Offenes Geheimnis
Die Erwartungen an Asghar Farhadis („Nader und Simin – Eine Trennung“) neuen Film „Offenes Geheimnis“waren groß. Nicht nur, dass der iranische Star-Regisseur bereits zwei Mal mit einem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde – er konnte für das Thriller-Drama außerdem die Hollywood-Größen Penèlope Cruz und Javier Bardem gewinnen. Und die Geschichte über eine Entführung, die eine spanische Familie an ihre emotionalen und moralischen Grenzen treibt, ist im Grunde auch genau die Art von Film, für die Farhadi bekannt ist.
Dennoch schafft es sein aktuelles Werk nicht ganz, an die bisherigen Erfolge anzuknüpfen. Das liegt allerdings keineswegs an den durchweg brillanten Schauspielleistungen, den interessanten Charakterdynamiken oder der meist spannend präsentierten Handlung. Die Inszenierung krankt vor allem am fehlenden erzählerischen Fokus, der teilweise kitschig anmutenden Melodramatik – und an einem seltsam schwachen Finale, das einen als Zuschauer weder richtig berührt, noch im Mark erschüttert.
Eine Familie am Limit
Die Prämisse ist dabei, wie für Farhadi typisch, simpel: Die seit Jahren mit ihrer Familie in Buenos Aires lebende Spanierin Laura (Penèlope Cruz) reist mit ihren zwei Kindern für die Hochzeit ihrer jüngeren Schwester Ana (Inma Cuesta) zurück in ihr Heimatdorf in die Nähe von Madrid. Anders als ihr selbst geht es der Familie in der alten Heimat aber finanziell nicht allzu gut. Ihr Vater ist wegen seiner Spielsucht nahezu verarmt und die Pension ihrer älteren Schwester Mariana (Elvira Mínguez) läuft auch eher schleppend.
Bei ihrer Jugendliebe Paco (Javier Bardem) sieht es da schon anders aus. Aus dem einst kargen Stück Land, das er Laura vor ihrem Weggang nach Argentinien abgekauft hat, ist inzwischen ein gut laufendes, blühendes Weingut geworden. Die dort stattfindende Hochzeit wird für die Familie aber statt romantischer Idylle schnell zum regelrechten Albtraum, da Lauras Tochter Irene (Carla Campra) entführt wird und während der verzweifelten Suche jeder jeden verdächtigt.
Hitchcock mit Hindernissen
Die vielen falschen Fährten, wer denn jetzt hinter dem Kidnapping des Mädchens stecken könnte, werden in bester Agatha-Christie-Manier gestreut und erzeugen, zusammen mit den langsam enthüllten Geheimnissen vieler Figuren, bis fast zum Ende des Films eine dichte Krimi-Atmosphäre.
Allerdings gelingt es Farhadi diesmal nicht, den spannenden „Wer ist der Täter?“-Plot mit den für ihn sonst üblichen gesellschaftlichen Abgründen zu unterfüttern. Die Motive aller Beteiligten werden hier nur recht oberflächlich beleuchtet und bewegen sich meist auf Seifenoper-Niveau. Und die anfangs sehr clever verbauten Handlungs-Details entpuppen sich angesichts des unspektakulären Twists schließlich auch nur als Augenwischerei. Das moralische Dilemma, das im Film behandelt wird, erhält seine Energie daher fast einzig und allein durch die Darsteller, die angeführt von Cruz und Bardem das glaubhafte Bild einer Familie zeichnen, die an ihren Geheimnissen und Schuldzuweisungen zu zerbrechen droht.
Auf der technischen Seite ist „Offenes Geheimnis“ebenfalls recht solide. Während die spanische Dorfidylle in farbenfrohen Panoramen eingefangen wird, greift der Film für seine Spannungsmomente auf starke Kontraste zurück. Die natürliche Soundkulisse wird zu Beginn zwar von mediterranen Chansons untermalt, meist dominieren aber die Dialoge die fehlerfreie Tonspur.