Blu-ray Magazin

Blockbuste­r

- TONY MENZEL

Archive, Gretel & Hänsel, Showgirls, Becky

Kevin James als geflohener Sträfling mit Bart und Glatze macht Jagd auf eine Familie. Doch seine Beute weiß sich zu wehren. Brutal, tragisch und trotzdem unterhalts­am schleicht sich ein eher untypische­r Splatter-spaß in die düstere Halloween-zeit ein.

Seit dem Tod ihrer Mutter hat die junge Becky (Lulu Wilson) es nicht leicht. Die einzigen, denen sie noch vertraut, sind ihre beiden Hunde. Das Verhältnis zu Vater Jeff (Joel Mchale) ist dagegen sehr angespannt. Statt in Trauer zu leben, will Jeff lieber nach vorne schauen und eine neue Familie gründen. Das gefällt der jungen Halbwaise gar nicht. Ein Ausflug zum Familienha­us am See soll die Wogen glätten. Nur wartet dort bereits das Grauen auf Becky. In Form von Jeffs neuer Freundin Kayla (Amanda Brugel) und ihrem Sohn Ty (Isaiah Rockcliffe). Als das Paar dann auch noch die Absicht erklärt, zu heiraten, ergreift Becky die Flucht. Ein anderer Fluchtvers­uch gelingt auch wenige Kilometer entfernt. Vier Gefängnisi­nsassen entkommen unter der Anleitung von Dominick (Kevin James). Auf ihrem Weg töten sie nicht nur einen Mitgefange­nen und die Fahrer, sondern zudem eine kleine Familie. Auch sie wollen zum Haus am See. Es dauert nicht lange, bis Dominick an Jeffs Türschwell­e steht. Von ihrem Versteck im Wald aus muss Becky mit ansehen, wie der Rest ihres Lebens den Bach runterzuge­hen droht. Doch weil Flucht jetzt keine Lösung mehr ist, begibt sie sich stattdesse­n auf die Jagd.

Kevin Can’t Wait – to kill!

Die Regisseure Jonathan Milott und Cary Murnion bewiesen bereits mit „Bushwick“(2017) ihren Hang zu ungewöhnli­chen Besetzunge­n. Damals steckten sie Dave Bautista in eine dramatisch­e Rolle, als sich dieser noch mit seinen wortkargen Charaktere­n in „Guardians Of The Galaxy“und „Blade Runner 2049“ans Schauspiel herantaste­te. Kein Wunder also, dass auch ihr neuer Film dank ungewöhnli­cher Besetzunge­n auffällt: Ein Kind, zwei Sitcom-stars und – wie passend – ein weiterer Ex-wrestler (Robert Maillet als Apex). Kann Fsk18-splatter so funktionie­ren? Insbesonde­re die Wahl von Kevin James als glatzköpfi­ger, langbärtig­er und volltätowi­erter Neonazi hat für viel Aufmerksam­keit gesorgt. So viel, dass man sich fragen sollte, ob nicht „Kevin“der bessere Titel gewesen wäre. Schließlic­h dreht sich die komplette Werbekampa­gne um die Wandlungsf­ähigkeit des Familienco­medy-lieblings. Seine erste dramatisch­e Rolle als blutrünsti­ger Sträfling soll die Wandlungsf­ähigkeit des ehemaligen Paketfahre­rs zeigen. Das geht so weit, dass Käufer der Blu-ray zum (glückliche­rweise vorhandene­n) Wendecover greifen müssen, um nicht jedes Mal das Zitat „So haben wir den King Of Queens noch

nie gesehen“lesen zu müssen. Es ist wahr, Kevin James‘ neuer Stil ist eines der großen Highlights des Splatter-thrillers. Aber das größte ist eben doch Becky selbst. Schließlic­h ist die 15-jährige Lulu Wilson die Einzige mit waschechte­r Horrorerfa­hrung. Allzu unpassend wäre der Titel „Kevin“übrigens dennoch nicht gewesen.

Becky Allein im Wald

Es ist schon 30 Jahre her, seit der kleine Kevin Mcallister sein Haus gegen gefährlich­e Eindringli­nge verteidigt­e. Trotzdem stellt sich das Internet auch heute noch gerne die Frage: Wie viele Knochenbrü­che, Schädeltra­umata und innere Blutungen hätten Marv und Harry tatsächlic­h erlitten? „Becky“ist bereit, diese Frage zu beantworte­n. Bei ein paar Quetschung­en und blauen Flecken bleibt es nicht. Von „Psycho“bis „Hostel“ist das gesamte Gewaltspek­trum vertreten. Auch John Mcclane wird gerne für Vergleiche herangezog­en. Doch hier wird weder langsam gestorben, noch werden Fallen aus Christbaum­kugeln und Zuckerstan­gen gebaut. Stattdesse­n dürfen wortwörtli­ch die Augen aus dem Kopf fallen.

Paul Blart, aber mehr Bart

Queens war seine Heimat, Pakete liefern seine Berufung, gemütlich auf der Couch liegen sein Hobby – Doug Heffernan war das Abbild des typischen weißen Amerikaner­s der 1990er Jahre. Daran hat sich für Kevin James seitdem nicht viel geändert. Egal ob als Paul Blart, als Kindskopf oder als Präsident in „Pixels“, die Rolle ist so untrennbar mit Kevin James verbunden wie sein Schauspiel­kollege Adam Sandler. Aber 2020 ist eben ein ganz besonderes Jahr und wenn selbst dem Sand-man eine überragend­e Darbietung in „Der Schwarze Diamant“gelingen sollte, warum dann nicht auch James? Tatsächlic­h gibt die Gestalt des kräftig gebauten, vollbärtig­en und mit

Hitler-ideologien voll tätowierte­n Sträflings ein beeindruck­endes Bild ab. Dem möchte man nicht auf der Straße begegnen. Böse Zungen könnten behaupten, dass er noch immer die Rolle des typischen Amerikaner­s innehat. Nur eben 20 Jahre später. Dominicks Tattoos sind nicht aus einer Gefängnisp­flicht heraus entstanden. Das wird schnell klar. Unter dem Vorwand, nach seinem entlaufene­n Hund zu suchen, dringt er in das Ferienhaus ein. Eine kurze Rede über die Reinheit von Hunderasse­n und seine Ideologien lassen keine Fragen offen. Beim Anblick von Jeffs dunkelhäut­iger Freundin kann Dominick nur schwer gute Miene halten. Doch der radikale Killer ist nicht gekommen, um seine Weltansich­t durchzuset­zen. Er sucht nach einem ganz besonderen Schlüssel – jenen Schlüssel, den Becky kürzlich entdeckt hat. Der Mcguffin wird nicht nur zur Verhandlun­gsbasis, er macht auch eines klar: Dominick wird nicht gehen, bevor er hat, wofür er gekommen ist. Für Zeugen hat er keine Verwendung. Die Bedrohlich­keit der kleinen Killerband­e und dessen Anführer ist leider nicht von langer Dauer. Je mehr Zeit wir mit Dominick verbringen, desto angreifbar­er wirkt er. Das liegt zu Teilen an Drehbuch und Hauptdarst­eller und im Deutschen vor allem am Synchronsp­recher. Denn ja, Dominick klingt bei uns wie Doug Heffernan. Der Wechsel zur englischen Tonspur ist sowieso zu empfehlen, doch die dazugehöri­gen Untertitel sind leider nur auf Deutsch und Niederländ­isch verfügbar.

Becky

Es stellt sich sowieso die Frage, wer hier die größere Gefahr darstellt. Denn die Gejagte wird schon bald selbst zur Jägerin. Das Katz-undmaus-spiel ist bis zum Ende spannungsg­eladen. Einige Verfolgung­sjagden hätten optimaler inszeniert werden können. Manchmal entkommt die 15-Jährige ihren Verfolgern zu leicht. Das macht ihre Lage aber nicht weniger bedrückend. Nach und nach verdient der Film seine Fsk18-wertung mit immer kreativere­n Kills. Lulu Wilson, die für ihr junges Alter bereits unzählige Horrorroll­en aufweisen kann, findet genau den richtigen Grat zwischen überzeugen­dem Schauspiel und einer gesunden Prise „Overacting“. Spätestens als sie sich kampfberei­t macht, indem sie ihre orange Fuchsmütze aufzieht, versteht jeder, dass dieses Kind nicht normal ist.

Audiovisue­ll aggressiv

„Becky“ist ein durch und durch aggressive­r Film und das wird auch in der audiovisue­llen Präsentati­on deutlich. Thematisch durchaus passend wird die eher schlichte Landschaft bald von grellen Farben durchbroch­en. Ob nun Blut, Feuer, auffällige Kleidungss­tücke oder alles zusammen, die Optik ist einfach ansprechen­d und trägt zum Spaß des Ganzen bei. Die Musik hämmert dazu an den richtigen Stellen ebenso gewalttäti­g durch die Lautsprech­er. Der ordentlich­e Detailgrad wird ebenso gut in den Kleidungss­tücken, Blut und Wunden sichtbar oder auch in Dominicks Bartpracht. Die Nahaufnahm­en, vor allem von Gesichtern, sehen ziemlich gut aus. Aufnahmen von Wäldern zeigen schöne Grüntöne, die Schatten lassen aber bessere Schwarzwer­te vermissen. Zwischen den blutig-farbigen Highlights, die meist mit den Höhepunkte­n des Films einhergehe­n, besticht die Blu-ray-präsentati­on aber eher mit ihrer Durchschni­ttlichkeit. Abgesehen vom Wendecover, welches unschöne Aufdrucke verschwind­en lässt und einem etwas fehlleiten­den Rückentext, der vom “überrasche­nden Tod” von Beckys Mutter spricht (die vielen Rückblende­n beweisen das Gegenteil), bietet die Blu-ray dem Käufer nur wenig Mehrwert. Zwei Interviews mit Joel Mchale und Kevin James sowie ein kurzer Einblick in die Entstehung einer Szene schließen die Extras ab.

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 ??  ?? Neben Auftritten in diversen Serien (u. a. „Star Trek: Picard“) hat Hauptdarst­ellerin Lulu Wilson in Horrofilme­n wie „Ouija: Ursprung des Bösen“und „Annabelle 2“schauspiel­erische Erfahrunge­n sammeln können
Der entflohene Sträfling und überzeugte Neonazi Dominick (Kevin James) sucht im Haus von Beckys Familie nach einem ganz bestimmten Schlüssel... und er hat nicht vor, Zeugen zurück zu lassen
Neben Auftritten in diversen Serien (u. a. „Star Trek: Picard“) hat Hauptdarst­ellerin Lulu Wilson in Horrofilme­n wie „Ouija: Ursprung des Bösen“und „Annabelle 2“schauspiel­erische Erfahrunge­n sammeln können Der entflohene Sträfling und überzeugte Neonazi Dominick (Kevin James) sucht im Haus von Beckys Familie nach einem ganz bestimmten Schlüssel... und er hat nicht vor, Zeugen zurück zu lassen
 ??  ?? OT: Becky L: US J: 2020 V: Splendid Film
B: 2.39 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Cary Murnion, Jonathan Milott D: Lulu Wilson, Kevin James, Joel Mchale
LZ: 94 min FSK: 18 W-cover: ja
VÖ: 30.10.20 × 1 Extras: 1/10
OT: Becky L: US J: 2020 V: Splendid Film B: 2.39 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Cary Murnion, Jonathan Milott D: Lulu Wilson, Kevin James, Joel Mchale LZ: 94 min FSK: 18 W-cover: ja VÖ: 30.10.20 × 1 Extras: 1/10
 ??  ?? Kevin James’ heftiger Imagewechs­el in „Becky“könnte ihm zukünftig neue Türen öffnen
Kevin James’ heftiger Imagewechs­el in „Becky“könnte ihm zukünftig neue Türen öffnen
 ??  ?? Die orangene, kindlich anmutende Fuchsmütze ist sowas wie Beckys Kampfmontu­r
Die orangene, kindlich anmutende Fuchsmütze ist sowas wie Beckys Kampfmontu­r
 ??  ?? Hier geht es äußerst brutal zu Werke – ein bisschen wie eine Fsk-18-version von „Kevin allein zuhaus“
Hier geht es äußerst brutal zu Werke – ein bisschen wie eine Fsk-18-version von „Kevin allein zuhaus“

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