Blu-ray Magazin

Anspruch

- FALKO THEUNER

Gunpowder, Ballerina, Deine Juliet, Die Frau, die vorausgeht

Tanzfilme gibt es wie Sand am Meer. Wo in dieser Fülle an Angebot lässt sich nun Valeriy Todorovski­ys „Ballerina – Ihr Traum vom Bolschoi“einordnen? Der Film ist ein klassische­s Entwicklun­gsdrama, das die Entwicklun­g eines tanzbegabt­en Mädchens zu einer potenziell­en Bolschoi-Tänzerin thematisie­rt. Kenner von Nick Reads Dokumentat­ion „Bolshoi Babylon“würden jetzt von einem Drama mit enormem Konkurrenz-Druck ausgehen, der hier aber nur sehr seicht zwischen der aus der Arbeitersc­hicht stammenden Protagonis­tin Julia (Margarita Simonova) und der gut betuchten Karina (Anna Isaeva) angedeutet wird. Statt einer offenen Feindschaf­t werden die intrigante­n Prozesse eher hinter den Kulissen von Karinas Mutter ausgetrage­n. Der Konkurrenz­kampf zwischen den Mädchen erscheint eher freundscha­ftlicher Natur, weshalb der Film nicht einmal ansatzweis­e den schmerzhaf­ten Ton eines „Black Swan“trifft. Das muss er aber auch nicht. Und obwohl das Image des Bolschoi-Theaters unangetast­et bleibt, wird es hier auch nicht allzu sehr glorifizie­rt.

Lebensfreu­de, Fähigkeite­n, Stolz

Erzählt wird auf zwei Zeitebenen, die Julia einmal im Kindes- und einmal im Stadium einer jungen Erwachsene­n zeigen. Und selbst auf diesen Zeitebenen geht es nicht chronologi­sch voran. Die zeitlich korrekte Abfolge gab Todorofski­y auf, um Ursache und Wirkung bzw. die Zusammenhä­nge besser erklären zu können. So wird der Zuschauer über die Beziehung zwischen der ungefähr elfjährige­n Julia (Ekaterina Samuilina) und ihrem versoffene­n Begleiter Potockiy (Aleksandr Domogarov) zunächst im Unklaren gelassen. Er bringt sie zum Vortanzen an eine angesehene Ballettsch­ule, offenbart ihr, dass er selbst einmal für diese Schule auf Weltklasse-Niveau getanzt hat, und stellt ihr die strenge, sehr alte Lehrerin Galina Beleckaya (Alisa Freyndlikh) vor, die aufgrund seiner abgebroche­nen Karriere sauer auf ihn ist und die fehlende Leidenscha­ft der heranwachs­enden Tänzer-Generation bemängelt.

Die Vorzeichen stehen schlecht. Potockiy schubst sein Mündel in den Tanzraum, wo das Mädchen eisig empfangen wird, zumal sie die ersten Castings bereits verpasst hat. Julia wehrt sich gegen die Körperbesc­hau, widerspric­ht den Juroren, greift sie sogar verbal an. Und dann tanzt sie, sodass die alte Galina etwas in ihr erkennt. An dieser Stelle beginnt die entscheide­nde Entwicklun­g, und der Film fängt seine Zuschauer mit der großartige­n Chemie zwischen der hervorrage­nd spielenden Alisa Freyndlikh („Stalker“(1979)) und der Jungdarste­llerin Ekaterina Samuilina ein. Es ist ein Schüler-Lehrer-Verhältnis, bei dem man förmlich spürt, dass es sich prinzipiel­l um nur einen einzigen Charakter handelt, dessen unterschie­dliche Altersstuf­en aufeinande­rtreffen. Beide haben einen ausgesproc­hen widerspens­tigen Charakter, besitzen eine gestochen scharfe Intelligen­z, eine hervorrage­nde Beobachtun­gsgabe sowie einen unbrechbar­en Kampfgeist. Galina zeigt zudem erste Anzeichen einer Demenz, was für einige heikle Situatione­n sorgt. Auch die Jahre der fast erwachsene­n Julia gestalten sich spannend, da das Thema „Bolschoi“hier in greifbare Nähe rückt und der Traum nach einer Ballett-Karriere sowohl für die monetäre Versorgung der Familie als auch für das Ansehen vor ihren Vorbildern wichtig ist. Die Stilistik des Films schwebt zwischen dokumentar­ischer Authentizi­tät und minimal einsetzend­em Pathos, der sich auf die Leidenscha­ft des Tanzes konzentrie­rt. Dadurch entsteht an keiner Stelle das Gefühl von Romantik, wie man es beispielsw­eise aus den „Step Up“-Filmen kennt. Es ist eben kein Heilewelt-Märchen, bei dem garantiert alles gut wird, egal wie schwer der Weg auch scheint. Stattdesse­n ist es vielschich­tiger, glaubwürdi­ger und arbeitet mit einer zwar existenzie­llen Fallhöhe im materielle­n Sinne, die jedoch sehr leichtfüßi­g und unterhalts­am dargestell­t wird.

 ??  ??
 ??  ?? Julia hat auch als junge Erwachsene nichts von ihrer liebenswer­t direkten Art verloren
Julia hat auch als junge Erwachsene nichts von ihrer liebenswer­t direkten Art verloren
 ??  ?? Karina ist sowohl Freundin als auch Konkurrent­in und kommt aus einer wohlhabend­en Familie
Karina ist sowohl Freundin als auch Konkurrent­in und kommt aus einer wohlhabend­en Familie

Newspapers in German

Newspapers from Germany