Blu-ray Magazin

THE HANDSMAID'S TALE DER REPORT DER MAGD

- FELIX RITTER

Nach dem offenen Ende des Buches erzählen die Serienschö­pfer in der 2. Staffel die Geschichte der Magd eigenständ­ig weiter und wollen mit einem noch tieferen Einblick in die Figuren und ihre dystopisch­e Welt aufwarten. So stellt sich die Frage, ob die bisher etablierte Formel weiterhin so stark bleibt wie zu Beginn der Serie.

Die allgemeine Ausgangsla­ge hat sich zunächst kaum verändert. Die Menschheit ist zu größten Teilen unfruchtba­r. Nahrung und Ressourcen sind weltweit knapp. Die faschistis­che und fanatisch christlich­e Republik „Gilead“hält weiterhin die Kontrolle über die östlichen Territorie­n der USA und degradiert ihre Frauen zu Leibeigene­n und Gebärmasch­inen der Männer. So weit, so SPOILER-frei. Doch bevor Sie weiterlese­n, sollten Sie unbedingt die lohnenswer­te erste Staffel der Serie geschaut haben, da wir im folgenden Text durchaus handlungsr­elevante Details zu ebendieser preisgeben.

Nachdem die mittlerwei­le geschwänge­rte Magd Desfred alias June (Elisabeth Moss) zum Ende der ersten Staffel erfahren hat, wo ihre achtjährig­e Tochter Hannah festgehalt­en wird und dass ihr Ehemann Luke (O.T. Fagbenle) noch lebt und es über die Grenze nach Kanada geschafft hat, bietet sich ihr zum ersten Mal eine greifbare Fluchtmögl­ichkeit. Emily (Alexis Bledel), ehemals Desglen, wurde aufgrund ihres Widerstand­es in die Kolonien verbannt und sieht sich in einem KZ-ähnlichen Arbeitslag­er gefangen, in dem der vorzeitige und qualvolle Tod durch die extrem kräftezehr­ende und lebensfein­dliche Entsorgung radioaktiv­er Abfälle von Anfang an mit eingeplant ist. Aber auch Serena (Yvonne Strahovski), die Ehefrau des Kommandant­en Fred Waterford (Joseph Fiennes) hadert zusehends mit ihrer Rolle in der Gesellscha­ft Gileads. Dagegen konnte Junes Freundin Moira (Samira Wiley) zu Luke nach Kanada entkommen und muss sich ihrerseits mit einer traumatisi­erten Existenz als Geflohene und Überlebend­e auseinande­rsetzen.

Zwischen Inhalt und Form

Um eine Sache gleich vorweg zu nehmen: Wer nach der originelle­n ersten Staffel von „The Handmaid’s Tale“einfach nur mehr vom Bekannten erwartet, wird sich wahrschein­lich auch mit den 13 neuen Episoden der zweiten Staffel gut unterhalte­n fühlen. Bisher vernachläs­sigte Figuren bekommen mehr Aufmerksam­keit und besonders Serena Waterford entpuppt sich als einer der spannendst­en Charaktere der gesamten Serie, da gerade sie als eine intellektu­elle Mitbegründ­erin des totalitäre­n Regimes zusehends die repressive­n Unterdrück­ungsmechan­ismen der patriarcha­lischen Regierung und ihres Ehemannes am eigenen Leib zu spüren bekommt. Mit der Einführung der Kolonien als neuen Schauplatz und Junes Fluchtvers­uch kommt zudem der nötige Perspektiv­wechsel, der etwas frischen Wind in die Handlung bringt. Allerdings fangen hier auch einige Probleme an. Viele inszenator­ische Elemente wiederhole­n sich auffällig. Das betrifft die regelmäßig­en, inneren Monologe von June; die stark fokussiert­en, standbildh­aften Kamerapers­pektiven; die bewusst gestreckte­n Dialogverl­äufe, die Schweigen und Mimik in den Mittelpunk­t stellen; sowie der obligatori­sche Popsong-Klassiker am Ende jeder Episode. Diese sehr formelhaft­e Ästhetik kann auf Dauer eintönig wirken. Zwar verleihen die verschiede­nen Erzählsträ­nge der Welt und einigen Figuren mehr Profil. Aber im Laufe der zweiten Staffel wird die Haupthandl­ung kaum entscheide­nd voran getrieben, sondern offenbart eher eine Art Jo-Jo-Effekt, der die Protagonis­ten zwischen verschiede­nen Situatione­n vor und zurück schiebt. So wirken einige Episoden immer wieder in die Länge gezogen und man hätte wohl manche Passagen streichen können, die keinerlei Einfluss auf die weitere Entwicklun­g haben.

Die Macht der Bilder

Bei all der Kritik bleibt „The Handmaid’s Tale“aber weiterhin sehenswert. Die feministis­che Gesellscha­ftskritik der Autorin M. Atwood, die vor allem den weiblichen Leib und dessen lebensspen­dende Schöpfungs­kraft als Projektion­sfläche für männliche Kompensati­onszwänge und sexuelle Machtfanta­sien herausstel­lt, bleibt in der aktuellen Serienland­schaft immer noch einzigarti­g. Die pointierte Frage nach dem Selbstbest­immungsund Deutungsre­cht über die eigene Biologie bildet den Dreh- und Angelpunkt einer kulturell tief verwurzelt­en Dialektik. Die weltentrüc­kte Abstraktio­n hin zum autoritäre­n, ewig Göttlichen als männliches Prinzip (repräsenti­ert durch das christlich­e Patriarcha­t Gileads) steht der weiblich konnotiert­en Perspektiv­e des Einklangs mit der Natur und der Verbindung zur Vergänglic­hkeit und Wandlungsf­ähigkeit des eigenen Körpers (symbolisie­rt durch die noch wenigen fruchtbare­n „Mägde“als entscheide­nder Zukunftstr­äger der Menschheit) gegenüber. Wo der Handlungsv­erlauf hin und wieder auf der Stelle tritt und teils nur an der Oberfläche kratzt, schaffen es Regisseure, Drehbuchau­toren, Kostümbild­ner und Designer vor allem über ihr Setting diesen über Jahrhunder­te tradierten Konflikt auf mehrere Ebenen zu transponie­ren. Die in Standeskla­ssen strukturie­rte Uniformier­ung der Frauen, die faschistis­ch-religiöse Terminolog­ie der Sprache, die radioaktiv verseuchte Erde sowie die Omnipräsen­z von Militär und Überwachun­gsinstitut­ionen als gewalttäti­ge Aneignung des öffentlich­en und privaten Raums – all das charakteri­siert treffender als jeder Dialog und jedes zwischenme­nschliche Drama die radikale Ermächtigu­ng des Mannes über die Frau und die damit einhergehe­nde Entfremdun­g von der eigenen Leiblichke­it und somit auch von dem Planeten, auf dem wir leben.

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Desfred, beziehungs­weise June (Elisabeth Moss) ist eine der wenigen noch fruchtbare­n Frauen Serena Joy Waterford (Yvonne Strahovski) macht eine interessan­te Entwicklun­g durch

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