PANDEMIE
Zwar nicht ganz taufrisch, dafür jedoch von großer aktueller Relevanz und beklemmender Wirklichkeitsnähe ist „Pandemie“, ein südkoreanischer Virenthriller, den es nun nach Deutschland verschlagen hat. Doch handelt es sich dabei um einen verspäteten Trittb
Es hat schon ein gewisses Geschmäckle, wenn ein koreanischer Film über eine Vogelgrippeepidemie ausgerechnet jetzt hierzulande veröffentlicht wird, mit siebenjähriger Verspätung, gerade rechtzeitig, um die Nerven eines Covid19-gebeutelten Publikums auf die Probe zu stellen und vom aktuellen Thema zu profitieren. Auffällig dabei auch der deutsche Titel, „Pandemie“, der nicht nur an der Handlung des Viren-thrillers vorbei geht, sondern eben auch einen deutlichen Bezug zur gerade grassierenden Corona-pandemie herzustellen versucht. Und dabei ist er, das soll nicht verschwiegen werden, durchaus erfolgreich. Auch wenn es sich beim Viren-ausbruch im Film nicht um eine Pandemie, sondern „nur“um eine Epidemie handelt, sind die Parallelen zu unserer derzeitigen Wirklichkeit doch auffällig genug, um sich zu wundern, ob „The Flu“, so der internationale Titel, tatsächlich schon 2013 produziert wurde. Zu dieser Zeit war das Interesse deutscher Publisher an einem koreanischen Virenthriller offenbar gering, was bedauerlich ist, da der Film doch mit den üblichen Qualitäten koreanischer Blockbuster aufzuwarten weiß. Doch eine weltweite Gesundheitskrise später sieht die Lage nun anders aus, ein schwacher, aber immerhin ein Trost.
Lockdown
„The Flu“kam zu einem traurigen Jubiläum in die koreanischen Kinos, nämlich zehn Jahre nach der sogenannten Sars-pandemie von 2003, welche knapp 800 Menschenleben forderte und das Leben der Bevölkerung Süd- und Ostasiens nachhaltig prägte. Im Film ist es allerdings nicht der SARS-VIRUS, der umgeht, sondern die sogenannte Vogelgrippe. Unglücklicherweise wird der Virus hier von Flüchtlingen in die koreanische Hafenstadt Budang gebracht, die allerdings alle schon beim Transport an der Krankheit sterben, alle bis auf einen jungen Mann namens Monssai. Von den toten Flüchtlingen überträgt sich der hochansteckende Erreger auf die Schmuggler, welche den Container mit den Leichen entdecken und die ihn ihrerseits im Krankenhaus verbreiten, in dem sie Hilfe suchen. Was folgt, mutet aktuell beängstigend vertraut an, nämlich Zweifel an der Gefährlichkeit des Virus, schließlich Erkenntnis, lokale Quarantäne, die zum stadtweiten Lockdown führt, und letztlich gar zu menschenverachtenden Überreaktionen. Wer sich in unserer derzeitigen Situation von den eher zaghaften Einschränkungen schon bevormundet fühlt, dürfte von den Maßnahmen im Film wohl Schnappatmung bekommen, denn nach längerem Zögern wird hier rigoros gehandelt. Zwar wird nicht von nuklearer Endlösung wie in Wolfgang Petersons Ebola-thriller „Outbreak“fantasiert, dennoch wirken die Eindämmungsansätze in ihrer Härte und Hilflosigkeit hier fast noch entsetzlicher. Apokalyptische Bilder von Leichenbergen, die mittels Baggern entsorgt werden müssen, sorgen ebenso für mulmige Gefühle beim Publikum wie die eskalierenden „Befriedungsversuche“des Militärs und die unverfrorene Intervention der amerikanischen Verbündeten. Als individuelle Bezugspersonen dienen ein mutiger Rettungssanitäter und, natürlich, eine junge Mutter, die zudem auch noch höchst wichtige Ärztin ist und sich gleichzeitig in diesen zwei Verantwortungsbereichen bewähren muss. Trotz des Ungemachs um sie herum bleibt den Beiden selbstredend auch ein bisschen Zeit für eine kleine, stubenreine Romanze.
Helden der Arbeiterklasse
Was Regisseur Kim Sung-su, hierzulande vermutlich am ehesten für sein ruppig-schönes Historienepos „Musa – Der Krieger“bekannt, mit „Pandemie“auf die Beine gestellt hat, kann sich wahrlich auch sieben Jahre nach Erstaufführung noch sehen lassen. Von den skurrilen, hintersinnigen Gesellschaftsreflektionen eines Park Chan-wook („Oldboy“) oder Bong Joon-ho („Parasite“) ist der Film weit entfernt. „Pandemie“spricht direkt und unsubtil zum Publikum, in seiner Darstellung des Virusausbruchs ebenso wie in seinen Personenzeichnungen oder dem dramaturgischen Rahmen. Hysterische Mütter, brutale Gangster, opportunistische Politiker, zynische amerikanische Berater, ein gewissenloses Militär und mittendrin ein grundehrlicher, einfacher Held aus der Arbeiterklasse – eine manipulative Konstellation, die jedoch ungemein effektiv funktioniert. Das trotz über zweistündiger Laufzeit atemlose Tempo lässt keine Zeit zum Verschnaufen, wobei der Film dennoch nicht gehetzt wirkt, sondern die Spannungsschraube zügig, aber eben nicht überhastet anzieht. Dass sich bei einer derartigen Herangehensweise die Figurenzeichnungen eher durch Archetypen als durch nuancierte Tiefe auszeichnen, verwundert da kaum, schadet aber angesichts des vorwärts drängenden Erzählflusses nicht. Schon eher stört die Abwesenheit echter Sympathieträger. Working-class-hero Kang Ji-koo (Jang Hyuk) bleibt in seiner unbedarften Art eher blass, Ärztin Kim In-hae (Soo Ae) wirkt sogar ausgesprochen anmaßend und verantwortungslos. Hier treiben eher extrinsische Kräfte das menschliche Drama voran als echtes Interesse an faszinierenden Figuren. Dennoch: Eine souveräne Inszenierung, starke, eindrückliche Bilder, gute Darstellerleistungen und eine nicht nur jetzt gerade höchst relevante Thematik machen „Pandemie“zu einem unbedingt sehenswerten Hochspannungs-thriller auf Hollywood-niveau. Nach so viel Lob muss nun allerdings noch etwas Kritik sein, und zwar an der deutschen Veröffentlichung. Technisch lässt sich wenig an der Blu-ray beanstanden, die wahlweise als Standard-disc oder als Doppel-disc mit reichhaltigem Bonusmaterial im Mediabook zu haben ist. Die deutsche Synchro jedoch ist der Qualität des Filmes nicht angemessen, was das Filmvergnügen merklich schmälert. Originalton und Untertitel schaffen hier Abhilfe.