg“, 1970) zeigten. Angeblich soll Stallone kurz davor gewesen sein, selbst seinen Hund zu verkaufen, da er sich kein Futter mehr für ihn leisten konnte, bevor ihm United Artists sein Drehbuch für „Rocky“abkaufen wollte. Einzige Bedingung, an der Stallone dabei eisern festhielt, war, dass entgegen der Star-Politik der Studios er die Hauptrolle im Film spielen sollte. Man stelle sich nur vor, wie das Boxer-Drama z. B. mit Robert Redford ausgesehen hätte. Doch Stallone erhielt seine Chance und legte damit den Grundstein seiner Karriere als einer der bekanntesten Hollywood-Stars aller Zeiten. Seinem Image als Mann, der für seinen Erfolg hart arbeiten musste, blieb er dabei bis heute treu.
Der Weg nach oben
„Rocky“ist demnach nicht nur die Geschichte eines unbekannten Boxers, der eine einmalige Chance nutzt, um sich bis ganz nach oben zu kämpfen. Es ist auch die Geschichte eines Schauspielers, der einen ganz ähnlichen Weg beschreitet. Die Darstellung des einfachen Mannes, der sich durchbeisst, eroberte die Herzen der Kinogänger im Flug, spielte allein in Amerika das über hundertfache seiner Produktionskosten ein und wurde somit zu einem der größten Filmerfolge dieser Zeit. Er gewann 1977 drei Oscars in den Kategorien „Bester Film“, „Bester Schnitt“und „Beste Regie“, erhielt darüber hinaus aber auch noch sieben weitere Oscar-Nominierungen, von denen zwei („Bester Hauptdarsteller“, „Bestes Drehbuch“) an Stallone gerichtet waren. Auch der Song „Gonna Fly Now“von Bill Conti wurde mit einer Nominierung geehrt und mauserte sich dank der erinnerungswürdigen Trainings-Collage zu einer Art anspornenden, Kampfgeist weckenden Hymne des kleinen Mannes, die erst mit Survivors ebenfalls Oscar-nominiertem „Eye Of The Tiger“in „Rocky III“(1982) einen würdigen Nachfolger fand.
Wie immer, wenn etwas erfolgreich ist, begann danach die Ausschlachtung des Phänomens und aus einem Genre-definierenden Film wurde ein Franchise gemacht. Bis ins Jahr 1990 folgten vier weitere Fortsetzungen, die allesamt von Stallone geschrieben wurden und im Prinzip immer wieder die gleiche Geschichte erzählten. Einzig die Gegner und die Rahmenbedingungen änderten sich: Trat Rocky in Teil I gegen Apollo Creed, also quasi das Film-Pendant zu Muhammad Ali, an, ging es in Teil II um deren Rückkampf, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Auch in Teil III muss Rocky trotz seines Weltmeister-Ruhms zunächst einen Rückschlag einstecken, damit er sich zu neuen Höhen aufschwingen kann. Sein Gegner Clubber Lang (Mr. T) sorgt für das vorzeitige Ableben des schon väterlichen Trainers Mickey Goldmill (Burgess Meredith), sodass er im Prinzip zur personifizierten Ursache von Rockys anschließender Depression wird. Auch die besiegt der Champion, um in Teil IV den „Kampf des Jahrhunderts“im Sinne des Kalten Krieges gegen den russischen Boxer Ivan Drago (Dolph Lundgren) auszutragen. Und auch hier stirbt ein guter Freund Rockys, um das Drama zu potenzieren: Apollo Creed verliert gegen Drago im Ring den Kampf und sein Leben. So reist Stallones Charakter in die UDSSR und nimmt sich des Schwergewichts an.
Ein Leben für den Kampf
„Rocky V“beschäftigt sich schließlich mit dem Ruhestand des Boxers, wobei er durch die vorangegangenen Ereignisse natürlich gesundheitlich und wirtschaftlich wieder ganz unten angekommen ist. Er nimmt die Rolle des Trainers an und bildet den verheißungsvollen Jungsportler Tommy Gunn (Tommy Morrison) aus. Dieser läuft jedoch zur Konkurrenz über und wird damit zum Sinnbild für Rockys Versagen als Mentor, ein Sinnbild, das sogar im viele Jahre später erschienenen „Creed“(2015) nachhallt, indem der Sohn Apollos zunächst als Schüler abgewiesen wird. Doch in Teil V ist es nicht der finale Straßenkampf zwischen Rocky und Tommy, der ihn wieder zurück ins Leben und auf die Erfolgsbahn rückt, sondern die Familie – Die geliebte Frau Adrian (Talia Shire) und der zuvor entfremdete Sohn (Sage Stallone). Aufgrund der immer gleichen Struktur, die übrigens jeweils auch eine obligatorische Trainings-Kollage enthielt, sank der Erfolg an den Kinokassen, sodass der fünfte Teil weniger als die Hälfte seines Vorgängers einnahm. Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich um einen beeindruckenden Hollywood-Querschnitt durch die gesamte Karriere eines fiktiven Boxers handelt. Und auch die Botschaft, sich nach jedem Tiefschlag wieder aufzurappeln, um sich den Kämpfen im Leben zu stellen, wird heute noch von vielen als optimistisches Motto genutzt. Auch für Stallone war mit
der vorerst beendeten Leinwandpräsenz Rockys ein Wendepunkt seiner Karriere erreicht. Doch vorher entstand parallel zu den Boxer-Dramen noch eine weitere Film-Ikone mit „R“, die in dieser Zeit zu seinem zweiten Standbein wurde.
Das Rambo-Jahrzehnt
Die Achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt enormen Wandels in der amerikanischen Gesellschaft. Untrennbar verknüpft mit diesem Wandel ist die Präsidentschaft des republikanischen Ex-HollywoodStars Ronald Reagan, der im Spätherbst 1980 die Wahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter gewann und das Amt des Präsidenten Anfang 1981 antrat. Waren die Siebziger Jahre eine Zeit der Krisen, der Selbstbesinnung und der Selbstkritik gewesen, dürfen die Achtziger getrost als ein Jahrzehnt des Aufbruchs, des Größenwahns und der Maßlosigkeit bezeichnet werden. Hatte sich Amerika in den Carter-Jahren noch die Wunden geleckt, die der Vietnamkrieg gerissen hatte, schlug das „Land der Freien und Heimstatt der Tapferen“(O-Ton US-Nationalhymne) nun zurück, um den verlorenen Kampf doch noch zu gewinnen. Und wenn das schon nicht auf dem Schlachtfeld möglich war, dann doch zumindest auf der Kinoleinwand. Für Sylvester Stallone begannen die Achtziger Jahre eigentlich erst 1982, lässt sich der ein Jahr zuvor erschienene Film „Nachtfalken“inszenatorisch und atmosphärisch doch noch ganz den aus heutiger Sicht geruhsam erscheinenden Terroristen-Thrillern der Siebziger (wie John Frankenheimers „Schwarzer Sonntag“) zuordnen. In „First Blood“(1982) jedoch verkörperte er zum ersten Mal jene Rolle, die wie keine zweite symbolisch für das amerikanische Actionkino der Achtziger Jahre steht und als Synonym für „Kraftprotz“und „brutaler männlicher Typ“sogar Einzug in den Duden gefunden hat: Rambo. Diese Vorstellung von Rambo als aufgepumpte Muskelmaschine wurde allerdings noch nicht vom Auftritt des gleichnamigen Vietnam-Veteranen im ersten „Rambo“geprägt, vielmehr können dafür die beiden Nachfolger verantwortlich gemacht werden. Tatsächlich gilt der kurz nach „Rocky 3“in die Kinos gekommene Actionthriller inzwischen sogar zurecht als veritabler Klassiker des Genres, der auf geschickte Weise die großmäulige Filmsprache des neuen, lauten Actionkinos der Reagan-Zeit mit der Melancholie, dem Zorn und der Selbstreflexion der vorangegangenen „New Hollywood“-Ära kombiniert. Diese Zweigleisigkeit ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Romanvorlage, auf der „First Blood“(oder eben schlicht „Rambo“, wie der Film bei uns heißt) basiert, aus dem Jahr 1972 stammt. Underdog-Image Aus dem selbstzerstörerischen, asozialen Antihelden von David Morrells Roman machten die Produzenten und Autoren des Filmes (darunter auch Hauptdarsteller Stallone) allerdings einen Underdog mit nachempfindbaren Gefühlen und Motivationen, dem das Publikum guten Gewissens die Daumen drücken kann, wenn er gegen einen tyrannischen Kleinstadt-Sheriff aufbegehrt. John Rambo ist ein vom Krieg geformter, vielleicht sogar traumatisierter Vietnam-Veteran, der bei seiner Rückkehr in die Heimat auf Undank, Misstrauen, ja, sogar Feindseligkeit stößt. Kein Wunder also, dass ihm der Kragen platzt, als der Sheriff nicht aufhört, ihn zu behelligen. Die eskalierende Situation führt dazu, dass sich Rambo in die Berge
zurück zieht – aber selbst dorthin folgen ihm die Häscher. Während für diese die gefährliche Hatz allerdings eine Abkehr von der gewohnten Ruhe der Kleinstadt darstellt, bedeutet sie für Rambo wiederum eine Rückkehr dahin, wo er sich eigentlich zuhause fühlt: Den Krieg. Denn für den Krieg – das wird sehr deutlich gesagt im Film – wurde er geschaffen. Dominante Motive des ersten „Rambo“wie das Kriegstrauma oder die Engstirnigkeit und Gewaltbereitschaft des ländlichen Amerika lassen leicht die Vermutung aufkommen, man habe es mit einem sozialkritischen, politisch tendenziell links zu verortenden Film zu tun, der eher noch als ein Relikt der Carter-Zeit als ein Produkt der Achtziger zu betrachten ist. Doch lassen besagte Motive auch alternative Interpretationen zu, welche diese Vermutung relativieren. So kann Sheriff Teasle (großartig gespielt von Brian Dennehy) natürlich als Exponent eines hinterwälderischen, gar faschistoiden Kleinstadt-Regimes gesehen werden, gegen das Rambo verständlicherweise aufbegehrt. Eine andere, konservative Deutung könnte in Teasle aber auch den Vertreter genau des übermächtigen und übergriffigen Staatsapparates sehen, der unter Reagan zum Feindbild erklärt worden war. Nach dieser Sichtweise rebelliert Rambo nicht gegen ein System, vielmehr beschützt er als streithafter Vertreter amerikanischer Werte, als mutiger Maverick, das System vor gefährlichen Auswüchsen.
Der Vietnamkrieg, die Politik, die zu ihm führte und ihn am Leben erhielt, und auch die Rolle Rambos selbst in diesem Krieg, werden nie hinterfragt, auch hier offenbart „First Blood“ein konservatives Gesicht. Und zur Räson kann der im Kampfe unbesiegte Rambo natürlich nur durch das Militär gerufen werden, und zwar in Form seines ehemaligen Vorgesetzten und väterlichen Freundes Colonel Trautman (Richard Crenna). Das geschieht jedoch nicht, bevor Rambo mit seinem erbeuteten Maschinengewehr ein Kugel-Inferno über die Kleinstadt gebracht hat. Hier endlich deutet sich auch an, welche Richtung die späteren Fortsetzungen einschlagen würden. Zuvor nämlich setzt Rambo in seinem Kleinkrieg statt auf dicke Kaliber auf sein bewährtes Messer und improvisierte Waffen und Fallen. Ihm dabei zuzusehen, ist ausgesprochen spannend und bisweilen sogar regelrecht befriedigend, was „First Blood“locker zum mitreißendsten Film der „Rambo“-Reihe macht.
Der Über-Soldat
Bekannter und prägender für das gesellschaftliche Bild der Figur „Rambo“sind aber, wie schon erwähnt, die Fortsetzungen, die nach dem finanziellen Erfolg des ersten Filmes natürlich unvermeidbar waren. Insbesondere der 1985 erschienene Teil 2, in dem es Rambo wieder nach Vietnam verschlägt, formte die öffentliche Wahrnehmung des Titelhelden als eine schwer bewaffnete, muskelbepackte und einsilbige Kampfmaschine. Das ist zwar verständlich, wird aber dem Film und seiner Hauptfigur nicht gänzlich gerecht. Tatsächlich ist „Rambo 2“ein hochexplosiver Actionfilm, der den Finger konstant am Abzug hat. Das Drehbuch von „Terminator“-Schöpfer James Cameron legt seinem Helden aber einige bemerkenswerte Gedanken in den Kopf und Zeilen in den Mund. „You‘re not expendable.“, „Du bist nicht entbehrlich.“, bekommt Rambo von seiner weiblichen Begleiterin, einer vietnamesischen Kollaborateurin, auf seine selbstreflektierenden Gleichnisse hin ins Stammbuch geschrieben, vielleicht sogar schon eine Vorahnung auf die Actionfilm-Trilogie, die Jahrzehnte später Stallones Karriere reaktivieren sollte. Für die damalige politische Diskussion bedeutsam war die Rolle des Films als Sprachrohr all jener, die eine finstere Verschwörung zwischen der amerikanischen und vietnamesischen Regierung witterten. Insbesondere in konservativen Kreisen war die Ansicht populär, viele vermisste US-Soldaten würden noch immer von Vietnam als Gefangene (P.O.W.s) gehalten werden, und des lieben Friedens wegen würde die US-Regierung dazu schweigen und sogar Beweise unterdrücken. Ein Jahr vor „Rambo 2“hatte schon Chuck Norris im B-Actioner „Missing In Action“US-Kriegsgefangene aus vietnamesischen Dschungelcamps befreit, der deutlich teurere Stallone-Film verschaffte der P.O.W.-Legende noch einmal größere Aufmerksamkeit. Tatsächlich könnte „Rambo 2“sogar direkt auf die US-Politik Einfluss genommen haben, bekannte doch ein begeisterter Ronald Reagan nach Sichtung des Filmes, ihn zum Leitfaden seines außenpolitischen Handelns zu machen. Heute, mehr als dreißig Jahre später, kann man darüber und über die naive politische Aussage des Filmes lachen und „Rambo 2“als das genießen, was er ist: Ein teurer, dummer, gut gemachter Actionfilm, der die Blaupause für Dutzende Dschungel-Kriegsactioner lieferte und der dem Jahrzehnt, in dem er entstand, eine Ikone schenkte.
Kalter Krieg
Drei Jahre später, in denen Stallone die „bösen Kommunisten“auch im Boxring besiegt („Rocky IV“, 1985), als „City Cobra“(1986) finstere Anarcho-Verbrecher ausgemerzt und in „Over The Top“(1987) dem amerikanischen Trucker ein lächerlich-kitschiges Denkmal gesetzt hatte, kehrte Rambo zurück auf die Leinwände, ausgestattet mit neuen, fetten Waffen und dem höchsten Budget der Kinogeschichte im Rücken. Den großen Erfolg des Vorgängers konnte „Rambo 3“trotz ähnlicher Zutaten gleichwohl nicht wiederholen. Die Zeiten hatten sich geändert. 1988 zeichnete sich dank Gorbatschows Perestroika-Politik ein politischer Wandel in der Sowjetunion und dem Ostblock ab, der es unpopulärer machte, die Sowjets als eindimensionale Buh-Männer in einem schwarz-weiß-gemalten Ballerfilm über den Afghanistankrieg zu zeigen. Im Rückblick noch grotesker wirkt der Text im Schlussbild von „Rambo 3“, der den Film „dem tapferen Volk von Afghanistan“widmet. Tja, Ironie der Geschichte! Mit 108 Tötungen auf der Leinwand durfte sich „Rambo 3“seinerzeit mit der zweifelhaften Ehre brüsten, der gewalttätigste Film aller Zeiten zu sein. Man darf davon
ausgehen, dass wer „Rambo 3“mag, diesen Fakt tatsächlich zu schätzen weiß. Denn natürlich ist der Film, ganz wie der Vorgänger, ein kompetent gemachter, großangelegter und anspruchsloser Nonstop-Actionfilm mit fragwürdigem politischen Unterbau und militaristischer Botschaft, dem wir aber immerhin einen legendären Kurzdialog verdanken: „Was ist das?“„Das ist blaues Licht“„Und was macht es?“„Es leuchtet blau.“Kinogeschichte! Von der Ikone ist es oft nur ein kleiner Schritt bis zur Karikatur. Dieser Einsicht konnte sich nach dem überwältigend negativen Echo auf „Rambo 3“und den gesunkenen Zuschauerzahlen auch Sylvester Stallone nicht verschließen, der sich anschickte, der fraglos richtigen Erkenntnis in seinen nächsten Filmprojekten Rechnung zu tragen.
Postmoderne Reifejahre
Der schwer verständlich grunzende Muskelmann, der mit freiem Oberkörper die freie Welt rettete, wurde von der Leinwand verbannt und durch smartere, gewandtere Heldentypen ersetzt, die Stallone erstaunlich überzeugend zu verkörpern wusste. So ist im Buddy-Actionfilm „Tango & Cash“aus dem Jahr 1989 Stallones Tango der kultivierte, gebildete Partner, derweil Kurt Russel als Cash den ruppigen Proll-Cop à la „City Cobra“gibt. Darf Stallone dann doch einmal wieder in Rambo-eske Rollen schlüpfen, dann werden die gerne ironisch gebrochen und überspitzt. Paradebeispiel dafür ist die Science-Fiction-Actionkomödie „Demolition Man“, die dem überzogenen Macho-Gehabe des passend benamten Rambo-Cop John Spartan ein friedlich-dystopisches Gesellschaftskonzept und ein „Sanfte Grüße!“entgegen setzt. Glücklicherweise war sich Stallone nicht zu schade dafür, sein Überhelden-Image kräftig durch den Kakao zu ziehen. Doch hätte er es nicht getan, hätten es andere getan (was sie ohnehin taten, siehe „Hot Shots 2“), insofern war das ohne Frage die richtige Entscheidung. Der Entschluss, die Neunziger Jahre mit zwei waschechten Komödien einzuläuten, darf wohl wiederum dem massiven Erfolg
von „Twins“zugeschrieben werden. Der Hitfilm von Stallones Box-Office- und Muskelmassen-Rivalen Arnold Schwarzenegger hatte das komische Potenzial des Actionstars aus der Steiermark offenbart, und nun wollte auch Stallone etwas vom Comedy-Kuchen abhaben. Großer Erfolg war den Experimenten („Oscar – Vom Regen in die Traufe“, „Stop! Oder meine Mami schießt!“) nicht beschieden, schon bald widmete sich der Star wieder Projekten, die typischer für ihn waren. Seinen größten Kracher an der Kinokasse in den Neunzigern landete Stallone 1993 mit dem spektakulären Bergsteiger-Actionfilm „Cliffhanger“, der bei Publikum und Kritik gleichermaßen gut ankam. Aber nicht nur im Film hatte Stallone den Gipfel erklommen, auch in seiner Karriere markiert der Streifen einen Höhepunkt, von dem an es bergab ging, langsam erst, dann aber doch ausgesprochen schnell. Drei Jahre später drehte Stallone mit „Daylight“(1996) seinen vorerst letzten Film für ein großes Hollywood-Studio. Teure Independent-Flops wie „Get Carter“(2000) oder „Driven“(2001) taten das übrige, um Stallones Karriere-Absturz zu beschleunigen. Filme wie „Avenging Angelo“(2002) oder „Shade“(2003) schafften es nicht einmal mehr in die Kinos. Doch noch einmal imitierte das Leben die Kunst.
Wiedergeburt
Ganz wie Rocky Balboa nach seiner demütigenden Niederlage durch Clubber Lang in „Rocky III“gelang es Sylvester Stallone noch einmal, sich aufzurappeln und es all jenen zu zeigen, die ihn schon abgeschrieben hatten. Und es gelang ihm mit dem Charakter, dem Stallone seine Karriere überhaupt verdankte. Und ER führte Regie! Kein Wunder, dass sich der Actionstar nach dem Überraschungserfolg „Rocky Balboa“(2006) sofort anschickte, seinen zweiten Trademark-Charakter wiederzubeleben. „John Rambo“(2008) erwies sich als kleinerer finanzieller Erfolg, aber dennoch als Erfolg, der es Stallone erlaubte, ein weiteres, ambitionierteres Actionprojekt anzugehen. In diesem Film sollte nicht er allein im Mittelpunkt stehen, sondern um sich eine Gruppe bewährter Actionrecken versammeln, jüngere, aber vor allem ältere. Der Plan ging auf, aus dem Projekt „The Expendables“(2010) ist inzwischen eine Trilogie geworden, ein vierter Teil ist in Vorbereitung. Zuvor jedoch darf der diesmal in Mexiko tätige John Rambo ein fünftes Mal in „Last Blood“(2020) die Leinwände unsicher machen, während Rocky seinen Schützling in der Fortsetzung des hervorra- genden Boxerdramas „Creed“ab dem 24. Januar 2019 auf den Kampf gegen Ivan Dragos Sohn vorbereitet. Die Fortsetzungen von „Escape Plan“müssen sich hingegen mit Heimkino-Premieren zufrieden geben (siehe Test S. 60). Wir befinden uns eben nicht länger in den Achtzigern, in denen hypermuskulöse Männer-Karikaturen als popkulturelles Leitbild gelten konnten. Der alternde Stallone ist heutzutage ein Kuriosum, gleichermaßen faszinierend, abstoßend und komisch. Irgendwie ist es dennoch ganz schön, dass es ihn noch gibt und dass er noch eine Karriere hat. Da fühlt man sich doch gleich selbst nicht ganz so alt.