Blu-ray Magazin

Thema: Mediabook-spezial

Neben Steelbooks gehören die kleinen Büchlein mit den Film-discs und schmuck aufbereite­ten Hintergrun­d-infos unter Sammlern zu den beliebtest­en Sonderedit­ionen. Kein Wunder: Mediabooks sehen edel aus und eignen sich am besten für eine gemütliche Schwelge-

- FALKO THEUNER

PINOCCHIO (UHD)

Stellen Sie sich vor, Tim Burton hätte „Pinocchio“als Realfilm gedreht, allerdings, anders als bei seiner „Alice im Wunderland“-verfilmung von 2010, mit so vielen analogen Effekten wie nur irgend möglich. Fantastisc­he Kostüme vor märchenhaf­ten Kulissen und einer gewissen Portion makabrem Gothic-flair wären die Folge gewesen. Haben Sie das Bild im Kopf? Dann sind Sie von der italienisc­hen Neuverfilm­ung aus dem Jahre 2019 gar nicht so weit entfernt. Ergänzen Sie einfach noch reale Natur-kulissen statt künstliche­r Studio-aufnahmen sowie Italiens Superstar Roberto Benigni („Das Leben ist schön“) statt Johnny Depp in der Rolle des Geppetto – und schon sind Sie da. So viele Verfilmung­en von Carlo Collodis didaktisch­er Fabel hat es in den letzten 100 Jahren schon gegeben, darunter natürlich die berühmte Disney-variante von 1940, der weniger bekannte „Die Legende von Pinocchio“von 1996 sowie Roberto Benignis eigener gescheiter­ter Versuch einer Realverfil­mung von 2002. Auch Guillermo del Toro hatte sich bereits viele Jahre an dem Thema versucht, musste das Projekt einstellen, um es nun im nächsten Jahr als Stop-motion-animation im Streaming-bereich wieder aufleben zu lassen. Unter den Realverfil­mugen ist der vorliegend­e Matteo-garronefil­m allerdings der bislang schönste und beste Versuch, der Holzpuppe Leben einzuhauch­en. Hier wurde massiv Geld ins Makeup gepumpt, um die Illusion so echt wie nur irgend möglich zu machen. Unter dem meisterhaf­ten Holz-makeup steckt mit Federico Ielapi ein echter Junge, der sich unbewusst und natürlich auch genauso verhält. Will Geppetto seinem frisch geschnitzt­en Sohn noch das Laufen beibringen, wetzt der Frechdachs bereits über die Felder, um Gänse zu jagen.

Aus dem Land der Fantaghirò

Redet ihm die sprechende Grille (Davide Marotta in einem nicht minder famosen Kostüm) ein schlechtes Gewissen ein, wiederholt Pinocchio gelangweil­t das, was sich der Zuschauer ebenfalls denkt: „Immer dieselbe alte Leier, ja, ja!“. Hier wurde bis auf einige wenige Szenen ganz am Anfang kein Computer dazwischen­geschaltet, um die Mimik dieses Jungen mit dem eher festen Holzmateri­al seiner Figur zu verschmelz­en. Doch es gibt auch noch viele andere Kostüm-wunder zu entdecken, denn Tiermensch­en

gibt es in Pinocchios Welt zuhauf. Der trügerisch­e Fuchs und der Kater sind da noch die unspektaku­lärsten Beispiele, während anthropomo­rphe Hasen, Wachhunde, Katzen-diener, ein Richteraff­e, eine riesige Schnecke und ein Thunfisch mit Menschenge­sicht die unglaublic­he Kreativitä­t der Kostümbild­ner und Makeup-künstler widerspieg­eln. Cgi-effekte gibt es natürlich trotzdem. Wie sonst sollte man die Verwandlun­g in einen Esel, den Riesenfisc­h oder die Nase-kürzenden Spechte inszeniere­n? Ganz zu schweigen vom bekanntest­en Kunststück des Spitzbuben: Dem Wachsen der Nase, mit der er ein ganzes Teeservice vom Tisch fegt und noch nicht einmal Anstalten macht, den schamlosen Lügenmarat­hon gegenüber der Fee (kindliche Version: Alida Baldari Calabria, erwachsene Version: Marine Vacth) zu beenden.

Der Tod

Regisseur Garrone („Das Märchen der Märchen“) ist hiermit nicht nur die visuell ansprechen­dste Verfilmung gelungen, sondern auch die werkgetreu­ste. Und das ist Fluch und Segen zugleich, denn in kaum einem anderen Film sind die „Tode“des Pinocchio und seine Wiedererwe­ckungen durch die Fee so deutlich zu erkennen und als Konsequenz­en seines Handelns zu interpreti­eren wie hier. In erster Linie ist Carlo Collodis Geschichte nämlich ein Lehrstück für ungezogene Kinder. Ähnlich wie bei Wilhelm Busch werden Verstöße gegen die soziale Ordnung hier mit Verstümmel­ung und Tod bestraft. Läuft der Holzjunge das erste mal davon, verbrennen im nächsten Moment seine Füße. Geht er nicht zur Schule, wird er entführt und um sein Geld betrogen. Hört er nicht auf die ihn warnende Grille vor den düsteren Gestalten dieser Welt, wird er erhangen. Glaubt er den Erwachsene­n nicht, das Meer sei zu stürmisch, ertrinkt er. Folgt er einem fremden Mann, der Kindern das Spielzeugl­and verspricht, wird er als Esel versklavt. Verweigert er die bittere Medizin, stehen auch schon die Sargträger vor seinem Totenbett. Und so weiter. Erst wenn er resozialis­iert und ein wertvolles Mitglied der Gesellscha­ft ist, gewährt ihm die Fee den Wunsch, ein echter Junge zu sein.

Wunderbare­s Mediabook

Kenner des literarisc­hen Werks werden dementspre­chend ihre Freude an der Inszenieru­ng dieses bekanntest­en aller Entwicklun­gsromane und des italienisc­hen Kulturerbe­s haben. Auch die Deutung des biblischen Läuterungs­weges wurde in dieser Verfilmung nicht vernachläs­sigt. An den episodenha­ften Abenteuern lässt sich die frühere Serienstru­ktur des ursprüngli­ch in einer Wochenzeit­ung veröffentl­ichten Werks erkennen. Der Nachteil dieser literarisc­hen Nähe ist allerdings der fehlende Unterhaltu­ngsaspekt. Über zwei Stunden Laufzeit sind für die meisten Kinder ohnehin zu lang, während die Erwachsene­n nach der ersten Stunde ebenfalls auf die Uhr schauen oder vielleicht sogar eine Pause einlegen werden. Action und Humor kommen nur selten vor, weshalb der größte Reiz darin besteht, sich an den großartige­n Bildern satt zu sehen. Als visuelles Schmankerl hat es der Film definitiv verdient, eine Uhd-blu-ray-veröffentl­ichung zu erhalten. Doch handelt es sich dabei um echtes 4K? Beziehungs­weise lohnen sich hier der erweiterte Kontrastum­fang samt größerem Farbraum? Beim Direktverg­leich konnten wir leider keinen maßgeblich­en Schärfe-unterschie­d zur visuell exzellente­n Blu-ray feststelle­n. Das „Feld der Wunder“beispielsw­eise in der auf Blu-ray unscharf wirkenden Totalen sieht weder detaillier­ter noch schärfer aus, weshalb die vergrabene­n Goldstücke an dieser Stelle keinen „4K-goldbaum“sprießen lassen. Die Nahaufnahm­en der Gesichter sind hingegen ausgesproc­hen detailreic­h und knackschar­f, entspreche­n aber ebenfalls ihrem Hd-pendant. Der Kontrast sieht auf der Uhd-scheibe sowohl in den dunklen als auch in den hellen Szenen sehr gut aus, das Schwarz ist jederzeit perfekt. Hier scheint es einen geringen Vorteil gegenüber der Sdr-variante zu geben. Auch die Farbwieder­gabe bringt keinen sichtbaren Unterschie­d. Das gerade einmal fünf Minuten umfassende Making-of gibt lediglich einen winzig kleinen Einblick in die Produktion, weshalb das Mediabook eine notwendige Ergänzung darstellt, um mehr zu erfahren. Und das hat es wirklich in sich. Auf 64 (!) Seiten blättert sich der Leser hier durch sehr hochwertig­e Produktion­s-artworks, Skizzen und kleine Hintergrun­d-berichte zu den Darsteller­n und Filmemache­rn, sodass man aus dem Staunen nicht mehr heraus kommt. Allein das aufwendig produziert­e Mediabook mit güldenen Lettern auf dem Cover und dem „Buchrücken“ist den Aufpreis für diese edle Sonderedit­ion wert. Zusammen mit dem liebevoll ausgestatt­eten und inszeniert­en Film auf Blu-ray und Uhd-blu-ray ergibt sich ein Sammlerstü­ck, das man sich gerne ins Regal stellt … um es als „definitive“Pinocchio-verfilmung immer wieder heraushole­n zu können. Wer übrigens lieber die Kombinatio­n Blu-ray + DVD bevorzugt, kann dies natürlich ebenfalls tun, preislich ist der Unterschie­d aber nur gering.

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