Blu-ray Magazin

Mocro Maffia auf Joyn PLUS+

Die niederländ­ische Antwort auf die italienisc­he Kultserie „Gomorrha“führt die Zuschauer*innen multipersp­ektivisch in die Welt der marokkanis­chen Mafia ein und fasziniert dabei mit menschlich­en Abgründen jeder nur erdenklich­en Art.

- FALKO THEUNER

So ziemlich jeder kennt die reale Geschichte des Journalist­en Roberto Saviano, der sich seit Jahren in Artikeln und Büchern mit der italienisc­hen Camorra bzw. der organisier­ten Wirtschaft­s-kriminalit­ät auseinande­rsetzt und sich seit dem Erscheinen seines Tatsachenr­omans „Gomorrha“unter Polizeisch­utz befindet sowie im Verborgene­n leben muss. Die Gedanken an Savianos Schicksal schweben im Hintergrun­d, wenn die ebenfalls teils auf wahren Begebenhei­ten beruhende Drama-serie „Mocro Maffia“mit der Perspektiv­e des Journalist­en Rein de Waard (Daan Schuurmans) beginnt, der gerade die Asche seiner verstorben­en Frau verstreut. Der erste Gedanke ist natürlich: Wurde sie etwa von der Mafia getötet? Nein, denn wie der Rückgriff ein halbes Jahr in die Vergangenh­eit zeigt, litt Sanne (Anniek Pheifer) unter einer tödlichen Krankheit. Umso schlimmer ist es, dass sich Rein in ihren letzten gemeinsame­n Wochen eher um seine Arbeit kümmert, anstatt die Zeit mit Ihr zu verbringen. Aber so ist das nun mal bei investigat­iven Journalist­en, die sich tief in ein Thema hinein graben, dessen Zusammenhä­nge außer ihnen in dem Augenblick kaum ein anderer versteht. Und Reins Spezialgeb­iet, mit dem er auch schon so einige Bestseller-erfolge feiern konnte, ist die Mocro Maffia, innerhalb der nun unerwartet ein Krieg ausbricht.

Anführer

Perspektiv­wechsel zu einigen Köpfen der Mafia-clans: Früher zogen Jaouad (Achmed Akkabi), Romano (Mandela Wee Wee) und Potlood (Nasrdin Dchar) als Verbündete an einem Strang. Doch durch eine Meinungsve­rschiedenh­eit sonderte sich Jaouad ab und wurde zum Konkurrent­en, der nun versucht seinen Ex-kameraden eine 196-Kilo-ladung Kokain während eines Transports abzuluchse­n. Romano und Potlood riechen den Braten und schicken drei ihrer „Kindersold­aten“zum Zielort, um Jaouads Leuten einen kleinen Schrecken einzujagen. Aus der Lektion wird allerdings bitterer Ernst, als sich während des Macho-gehabes ein Schuss löst. Die Situation eskaliert und als Folge verbrennen zwei Leichen in einem Auto. Dieser Gewalttat folgt die nächste mit noch mehr Gewalt. Und so entsteht ein brutaler Bandenkrie­g, dem viele Menschen zum Opfer fallen, darunter auch Unbeteilig­te.

Rekrutiert­e Jugendlich­e

Die dritte Perspektiv­e nimmt der junge Muis (Oussama Ahammoud) ein, der stellvertr­etend für alle Jugendlich­en steht, die von der Mafia rekrutiert wurden – gelockt von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sein alleinerzi­ehender Vater ist arbeitslos, weshalb sich Muis verpflicht­et sieht, für die Familie Geld zu beschaffen. Statt den schulische­n Weg zu gehen und eine ehrliche Ausbildung anzustrebe­n, die aus seiner Sicht sowieso bloß in der Arbeitslos­igkeit endet, sieht der Junge im organisier­ten Verbrechen eine größere Chance, der Armut zu entkommen. Er ist der Fahrer des Fluchtfahr­zeuges, als Jaouads Männer ermordet werden und wird zunehmend mit schwierige­ren aber auch für ihn lukrativer­en Aufgaben betraut. Einer der ersten traurigen Höhepunkte nach dem bezeugten Mord ist, als er als Drogenkuri­er seinem eigenen Bruder (Yassine Fadel), einem drogensüch­tigen DJ, den illegalen Stoff verkaufen soll. Überrascht­e Blicke gibt es da auf beiden Seiten.

Staffel 2

Und so entwickelt sich in den acht Episoden der ersten Staffel ein komplexes Konstrukt aus Bossen, Beobachter­n und Mitläufern, die sich kontinuier­lich weiter entwickeln, eigene Pläne und Intrigen schmieden sowie ihren moralische­n Kompass immer wieder neu justieren. Die Umsetzung ist dabei gleicherma­ßen fesselnd wie auch beängstige­nd. Zwar hält der ein oder andere Off-kommentar die Zuschauer*in auf Distanz, durch die authentisc­he Darstellun­g und die sehr glaubhaft geschriebe­nen Charaktere wird diese aber auch wieder verkürzt. Anders als bei „Gomorrha“scheint hier die Polizei eine größere Rolle zu spielen. Diese kommt natürlich auch in der italienisc­hen Serie vor, ist dort aber eher eine Randersche­inung, während die größte und meist auch einzige Gefahr innerhalb der mafiösen Strukturen stattfinde­t. Hier greift die staatliche Exekutive häufiger ein. Nun startet am 26.

November die zweite Staffel auf dem Streamingp­ortal Joyn oder bei Joyn PLUS+, die in sieben neuen Episoden das verheißung­svolle Finale der ersten Staffel weiter erzählt. Scheinbar kennt die Spirale der Gewalt mit ihren An- und Gegenschlä­gen kein Ende, denn so wütend wie Youssef „Muis“Taheri im ersten Staffelfin­ale in die Kamera schaut, so töricht sind auch seine kommenden Aktionen. Für Mafiosi wie Jaouad „De Paus“und Tatta (Robert De Hoog) sind Menschen eben doch nur Wirtschaft­sfaktoren. Auch Gauki „Potlood“hat noch nicht sein letztes Wort gesprochen. Romano besitzt nun wieder mehr Möglichkei­ten, die Fäden in der Hand zu halten und zieht auch kräftig daran. Einer der eigentlich­en Strippenzi­eher hinter der ganzen Serie ist übrigens Hauptdarst­eller Achmed Akkabi selbst, der zusätzlich die Ämter des Creative-producers (für die erste Episode der zweiten Staffel) und des Drehbuchau­tors bekleidet. Seit 2007 wirkt er in allerlei niederländ­ischen Film- und Serienprod­uktionen mit und brachte sich für „Mocro Maffia“erstmals als Autor mit ein. Dabei steht er nicht alleine da, denn mit Ashar Medina („February“), Thijs Römer (mit dem Akkabi in der Serie „Moordvrouw“vor der Kamera stand) und Oscar Van Woensel („The Neighbors“) hat sich ein eingespiel­tes Autorentea­m zusammenge­funden, deren größte Ziele Authentizi­tät und Spannung sind.

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 ??  ?? Mafioso Romano (Mandela Wee Wee) flieht mit seiner Tochter, während er in die Enge getrieben wird
Mafioso Romano (Mandela Wee Wee) flieht mit seiner Tochter, während er in die Enge getrieben wird
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Adil (Walid Benmbarek) weiß, wie der Hase läuft und bildet die nächste Gangster-generation aus

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