20 Venom
Test des Monats
Es dürfte vielleicht das erste Mal sein, dass in einem Superhelden-Film ein Kleidungsstück im Mittelpunkt steht (wir vergessen mal schnell Jackie Chans „The Tuxedo“sowie Jim Carreys „Die Maske“). Moment mal, fragen jetzt vielleicht einige, reden wir bei „Venom“denn nicht von einem der populärsten Antihelden und Gelegenheits-Antagonisten der Marvel-Comicwelt? Wieso sollte der sich denn in seinem eigenen Film von einer Klamotte die Show stehlen lassen? Tja, natürlich handelt es sich nicht um ein beliebiges Kleidungsstück, keine zerschlissene Hose oder müffelnde Socke, sondern um den Anzug eines Superhelden. Spider-Mans Anzug, um genau zu sein. Als solcher nämlich wurde Venom, damals noch namenlos, 1984 in Marvels Comic-Universum eingeführt. Nachdem im „Secret War“-Handlungsstrang Spidermans originaler rot-blauer Anzug während einer Schlacht auf dem außerirdischen Planeten „Battleworld“unbrauchbar geworden war, stößt Peter Parker bei der Suche nach Ersatz auf eine mysteriöse schwarze Kugel. Die beginnt, seinen Körper zu überziehen, löst die Reste des alten Anzugs auf und umhüllt ihn schon bald als neuer, stylisher Anzug, der seinem Besitzer erstaunliche Kräfte verleiht. Erst vier Jahre später erhielt der außerirdische Anzug seine spezielle Persönlichkeit, eine ausführlichere Hintergrundgeschichte und natürlich den Namen, der ihn als eigenständigen Charakter populär machen sollte: Venom (englisch für „Gift“, aber auch „Gehässigkeit“oder „Boshaftigkeit“).
Besucher aus dem Weltraum
Kinogänger machten mit dem schwarzen Symbionten (so genannt, weil er mit seinem Wirtskörper in einer Art Symbiose lebt) erstmals 2007 in Sam Raimis finalem Teil seiner „Spider-Man“-Trilogie Bekanntschaft. Dort wird er auf recht unspektakuläre Weise eingeführt und darf von seiner boshaften, aber auch charismatischen und höchst unterhaltsam Persönlichkeit leider nur wenig zeigen. Schon damals wurden bei Sony Pictures erste Pläne geschmiedet, der beliebten Figur ein eigenes Leinwand-Abenteuer auf den amorphen Leib zu schneidern. Behindert wurde dieses Vorhaben allerdings durch die sich immer wieder ändernden Pläne des Filmstudios für „Spider-Man“, an den der zynische Antiheld gekoppelt schien. Als Sony Pictures 2017 den Science-Fiction-Horror-Film „Life“in die Kinos brachte, vermuteten Fans dahinter aufgrund passender Motive fälschlicherweise ein inoffizielles Prequel zum geplanten „Venom“-Film, so sehr wünschten sie sich den dunklen Anti-Helden auf die große Leinwand. Für die „Venom“-Verfilmung hatten ihre Schöpfer klugerweise die Verbindung zum Spinnenmann gekappt. Es handelt sich also um einen weitestgehend eigenständigen Film, in dem sich keine Verweise auf frühere „Spider-Man“-Inkarnationen oder gar das „Marvel Cinematic Universe“finden lassen. Unfreiwilliger Partner des Symbionten ist somit auch nicht Peter Parker, sondern von Anfang an der Journalist Eddie Brock, der auch in der Comicvorlage der Charakter ist, mit dem zusammen das außerirdische Wesen zu „Venom“mutiert. Allerdings ist seine Figur im aktuellen Film deutlich positiver und sympathischer angelegt als in der Vorlage oder auch in „Spider-Man 3“, wo er von
Topher Grace verkörpert wurde.
Im ständigen „Selbstgespräch“
Tom Hardy, selbst großer Fan der „Venom“-Comics“, spielt Eddie Brock als hartnäckigen investigativen Journalisten, der über seinem Ehrgeiz oft Vor- und Rücksicht vergisst. Dieser Ehrgeiz wird sowohl ihm als auch seiner Verlobten Anne (Michelle Williams) zum Verhängnis, als er bei einem Interview den ebenso genialen wie skrupellosen Tech-Unternehmer Carlton Drake („The Night Of“Star Riz Ahmed) mit konfrontativen Fragen zu illegalen Menschenversu- chen verärgert. Der rachsüchtige Drake lässt es sich angelegen sein, nicht nur Brocks Karriere zu ruinieren, auch seine Verlobte verliert ihren Job, da Brock seine Informationen bezüglich der Experimente von ihr hatte. Ein halbes Jahr später lebt Brock allein, ohne Verlobte, ohne Job, als eine von Drakes Wissenschaftlerinnen ihn kontaktiert. Sie überredet ihn, seine Recherchen über Drake wieder aufzunehmen und hilft ihm auch, unbemerkt in den Laborkomplex zu gelangen, in dem die Experimente stattfinden. Hier wird Brock Zeuge, wie ein menschliches Testsubjekt mit einem seltsamen halbflüssigen Blubberwesen fusioniert werden soll.
Parasit oder Symbiont?
Beim Versuch, die Frau zu retten, springt das Wesen auf ihn über. Kurze Zeit nach seiner Flucht stellt Brock einige Merkwürdigkeiten an sich und seinem Körper fest, die er sich nicht erklären kann. Die Merkwürdigkeiten eskalieren dramatisch, als Söldner ihn aufspüren, die Drake geschickt hat. Ein monströses Wesen erscheint wie aus dem Nichts, umhüllt ihn und beginnt, gnadenlos unter den Söldnern aufzuräumen. Nach getaner Arbeit stellt sich die Kreatur als „Venom“vor, einer von vielen außerirdischen Symbionten, die auf der Suche nach Planeten sind, deren Bewohner sie übernehmen können. Im Austausch für Brocks Hilfe bei der Erfüllung dieser dubiosen Mission bietet Venom ihm übermenschliche Kräfte an. Bevor Brock einwilligt, verlangt er jedoch zunächst Venoms Hilfe, um Drake seiner Verbrechen zu überführen.
Mit seiner launigen „Partner wider Willen“-Dynamik folgt „Venom“erprobten und erfolgreichen Erzählmustern vieler Buddy-Filme wie „Lethal Weapon“oder „Red Heat“. Tat-
sächlich stellt die Interaktion zwischen Brock und Venom das Highlight des ansonsten recht formelhaften Superhelden-Actionfilms dar, der seinen Titelhelden leider erst nach einer guten Stunde einführt.
Vom Ich zum Wir
Für den gescheiterten Journalisten fungiert Venom wie ein Zerrspiegel der eigenen Seele. Wo Brock ehrgeizig handelt, geht Venom über Leichen. Wo Brock kaltschnäuzig ist, agiert Venom menschenverachtend und skrupellos. Wo Brock es an Rücksicht fehlen lässt, wird Venom gleich mörderisch. Glücklicherweise gelingt es Brock im Verlauf des Filmes, Stärke gegenüber dem Symbionten zurück zu gewinnen und sich vom Opfer zum Partner aufzuschwingen. In den Weiten des Internets, zwischen Reddit-Gruppen und Tumblr-Seiten, gewann außerdem eine Interpretation dieser Partnerschaft erhebliche Popularität, die in der Beziehung weniger eine klassische Buddy-Freundschaft und stattdessen eine unkonventionelle Romanze sehen will. Ob man diese Sichtweise teilt oder nicht, sie ist populär genug, dass Sony für das Marketing des (amerikanischen) „Venom“-Heimreleases den „romantischen“Aspekt der „Symbrock“-Beziehung (wie sie inzwischen genannt wird) in den Fokus rückt. Tom Hardy, der Eddie Brock seine Person und Venom seine Stimme leiht, erledigt in beiden Fällen einen großartigen Job, dem man den Spaß des Darstellers an den Rollen deutlich anmerkt. Gerade Venoms zynische und süffisante Kommentare machen großen Spaß und rücken den Film de- zent in die Nähe der erfolgreichen „Deadpool“-Reihe, die den Humor-Aspekt allerdings konsequenter und letztlich auch besser durchzieht.
Beschnitten
„Venom“hingegen weiß nicht so richtig, was er will. Venoms Sprüche sind die humoristischen Einsprengsel in einer ansonsten relativ biederen Superhelden-Sause von „Zombieland“-Regisseur Ruben Fleischer, in der allenfalls noch der an Tech-Egomanen wie Elon Musk erinnernde Oberbösewicht Drake ein wenig schillerndes Flair ins Spiel bringt. Die Action ist kraftvoll bis spektakulär, zeigt aber nichts, was anderswo nicht schon kraftvoller und spektakulärer zelebriert wurde. Bisweilen wird der Film ziemlich finster, um dann aber doch kalte Füße zu bekommen und vorzeitig von der Horrorschiene abzuspringen. Er will die Brutalität der ziemlich heftigen Comicvorlage auf die Leinwand bringen, stellt diese dann aber doch sehr sauber dar. Wo die „Deadpool“-Produzenten die „Cojones“in der Hose hatten, ihre beiden Filme mit einem R-Rating (17er Freigabe) in die Kinos zu bringen, schielten die „Venom“-Produzenten auf ein größeres Familienpublikum und entschieden sich für Schnitte und Kürzungen zugunsten einer 13er Freigabe. Der Erfolg gibt ihnen (leider) recht, trotz so einiger Negativ-Kritik entwickelte sich „Venom“zu einem großen Hit, der entgegen des kleineren Budgets das Einspielergebnis der meisten „Spider-Man“-Filme in den Schatten stellt. Eine Fortsetzung ist darum schon beschlossene Sache, und vielleicht verleiht der Erfolg des ersten Teils den Machern dort etwas mehr Mut. Zumal hier Cletus Kasady auftreten wird, der bekanntermaßen keinen Moral-Kodex besitzt und dessen Auseinandersetzung mit Venom eines der größten Comic-Events der 1990er war.