| Titelthema: His Dark Materials (2. Staffel)
(2. STAFFEL)
In Philip Pullmans Fantasy-trilogie bestimmen drei magische Gegenstände den Fortgang der Handlung. Nach dem goldenen Kompass des ersten Romans ist in Staffel zwei nun das magische Messer dran, bevor die Handlung voraussichtlich in Staffel drei mit dem Bernstein-teleskop abgeschlossen wird. Mit dem Streaming-start im Dezember auf Sky, der digitalen Veröffentlichung im Januar und dem im Juli anlaufenden Blu-ray-start wird es Zeit, die neben „The Witcher“momentan aufwendigste laufende Fantasy-serie am Markt ausführlich zu betrachten.
Die Regeln von Protagonistin Lyras Welt sind einfach: Jeder Mensch besitzt einen „Daemon“, einen tierischen Begleiter-geist, der seine manifestierte Seele darstellt. Es existieren kampfbewährte, sprechende Eisbären. Hexen gehören zu den mächtigsten Lebewesen dieser Realität. Und hinter den Kulissen findet ein Kampf statt zwischen dem christlich geprägten Magistrat und den Wissenschaftlern, die das verklärte Weltbild der Regierung widerlegen können, es jedoch nicht dürfen. Der technologische Stand dieser Welt ist dem viktorianischen Steampunk entlehnt, weshalb mechanische Elemente und Zeppeline zum Gesamtbild dazu gehören. Soweit so gut. Ohne das Ende der ersten Staffel im Detail verraten zu wollen, kann gesagt werden, dass sich die BBC- und Hbo-koproduktion eng an der literarischen Vorlage aus den 1990er Jahren orientiert. Dementsprechend gelangt Lyra zu Beginn der zweiten Staffel durch ein Portal in eine neue Welt, deren Gesetze und Bewohner anders sind, als die oben beschriebenen. Zunächst erscheint es so, als wäre Cittàgazze eine komplett verlassene Stadt. Ohne Frage handelt es sich um das Gebilde, was Lyras Protegé Lord Asriel (James Mcavoy) im Prolog der ersten Staffel mit einer speziellen Vorrichtung in den Polarlichtern entdeckt hat. Glücklicherweise trifft sie alsbald auf den Jungen Will (Amir Wilson), den Staffel 1 bereits am Rande eingeführt hat, ohne ihm zu große Beachtung zu schenken. Will stammt nämlich ebenfalls aus einer anderen Welt, die der unseren zum verwechseln ähnlich sieht, wenn sie es nicht sogar ist. Seine psychisch labile Mutter wurde zuvor vom Magistrats-mitglied Carlo Boreal (Ariyon Bakare) bedrängt, der nach dem totgeglaubten, verschollenen Wissenschaftler Colonel John Parry („Sherlock“-star Andrew Scott) sucht. Nun verfolgt Will die Spur seines Vaters, findet Parrys Portal und schreitet hindurch, in eine neue Welt, in der er Lyra trifft. Ihr Schicksal ist eng miteinander verwoben wie der Vorspann der Serie von Anfang an zeigte. Ein Junge und ein Mädchen als Protagonisten einer Prophezeiung: Das kann doch nur in einer Genesis-ähnlichen Romanze enden, um ein biblisches Bild zu bemühen. Dieses christlich motivierte Bild spielt noch eine enorm wichtige Rolle, denn wie bei jedem paradiesischen Szenario wird es auch hier eine Schlange geben. Nur, dass die Schlange aus anderen Gründen zum Apfel der Erkenntnis führt und vielleicht sogar mehr mit dem medizinischen Äskulapstab gemein hat als mit dem Teufel.
Die Geisterstadt
In einem Western wäre eine Geisterstadt einfach nur verlassen, doch hier befinden wir uns in einem Fantasy-szenario, in dem man den Begriff lieber wörtlich nehmen sollte. Cittàgazze ist alles andere als unbewohnt. Die Teenager können sie nur nicht sehen, die Daemon-fressenden Geister,
die eine Bedrohung unbekannten Ausmaßes mit sich bringen. Seltsamerweise befallen diese Wesen ausschließlich die seelischen Begleiter der Erwachsenen, deren Form sich mit dem Charakter gefestigt hat. In Staffel 1 wurde überdeutlich gemacht, dass der sogenannte „Staub“, das Hauptmysterium der Serie, nicht auf Kinder reagiert, wodurch sich an dieser Stelle ein Zusammenhang zwischen dem Staub und den Geistern aufdrängt.
Um mehr darüber zu erfahren, stellen die beiden Nachforschungen in Wills Welt an, in der sie auf die Astrophysikerin und Neuropsychologin Dr. Mary Malone (Simone Kirby) treffen, einen der interessantesten Neuzugänge der Serie. Malone, die aufgrund ihrer kirchlichen sowie naturwissenschaftlichen Ausbildung zwischen den Stühlen steht wie kaum eine andere, erforscht den Staub, den sie als dunkle Materie bezeichnet. Hin und hergerissen zwischen Glaube und wissenschaftlicher Forschung ist ihr Geist offen für Lyras Geschichte. Sie selbst hat ein Programm entwickelt, über das sie mit dem Staub kommunizieren kann – eine Technologie, die Lyras Kompass gar nicht so unähnlich sieht. Wird sie den Vorhersagen der dunklen Materie glauben und dem vorgegebenen Schicksalspfad folgen? Mit ihren Fähigkeiten und ihrer emotionalen Vergangenheit wird Mary auf jeden Fall noch eine ausgesprochen wichtige Rolle in der Serie spielen.
Ein anderer Neuzugang ist Giacomo Paradisi (Terence Stamp), der auf dem geheimnisvollen „Turm der Engel“gefangen gehalten wird. Er ist der aktuelle Träger des bereits im Intro benannten magischen Messers, mit dem sich Tore zu fremden Welten öffnen lassen. Der Prophezeiung nach besitzen die Träger des wertvollen Instruments nur acht Finger, weshalb Giacomo während eines Kampfes der Ringfinger sowie sein kleiner Finger entfernt wurden. In seinem
fortgeschrittenen Alter fällt es ihm schwer, das Relikt weiterhin zu beschützen und auch die Gefangenschaft macht ihm zu schaffen. Doch das scheint der einzige Weg zu sein, ihn vor den seelenfressenden Geistern zu beschützen, die ein besonderes Verhältnis zum magischen Messer haben. Dem Mythos nach sollen Engel die einzigen sein, die diese widernatürlichen Wesen zerstören können. Giacomo wurde schon einmal von Wills Vater, John Parry, gerettet, weshalb er dem Jungen wohlwollend zugetan ist und auch noch eine Schuld zu begleichen hat.
Parry selbst nimmt quasi ebenjene Rolle ein, die in Staffel eins Lord Asriel für Lyra einnahm. Wie dieser ist John eine dauerhaft körperlich abwesende, geistig allerdings sehr präsente Vaterfigur, die von Will gefunden werden soll – ein Mythos, der von den Kindern erforscht und verfolgt wird.
Abwesende Väter
John Parry ist ein Abenteurer, Wissenschaftler und Schamane, der zunächst in Wills Welt aufwuchs, wo er auch seine Familie gründete. Während einer Alaska-expedition gelangte er durch Zufall nach Cittàgazze und von dort aus in Lyras Welt, in der er unterschiedlichste Bekanntschaften machte und sich dort dem Widerstand gegen den Magistrat anschloss. Sein dort gefundener Daemon ist ein Fischadler namens Sayan Kötör – genau wie sein menschliches Pendant ein fliegender Räuber. Mehr noch kennt John die Geheimnisse der Seelenwanderung und der Beeinflussung des Wetters, was seiner bevorzugten Reiseform per Zeppelin zum Vorteil gereicht. Während sich die Väter aus dem Staub machen, um ihren wissenschaftlichen Forschungen nachzujagen, nehmen zumindest die Mütter ihre Aufsichtspflicht ernster, wenn man es denn so nennen kann.
Wütende Mütter
Während Will eher auf seine Mutter aufpassen muss, war Lyra in der ersten Staffel die meiste Zeit über damit beschäftigt, den eiskalten Fängen der unheimlichen Mrs. Coulter („Luther“star Ruth Wilson) zu entkommen. Statt einer klassischen Bösewichtin stellt Marisa Coulter eine sehr ambivalente Persönlichkeit dar, was sie zum undurchsichtigsten und in unseren Augen besten Charakter der ganzen Trilogie macht. Ihre Ziele erreicht sie mit bedingungsloser Skrupellosigkeit, nur für Lyra hat sie eine Schwäche. Ihr stummer Begleiter, ein goldener Affe, scheint sich von ihr emotional abgesondert zu haben. Beide verstehen sich nicht besonders gut und der Affe kann solch große Distanz zwischen sich und seine Seelenkameradin bringen, dass die Frage im Raum steht, wie stark die Abhängigkeit voneinander überhaupt noch ist. Wird Coulter wütend, legt sie schon einmal ein primaten-ähnliches, wildes Verhalten an den Tag. Dann dauert es meist nicht lange, bis auch der goldene Affe als eiskalter Killer eine brutale Gewalttat verübt. In Staffel zwei ist sie nicht weniger unheimlich, da sie ihr Weg an die Seite der Schlange Boreal (Ariyon Bakare) führt. Nicht zu vergessen tragen ihre Forschungen zur Abspaltung der Daemons von Menschen Früchte, sodass sie nun über seelenlose Soldaten verfügt. Und es gibt auch noch einen weiteren Zusammenhang zwischen ihr und dem Geisterphänomen …
Lee und die Hexen
Der texanische Aeronaut Lee Scoresby (Linmanuel Miranda) nimmt in diesem Reigen der Prophezeiungen, Machtspiele, Auserwählten und kollidierenden Welten die Sonderstellung eines Jokers ein. Eigentlich ist er ein einfacher Abenteurer, der hier und da einer Kneipenschlägerei frönt (die er verliert), beim Pokern betrügt, Schlapphut trägt, gelegentlich als Scharfschütze agiert und Geld mit dubiosen Aufträgen verdient. Sein Herz sitzt am rechten Fleck, seine Fähigkeiten sind aber geringer als sein unverschämtes Glück, weshalb er nicht schlecht staunte, als ihn die wunderbare Serafina Pekkala (Ruta Gedmintas) in Staffel 1 offenbarte, dass er eine große Rolle im Krieg zwischen den Hexen und dem Magistrat spielen werde. Mit den Hexen hatte Lee schon mehrmals zu tun, was in der Vergangenheit zu einer Romanze führte, die tragisch endete. Nun, da Asriel ein weiteres Tor am Nordpol öffnete, wohnt Scoresby dem Hexenrat bei, der ihn und seinen Daemon, Häsin Hester, auf eine große Mission schickt. Wen er auf dieser Reise trifft und wo ihn ebendiese hinführen wird, sei an dieser Stelle nicht verraten.
Hinter den Kulissen
Für alle, die den für seine Effekte Oscar-prämierten Kinofilm „Der goldene Kompass“(2007) gesehen haben, nicht aber die Roman-vorlagen der Reihe kennen, ist Staffel 1 der Serie „His Dark Materials“eine Intensivierung des beliebten Fantasy-stoffs gewesen, während Staffel 2 die ihnen bekannte Handlung endlich fortsetzt. Der Aufwand der allerersten Tv-serien-umsetzung von New Line Cinema für die BBC ist enorm, was unter anderem an der Tatsache liegt, dass jeder Mensch in Lyras Fantasy-welt von einem computeranimierten Tier begleitet wird. Dadurch gibt es also fast keine Szene, die ohne CGI auskommt. Und dann gibt es da auch noch unterschiedlichste Fantasy-wesen, die das Effekte-budget gewiss nicht schmälern. Die Schauplätze wechseln unter anderem zwischen der gotischen Universität in England, der realen Welt und dem Nordpol, was aufwendige Kulissen erfordert. Die Schauspielriege
um Ruth Wilson („Juther“), James Mcavoy („X-men“), Clarke Peters („The Wire“), Andrew Scott („Sherlock“) und Daphne Keen („Logan“) bewegt sich auf Kino-blockbuster-niveau und wird alles andere als günstig gewesen sein. Doch all den immensen Kosten-aufwand nahm Produzentin Deborah Forte in kauf, da auch bereits „Der goldene Kompass“ein Herzensprojekt von ihr war. Und auch, wenn sehr aufmerksame Beobachter feststellen werden, dass die Daemonbegleiter doch nicht in allen Szenen zu sehen sind (vermutlich schläft dann Pantalaimon unter Lyras Jacke, um etwas Cgi-budget zu sparen), ist es kaum zu glauben, wie gut und hochwertig doch jede einzelne Serien-episode aussieht. Wie so viele Serien-produktionen blieb natürlich auch „His Dark Materials“nicht vor Covid-19 verschont. Die zweite Staffel wurde zwar glücklicherweise fast gänzlich vor dem ersten Lockdown abgedreht, doch eine Episode viel dem Virus dann doch zum Opfer, sodass diese Staffel nur 7 Folgen statt der geplanten 8 umfasst. Das
Wiedersehen mit Lord Asriel gibt es diesmal also nur sehr flüchtig und wird hoffentlich in Staffel drei intensiviert.
Erforschung des Staubs
Corona dürfte übrigens auch der Grund dafür sein, weshalb es bislang noch keine Blu-ray zur zweiten Staffel gibt. Sowohl in Amerika als auch hierzulande hält sich Warner Bros. mit neuen Blu-ray-veröffentlichungen zurück. Bis auf die sechste Staffel der Dc-serie „The Flash“sind momentan keine weiteren Titel bis Ende März auf physischen Datenträgern angekündigt. Stattdessen erscheinen die Serien-fortführungen vorerst nur als Download-version. So auch bei „His Dark Materials (Staffel 2)“, das seit dem 5. Januar digital käuflich erworben werden kann. In Großbritannien ist die Blu-ray der zweiten Staffel (inkl. 4 Artcards) sowie das Kombi-pack mit Season 1 & 2 bereits seit Dezember 2020 erhältlich und kann unter anderem über Online-händler wie zavvi.de oder auch amazon.co.uk bestellt werden. Als Bonusmaterial sind hier folgende Features angegeben: „Making His Dark Materials“, „The Subtle Knife“, „Lyra“und „The Powerful Mrs Coulter“. Ob sich auf den drei Discs der jeweiligen Staffel neben einer englischen auch eine deutsche Tonspur befindet, geben die gängigen Online-händer leider nicht an. Da es hier aber scon eine britische Blu-ray-version gibt und die Serie digital verkauft wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ab Juli auch deutsche Blu-rayfans in den Genuss der Hd-scheiben kommen werden, sobald die wärmeren Monate und damit hoffentlich auch wieder einige Lockerungen für die Geschäfte anstehen. Wer die neuen Episoden nicht zwingend besitzen muss, kann sich diese seit Dezember auch beim Pay-tv-anbieter Sky anschauen. Neben der Erstausstrahlung auf dem Hbo-geprägten Kanal Sky Atlantic lassen sich beide Staffeln auch jederzeit über Sky Ticket und Sky Q abrufen bzw. streamen.