Blockbuster
Archive, Gretel & Hänsel, Showgirls, Becky
Kevin James als geflohener Sträfling mit Bart und Glatze macht Jagd auf eine Familie. Doch seine Beute weiß sich zu wehren. Brutal, tragisch und trotzdem unterhaltsam schleicht sich ein eher untypischer Splatter-spaß in die düstere Halloween-zeit ein.
Seit dem Tod ihrer Mutter hat die junge Becky (Lulu Wilson) es nicht leicht. Die einzigen, denen sie noch vertraut, sind ihre beiden Hunde. Das Verhältnis zu Vater Jeff (Joel Mchale) ist dagegen sehr angespannt. Statt in Trauer zu leben, will Jeff lieber nach vorne schauen und eine neue Familie gründen. Das gefällt der jungen Halbwaise gar nicht. Ein Ausflug zum Familienhaus am See soll die Wogen glätten. Nur wartet dort bereits das Grauen auf Becky. In Form von Jeffs neuer Freundin Kayla (Amanda Brugel) und ihrem Sohn Ty (Isaiah Rockcliffe). Als das Paar dann auch noch die Absicht erklärt, zu heiraten, ergreift Becky die Flucht. Ein anderer Fluchtversuch gelingt auch wenige Kilometer entfernt. Vier Gefängnisinsassen entkommen unter der Anleitung von Dominick (Kevin James). Auf ihrem Weg töten sie nicht nur einen Mitgefangenen und die Fahrer, sondern zudem eine kleine Familie. Auch sie wollen zum Haus am See. Es dauert nicht lange, bis Dominick an Jeffs Türschwelle steht. Von ihrem Versteck im Wald aus muss Becky mit ansehen, wie der Rest ihres Lebens den Bach runterzugehen droht. Doch weil Flucht jetzt keine Lösung mehr ist, begibt sie sich stattdessen auf die Jagd.
Kevin Can’t Wait – to kill!
Die Regisseure Jonathan Milott und Cary Murnion bewiesen bereits mit „Bushwick“(2017) ihren Hang zu ungewöhnlichen Besetzungen. Damals steckten sie Dave Bautista in eine dramatische Rolle, als sich dieser noch mit seinen wortkargen Charakteren in „Guardians Of The Galaxy“und „Blade Runner 2049“ans Schauspiel herantastete. Kein Wunder also, dass auch ihr neuer Film dank ungewöhnlicher Besetzungen auffällt: Ein Kind, zwei Sitcom-stars und – wie passend – ein weiterer Ex-wrestler (Robert Maillet als Apex). Kann Fsk18-splatter so funktionieren? Insbesondere die Wahl von Kevin James als glatzköpfiger, langbärtiger und volltätowierter Neonazi hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. So viel, dass man sich fragen sollte, ob nicht „Kevin“der bessere Titel gewesen wäre. Schließlich dreht sich die komplette Werbekampagne um die Wandlungsfähigkeit des Familiencomedy-lieblings. Seine erste dramatische Rolle als blutrünstiger Sträfling soll die Wandlungsfähigkeit des ehemaligen Paketfahrers zeigen. Das geht so weit, dass Käufer der Blu-ray zum (glücklicherweise vorhandenen) Wendecover greifen müssen, um nicht jedes Mal das Zitat „So haben wir den King Of Queens noch
nie gesehen“lesen zu müssen. Es ist wahr, Kevin James‘ neuer Stil ist eines der großen Highlights des Splatter-thrillers. Aber das größte ist eben doch Becky selbst. Schließlich ist die 15-jährige Lulu Wilson die Einzige mit waschechter Horrorerfahrung. Allzu unpassend wäre der Titel „Kevin“übrigens dennoch nicht gewesen.
Becky Allein im Wald
Es ist schon 30 Jahre her, seit der kleine Kevin Mcallister sein Haus gegen gefährliche Eindringlinge verteidigte. Trotzdem stellt sich das Internet auch heute noch gerne die Frage: Wie viele Knochenbrüche, Schädeltraumata und innere Blutungen hätten Marv und Harry tatsächlich erlitten? „Becky“ist bereit, diese Frage zu beantworten. Bei ein paar Quetschungen und blauen Flecken bleibt es nicht. Von „Psycho“bis „Hostel“ist das gesamte Gewaltspektrum vertreten. Auch John Mcclane wird gerne für Vergleiche herangezogen. Doch hier wird weder langsam gestorben, noch werden Fallen aus Christbaumkugeln und Zuckerstangen gebaut. Stattdessen dürfen wortwörtlich die Augen aus dem Kopf fallen.
Paul Blart, aber mehr Bart
Queens war seine Heimat, Pakete liefern seine Berufung, gemütlich auf der Couch liegen sein Hobby – Doug Heffernan war das Abbild des typischen weißen Amerikaners der 1990er Jahre. Daran hat sich für Kevin James seitdem nicht viel geändert. Egal ob als Paul Blart, als Kindskopf oder als Präsident in „Pixels“, die Rolle ist so untrennbar mit Kevin James verbunden wie sein Schauspielkollege Adam Sandler. Aber 2020 ist eben ein ganz besonderes Jahr und wenn selbst dem Sand-man eine überragende Darbietung in „Der Schwarze Diamant“gelingen sollte, warum dann nicht auch James? Tatsächlich gibt die Gestalt des kräftig gebauten, vollbärtigen und mit
Hitler-ideologien voll tätowierten Sträflings ein beeindruckendes Bild ab. Dem möchte man nicht auf der Straße begegnen. Böse Zungen könnten behaupten, dass er noch immer die Rolle des typischen Amerikaners innehat. Nur eben 20 Jahre später. Dominicks Tattoos sind nicht aus einer Gefängnispflicht heraus entstanden. Das wird schnell klar. Unter dem Vorwand, nach seinem entlaufenen Hund zu suchen, dringt er in das Ferienhaus ein. Eine kurze Rede über die Reinheit von Hunderassen und seine Ideologien lassen keine Fragen offen. Beim Anblick von Jeffs dunkelhäutiger Freundin kann Dominick nur schwer gute Miene halten. Doch der radikale Killer ist nicht gekommen, um seine Weltansicht durchzusetzen. Er sucht nach einem ganz besonderen Schlüssel – jenen Schlüssel, den Becky kürzlich entdeckt hat. Der Mcguffin wird nicht nur zur Verhandlungsbasis, er macht auch eines klar: Dominick wird nicht gehen, bevor er hat, wofür er gekommen ist. Für Zeugen hat er keine Verwendung. Die Bedrohlichkeit der kleinen Killerbande und dessen Anführer ist leider nicht von langer Dauer. Je mehr Zeit wir mit Dominick verbringen, desto angreifbarer wirkt er. Das liegt zu Teilen an Drehbuch und Hauptdarsteller und im Deutschen vor allem am Synchronsprecher. Denn ja, Dominick klingt bei uns wie Doug Heffernan. Der Wechsel zur englischen Tonspur ist sowieso zu empfehlen, doch die dazugehörigen Untertitel sind leider nur auf Deutsch und Niederländisch verfügbar.
Becky
Es stellt sich sowieso die Frage, wer hier die größere Gefahr darstellt. Denn die Gejagte wird schon bald selbst zur Jägerin. Das Katz-undmaus-spiel ist bis zum Ende spannungsgeladen. Einige Verfolgungsjagden hätten optimaler inszeniert werden können. Manchmal entkommt die 15-Jährige ihren Verfolgern zu leicht. Das macht ihre Lage aber nicht weniger bedrückend. Nach und nach verdient der Film seine Fsk18-wertung mit immer kreativeren Kills. Lulu Wilson, die für ihr junges Alter bereits unzählige Horrorrollen aufweisen kann, findet genau den richtigen Grat zwischen überzeugendem Schauspiel und einer gesunden Prise „Overacting“. Spätestens als sie sich kampfbereit macht, indem sie ihre orange Fuchsmütze aufzieht, versteht jeder, dass dieses Kind nicht normal ist.
Audiovisuell aggressiv
„Becky“ist ein durch und durch aggressiver Film und das wird auch in der audiovisuellen Präsentation deutlich. Thematisch durchaus passend wird die eher schlichte Landschaft bald von grellen Farben durchbrochen. Ob nun Blut, Feuer, auffällige Kleidungsstücke oder alles zusammen, die Optik ist einfach ansprechend und trägt zum Spaß des Ganzen bei. Die Musik hämmert dazu an den richtigen Stellen ebenso gewalttätig durch die Lautsprecher. Der ordentliche Detailgrad wird ebenso gut in den Kleidungsstücken, Blut und Wunden sichtbar oder auch in Dominicks Bartpracht. Die Nahaufnahmen, vor allem von Gesichtern, sehen ziemlich gut aus. Aufnahmen von Wäldern zeigen schöne Grüntöne, die Schatten lassen aber bessere Schwarzwerte vermissen. Zwischen den blutig-farbigen Highlights, die meist mit den Höhepunkten des Films einhergehen, besticht die Blu-ray-präsentation aber eher mit ihrer Durchschnittlichkeit. Abgesehen vom Wendecover, welches unschöne Aufdrucke verschwinden lässt und einem etwas fehlleitenden Rückentext, der vom “überraschenden Tod” von Beckys Mutter spricht (die vielen Rückblenden beweisen das Gegenteil), bietet die Blu-ray dem Käufer nur wenig Mehrwert. Zwei Interviews mit Joel Mchale und Kevin James sowie ein kurzer Einblick in die Entstehung einer Szene schließen die Extras ab.