Titelstory: Total Recall
Was ist eine Persönlichkeit anderes als ein auf Erinnerungen basierendes Konstrukt? Würde es eine Technologie geben, die das Verpflanzen von Erinnerungen ermöglicht, was wäre dann der Unterschied zwischen einem natürlichen und einem künstlich erstellten Charakter? Paul Verhoevens Science-fiction-klassiker nach Philip K. Dick spielt dieses Szenario auch nach 30 Jahren noch brillant durch. Zeit für eine totale Schwarzenegger-erinnerung!
Arnold Schwarzeneggers Karriere ist grob abstrahiert von zwei Dingen geprägt: Seinem Image als muskulöser Action-held und seinen bevorzugten Rollen in Science-fiction-filmen – einer Affinität, der er seit „Terminator“(1984) folgt. Fast alle seine Zukunftsfilme gehören heute zum obligatorischen Kanon eines jeden Filmliebhabers. Egal ob „Running Man“(1987), „Predator“(1987) oder „The 6th Day“(2000) – allen diesen Streifen ist eine gewisse Urgewalt aber auch ein philosophischer Aspekt gemein. Der beste Film dieser Reihe ist zweifelsohne Paul Verhoevens „Total Recall“(1990), der einen perfekten Mix aus brachialer Action, grandiosen Designs, subtilem Humor, oscarprämierten Effekten, verstörender Brutalität und philosophischer Science Fiction bietet. Kurioserweise spielt Arnie hier einen ganz normalen Alltagstypen, der seltsame Träume hat und sich deshalb eine Erinnerungs-reise auf den Mars wünscht. Um die Spannung zu steigern wählt er das Agenten-paket aus – und schon geht‘s los. Als sich die Ereignisse überschlagen, entsteht die Frage, passiert dies alles real oder handelt es sich um eine eingepflanzte Erinnerung? Noch viel wichtiger ist allerdings: Was könnte es realeres geben, als die eigene Erinnerung? Natürlich wird hier auch mit Schwarzeneggers Image gespielt. Jeder Zuschauer kennt ihn als Actionhelden, während er hier vorerst nur einen ganz normalen Bauarbeiter spielt. Somit lägen beide Deutungsrichtungen, Quaid als Arbeiter vs. Quaid als Geheimagent im Bereich des Möglichen.
Rote oder blaue Pille?
Für den Niederländer Paul Verhoeven, der vor „Total Recall“den ebenfalls kultigen Science-fiction-streifen „Robocop“fertig gestellt hatte, war es wichtig, eine gewisse Dualität beizubehalten. Auf die Frage, welche Realität im Film nun die echte sei, antwortet er gelassen „beide!“. Diese Herangehensweise ermöglicht ein großartiges Spiel mit dem für Protagonist Quaid vorgesehenen Schicksal sowie mit seinem Charakter. Eine der erinnerungswürdigsten Szenen ist daher jene, in der Arnie auf einem Hightech-stuhl gefesselt sitzt, der ihm erneut in die Erinnerung pfuschen soll, während der Held sichtlich mit aller Macht seinen „Schicksalsfesseln“zu entkommen versucht. Sein eigener Wille möchte gerne ausbrechen, um selber die Kontrolle über sein Leben zu gewinnen. Aber auch andere sehr starke Bilder wie der Ganzkörper-röntgen-scan, das „Baby“, das aufklappende Frauen-gesicht, der Taxi-fahrer und natürlich die dreibrüstige Dame brannten sich ins kollektive Gedächtnis ein und gehören zum allgemeinen Filmwissen einfach dazu. Sollte Sie jemand fragen, wie es aussieht, wenn jemand versucht, auf dem Mars zu atmen – dann lautet die richtige Antwort „Na wie Beaker … Mimimi!“Die Augen ploppen aus den Höhlen, das Gesicht verzieht sich, der Körper beginnt unkontrolliert zu zucken … mimimimimimimi … PENG! Wer diesen Vorgang bei Bösewicht Cohaagen (Ronny Cox) in „Total Recall“gesehen hat, wird diesen Anblick nie wieder vergessen. Unvergessen ist zudem die riesige Mars-landschaft, die zum Teil in der Nähe von Mexico City (Arnies Stunt-double rollt den roten Hang hinab) eingefangen wurde, größtenteils aber als Miniatur-modell in einer rund 6 000 Quadratmeter großen Lagerhalle aufgebaut und mittels Mate-painting erweitert wurde. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben: Hier ist nichts am Computer entstanden und alles absolut echt, nur eben kleiner bzw. mit Tricks ins Bild kopiert. Beispielsweise wurden die Leutchen im Mars-zug per Rückpro-technik im kleinen Zugmodell realisiert. Die den mit einer Atmosphäre versehenen Mars betrachtenden Mutanten wurden wiederum per Front-projektion in die Klippen-landschaft integriert. Kaum zu glauben, dass die Röntgenszene damals (also vor 1990) noch zu den am schwierigsten realisierbaren Tricks gehörte, da das Rendering der Motion-capture-daten nicht so klappte, wie es das beauftragte Vfx-unternehmen Metro Light Studios eigentlich wollte und die Szene letztlich im Rotoscope-verfahren realisiert wurde. Letztlich ist es eine Schande, dass die für diese Leistung Oscar-prämierten Künstler selbst, im Abspann der Kinofassung gar nicht genannt werden. Erst die spätere Vhs-veröffentlichung ergänzte die Vfx-verantwortlichen im Abspann, was wiederum nach der Überarbeitung des ganzen Kinofilms erneut wegfiel. Aber immerhin gibt es nun auf der Disc ein Bonusfeature, dass sich ausschließlich den dahinter steckenden Leuten widmet. Hut ab, für diese Pionier-leistung! Und so entstand eine nahezu analoge und damit zeitlose
Illusion, die sich auch heute noch mit aktuellen, meist sogar künstlicher wirkenden Cgi-effekten messen kann.
Frühere Versionen
„Total Recall“ist einer dieser Filme, die im Kino ungeschnitten zu sehen waren und dann kurz nach dem Vhs-start indiziert wurden. Seit 1991 gab es den Streifen hierzulande also nur gekürzt zu sehen. Erst 2011 gab es eine Neuprüfung mit dem Ergebnis einer Fsk-16-freigabe für die ungekürzte Fassung und einer passend zum Start des Colin-farrell-remakes 2012er-neuveröffentlichung auf Blu-ray. Diese war zwar aufgrund des ungeprüften Bonusmaterials mit einem FSK-18-LOGO versehen, aber immerhin ungeschnitten. 2016 erschien die bislang aktuellste Blu-ray-version des Kultfilms, samt neuem von Verhoeven überwachten Hd-transfer bzw. digitaler Überarbeitung des Bildes. Aus dem sehr milchigen Streifen mit sichtlichen Alterungserscheinungen wie Schmutzablagerungen, Haarrissen und Farbverlusten wurde ein kontrastreicheres, farbintensiveres Erlebnis, mit etwas weniger aber dennoch vorhandenen Haarrissen und Verschmutzungen sowie einer annehmbaren Schärfe. Auch hier war der Schwarzwert trotz zusätzlicher Abdunklung alles andere als perfekt. Der DTS-HD-MA-5.1-SOUND klingt relativ sauber, während man ihm die 1990er Jahre (glücklicherweise) immer noch anhört.
Die neue Version
Wer sich die zum 30. Jubiläum neu in 4K restaurierte Philip-k.-dick-verfilmung ab dem 19. November kaufen will, kann sich zwischen der 3-Disc-limited Steelbook Edition (Uhd-blu-ray + Blu-ray + Bonus-blu-ray), der 2-Disc-limited
Steelbook Edition (Blu-ray + Bonus-blu-ray) und der Standard-edition mit lediglich der Film-blu-ray entscheiden. Allen Editionen ist gemein, dass sie das eigens dafür angefertigte Artwork des britischen Illustrators Kyle Lambert ziert. Sammler entscheiden sich natürlich für eine Steelbook-variante, schon allein um des neuen Bonusmaterials wegen. So lassen sich erstmals die Extra-beiträge „Total Excess: Wie Carolco Hollywood veränderte“(59 Min.), „Open Your Mind: Die Filmmusik“(21 Min.) und „Dreamers Within The Dream: Die Entstehung von Total Recall“(8 Min.) begutachten. Natürlich dürfen auch die schon von der 2016erblu-ray bekannten Featurettes nicht fehlen: „Die Spezialeffekte von Total Recall“, das „Making of“, „Interviews mit dem Filmteam“sowie der Audiokommentar von Arnold Schwarzenegger und Paul Verhoeven. Einige Extras von der früheren Blu-ray sind nicht enthalten wie beispielsweise die Inteviews mit dem Science-fiction-experten Stéphane Bourgoin, mit den Spezial-effektlern M. Hildebrand & G. Mignotte sowie das „Neue Interview mit Paul Verhoeven“. Im Audio-menü lässt sich nun eine neue, englische Dolby-atmos-abmischung bewundern. Die deutsche Dts-hd-ma-5.1-abmischung ist geblieben. Das gilt übrigens sowohl für die Blu-ray als auch für die Uhd-scheibe.
Das restaurierte Bild sieht auf der Uhd-blu-ray dank Dolby Vision und HDR sowie der höheren Auflösung großartig aus. Perfektes Schwarz und satte Farben sorgen für einen modernen Bildeindruck. Sowohl in den Totalen mit den Mars-landschaften, als auch in den Close-ups lässt sich die enorme Kanten- und Detailschärfe erkennen. Im Vergleich zur 2016er-blu-ray ist das Bild dunkler und Kontraststärker. Sharon Stones Taschenlampe im nächtlichen Dunkel (25. Min.) ist nur eine von vielen enorm hellen Lichtquellen, die nun stärker Leuchten. Die Gesichter erscheinen etwas röter, insbesondere das Antlitz des Mutanten Tony ist noch viel rosiger geworden. Das Filmkorn ist sehr präsent und relativiert manchmal die ansonsten hervorragende Kantenschärfe.