| Die kleine Horror-schule: Anfänge
Mögen Sie Horror-geschichten? Gefällt es Ihnen, wenn in einem Horror-film Blutfontänen spritzen und Gliedmaßen durch die Gegend fliegen? Damit sind Sie nicht allein. Im Gegenteil: Die meisten mögen es, sich gelegentlich zu gruseln. Doch woher kommt diese
Der amerikanische Autor H.P. Lovecraft hat einmal geschrieben, dass die älteste und gleichzeitig auch größte Empfindung des Menschen die Angst sei. So unrecht scheint er damit nicht zu haben, denn Ängste begleiten Menschen tatsächlich seit Ewigkeiten und auch heute noch werden Menschen von unterschiedlichen Formen der Angst verfolgt: Existenzängste, die Angst vor verschiedenen Konsequenzen des eigenen Handelns, Angst vor großer Höhe, Angst vor Spinnen und vor dem Tod. Früher fürchtete der Mensch sich vor profanen Mächten: Kälte, Hunger, Dunkelheit. Die Kälte bringt Krankheit und Tod, der Hunger lässt den Menschen langsam sterben und in der Dunkelheit lauerten vor Urzeiten die tödlichen Bedrohungen durch Raubtiere und das Ungewisse, das der Mensch nicht einschätzen konnte. All diese Bedrohungen sind in unserer modernen Gesellschaft Vergangenheit und dennoch setzen sich Menschen immer wieder mit dem Schrecken, der Angst und der Furcht auseinander, nämlich mit dem Horrorgenre.
Didaktische Ursprünge
Heute zählen viele Klassiker des Horrors zum großen Kanon unserer Kultur: „Der Exorzist“(1973, R: William Friedkin) oder „Psycho“(1960, R: Alfred Hitchcock) gehören zu unverrückbaren Meilensteinen des Kinos und sind dennoch dem Horrorgenre zuzurechnen, das in den damaligen Zeiten kein sonderlich gutes Ansehen hatte. Heute fasziniert die elegante und präzise Erzähltechnik aus „Der Exorzist“immer noch Millionen Menschen und ebenso viele Menschen lassen sich gerne durch die perfekt pointierten Momente des Schreckens das Fürchten lehren. Sowohl filmtechnisch als auch im Sinne des Horrorgenres ist Friedkins Meisterwerk ein Maßstab für ein extremes Niveau. Doch auch Filme wie „Der Exorzist“entstehen nicht plötzlich aus dem Nichts heraus, sondern sind das Ergebnis einer Tradition, die bereits seit Jahrhunderten existiert. Um es gleich vorweg zu nehmen: etwas wie „die erste Horrorgeschichte der Welt“gibt es nicht. Man kann aber tatsächlich einen markanten Unterschied festmachen, denn ab einem recht genauen Zeitpunkt wechselt die Nutzung der Horrorthematik.
In vielen alten Geschichten gibt es Motive des Horrors. Die Bibel, um mal das berühmteste Buch der westlichen Welt als Beispiel anzuführen, hat Unmengen an Geschichten und Passagen zu bieten, die man heute ohne Weiteres dem Horrorgenre zuschreiben könnte – sie hat nur eine andere Funktion. In Geschichten des Alten Testaments werden massenhaft Kinder getötet, die Meere und Flüsse werden zu Blut, ganze Städte werden in apokalyptischen Szenarien zerstört – und dennoch hat es eine eher erzieherische Funktion, es wird gelehrt und nicht unterhalten. Auch in den Geschichten der altnordischen Edda oder in griechischen und römischen Göttersagen kommen hier und dort Elemente vor, in denen Menschen grausamen Monstern gegenüber stehen oder selbst Opfer ebenso grausamer Handlungen werden. Aber auch solche Geschichten haben, ebenso wie die Bibel, einen eher belehrenden Charakter. Das zieht sich vor allem auch durch die mündlich überlieferten Legenden und Sagen aller Länder dieser Erde. Gruselige Erzählungen von Geistern und Hexen in Mooren und Sümpfen, wo Irrlichter die Menschen vom Weg abbringen, haben keinen Unterhaltungswert als solches, sondern sollen Reisende davon abhalten, nachts in solchen Regionen einen qualvollen Tod zu finden. Trotz dieses didaktischen Charakters sind diese Legenden und Sagen dennoch voller Horrorelemente, die zu ihrer Zeit bestimmt eine Menge Angst und Schrecken provoziert haben.
Schauergeschichten
Die ersten richtigen Ausformungen des Horrorgenres als solches entstanden viele Jahrhunderte später und dennoch viele Jahre vor unserer Gegenwart. Mehr oder weniger begründet als eigene Strömung wurde es durch den britischen Autor Horace Walpole im Jahr 1764 mit seinem Roman „Das Schloss von Otranto“. Die Schauerliteratur wurde geboren und zum ersten Mal wurden bewusst Elemente des Schrecklichen und der Furcht als eine Form der Unterhaltung gestaltet. Natürlich ist die ganz frühe Schauerliteratur noch weit davon entfernt, was heute im Allgemeinen mit dem Genre-begriff „Horror“umfasst wird, aber dennoch werden hier die ersten Steine für den langen Weg dorthin gelegt: Mysteriöse Vorfälle, eine unheimliche Atmosphäre, Mord, vermoderte Schlossgemäuer – die Motive dieser Schauergeschichte kann im Prinzip jeder aufzählen, auch wenn er sie nicht selbst gelesen hat. Walpole selbst war auch nur der Anfang, denn in Europa schrieben immer mehr Schriftsteller in der Art, die Walpole begründete. Matthew Gregory Lewis veröffentlichte 1796 „Der Mönch“, E.T.A. Hoffmann verfasste 1815/1816 „Die Elixiere des Teufels“und brachte mit seinen „Nachtstücken“1816/1817 Geschichten wie „Der Sandmann“oder „Das öde Haus“unter die Leserschaft unheimlicher Literatur. Mary Shelley
veröffentlichte 1818 ihren „Frankenstein“und 1820 wurde von Charles Robert Maturin „Melmoth der Wanderer“raus gebracht, was die bis dahin größte Erzählung in diesem Genre darstellte. Ein Schlag von einem Ausmaß, den man sich heute vielleicht nicht sonderlich gut vorstellen kann, wurde der damaligen Literatur zugefügt, denn zu der damaligen Zeit beherrschten immer noch Trends, nicht verschiedene Genres, die literarischen Schöpfungen. Die Weimarer Klassik, Sturm und Drang und natürlich auch die Romantik waren Strömungen, denen entsprechend die jeweiligen Werke zugeteilt wurden und gerade die Romantik, die sich mit Gefühlen, Sehnsucht und der Erhabenheit auseinander setzt, ist der direkte Vorläufer der Schauerliteratur, die auch mitunter als „Schauerromantik“oder „Schwarze Romantik“bezeichnet wird. Es gelten die gleichen Regeln und Motive, jedoch werden hier vorrangig die dunklen Gefühle und Emotionen betont und psychische Störungen, Wahnsinn, Sehnsucht nach dem Tod und auch Drogenkonsum tauchen in der Schauerliteratur immer wieder auf.
Entwicklung eines Genres
Das war damals extrem neu und sorgte für Aufsehen. Nicht nur die Literatur beschäftigte sich mit solchen Motiven, selbst Opern wie „Don Giovanni“von Mozart (1787) sorgten schon mit turbulenten Höllenfahrten und gruseligen, sprechenden Statuen für einiges Grauen unter dem Publikum – selbstverständlich unter dem Mantel der Belehrung, doch gerade solche gruseligen Momente wurden vom Publikum nicht immer als Belehrung aufgenommen, sondern mitunter sehr genossen, denn selbst die gesungene Höllenfahrt eines Weiberhelden hat mitunter seinen lustvollen Reiz. Schaut man genau in die Mediengeschichte zurück, sind Literatur, Theater und Oper voll mit Horrorelementen, doch erst die Schauerromantik brachte diese als eigene Strömung richtig hervor. Seit diesem Zeitpunkt ist Horror nicht mehr nur ein schnödes Motiv, sondern eine eigene Kunstform, die sich immer weiter entwickelte. Die Menschen waren von Romanen wie Bram Stokers „Dracula“(1897) oder auch den Erzählungen des amerikanischen Dichters Edgar Allan Poe (1809-1849) begeistert. Gerade Poe, als Vertreter einer späten, amerikanischen Variante der Romantik, prägte das Horrorgenre nachhaltig und ließ mit seiner mitunter drastischen Wortwahl weitaus düsterere und unheimlichere Motive zu, als es bisher die Mode war. Lovecraft bezeichnete Poe als ein Morgenrot der Literatur, als einen neuen Anfang – und damit hatte er tatsächlich nicht unrecht, denn Poe markiert in der Entwicklung der Horrorliteratur noch einmal einen entscheidenden Wendepunkt, denn so meisterlich wie er seinen Schrecken zu Papier brachte, war bisher keiner seiner Vorläufer.
Das Horrorkino
Es dauerte tatsächlich nicht lang, bis nach der Entwicklung des ersten Kinematographen und allgemein der ersten Filmtechnik die ersten Horrorfilme entstanden. 1897 produzierte der Filmpionier Georges Méliès den Kurzfilm „Le Château Hanté“, bei dem erste Horrorelemente auftauchen. Méliès nutzte Horrormotive vor allem dafür, um ausgefallene Tricktechniken einzusetzen. Stop-motion und Morphing-techniken wurden in seinen kleinen Studios entwickelt und brachten für das damalige Publikum eine gehörige Portion Schrecken auf die Leinwand.
Die Entwicklung des Horrorgenres hörte auch niemals auf. Andere Literaturgattungen wie die Weimarer Klassik oder die Romantik wurden durch jeweils andere Strömungen abgelöst, aber die Schauergeschichten blieben. Mit der Entwicklung des Kinos kam zur Literatur, der Oper und dem Theater ein weiteres Medium, das ebenso schnell, wie das Beispiel von Méliès zeigt, vom Horrorgenre eingenommen wurde. Horrorkino war für die frühen Filmemacher eine Chance, wenn nicht sogar die Chance überhaupt, die technischen Möglichkeiten des Films auszureizen und mit neuen Techniken und Verfahren für Tricks zu experimentieren. Mélès ging es weniger darum, Horror zu erzeugen, sondern er war eher ein Film-licht-magier, der sein Publikum mit nie Gesehenem täuschen wollte, eben wie ein Jahrmarktskünstler. Seit dem frühen 20. Jahrhundert zieht sich jedoch eine kontinuierliche Produktion von Horrorfilmen durch die Filmgeschichte, was beachtlich ist, denn kaum ein Genre bringt so viel Filme auf den Markt wie dieses. Warum?
Das Unheimliche und Unbekannte
Horror – egal ob in literarischer Form, auf einer Kinoleinwand oder im eigenen Heimkino – birgt
immer eine besondere Form von Faszination. Wir schauen auf Monster, Mörder, geöffnete Körper, Geister und Dämonen und viele Fratzen jagen uns unsagbare Schreckmomente ein, aber wir können es trotzdem auf eine beinahe verdrehte Art und Weise genießen. Warum das so ist, dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsmodelle und Theorien. Die Psychologie, gerade die frühe Psychoanalyse nach Sigmund Freud, erklärt mit dem Begriff des Unheimlichen etwas, das uns als Rezipienten fremd ist und das wir nicht kennen, woraus eine natürliche Form von Neugier erwächst. Wie eine urzeitliche Begegnung mit einem Tier, das unsere Vorfahren einfach nicht kannten, bei dem herausgefunden werden muss, ob es friedlich oder feindselig ist, ob man es jagen und essen kann, oder ob es giftig und sogar tödlich ist. Auf eine ähnliche Art und Weise funktioniert der Horrorfilm. Früher, also Ende des 19. Jahrhunderts, als der Film als Medium überhaupt seinen Durchbruch hatte und die zuvor entstandene Fotographie konsequent weiter entwickelte, war das gesamte Medium durch und durch unheimlich – es war kaum zu erklären und die Tricks des Films waren vergleichbar mit zauberhaften Illusionen, was nicht immer eine positive Resonanz mit sich brachte. Berühmte Beispiele sind hier etwa eine der frühsten Aufnahmen des Films überhaupt, bei dem eine Eisenbahnlokomotive gefilmt wird und die Zuschauer bei der Vorführung reihenweise von ihren Stühlen sprangen, da sie dachten, der Zug käme direkt aus der Leinwand auf sie zugefahren. Der Horrorfilm, der den Zuschauer in eine bewusst gefährliche Situation versetzt, gaukelt dies durch all seine Stilelemente und Bilder vor: Gefahr droht! Schreckmoment für Schreckmoment pumpt unser Körper Adrenalin durch unseren Blutkreislauf und das Herz klopft. Hände werden schwitzig und eventuell beschleicht uns eine latente Übelkeit. Horror ist, neben dem Melodrama und dem pornographischen Film, eines der drei „Körpergenres“– Filmgenres, die körperliche Reaktionen seitens der Zuschauerschaft provozieren wollen. Melodramen wollen emotionale Bewegung, Trauer, Glück und andere Gefühlsebenen hervorbringen, Pornographie möchte sexuell erregen und der Horrorfilm möchte Momente des Abstoßens, der Angst und des Ekels im Zuschauer auslösen. So masochistisch es klingt, aber der Zuschauer darf es sich erlauben, diese Gefühls- und Körperreaktionen zu genießen, denn er ist in einer sicheren Distanz zum Geschehen. Man darf als Zuschauer auch grenzenlos über die Handlung von Horrorfilmen belustigt sein, da man ebenso wenig mit Konsequenzen zu rechnen hat – außer vielleicht Freunde, die als Mit-zuschauer versuchen, den Film zu genießen. Es ist die Distanz zum Geschehen, die uns am Ende die Sicherheit gibt und auch die Möglichkeit, das Gezeigte entsprechend zu rezipieren. Deshalb sind meistens Videospiele aus dem Horrogenre deutlich extremere Erlebnisse für die Rezipienten als Filme, da hier die Distanz zur Handlung wesentlich geringer ist. Natürlich trennt auch hier der Bildschirm den Zuschauer/spieler von dem Geschehen ab, allerdings ist der Spieler direkt als Handlungsträger involviert – ohne sein Handeln gibt es quasi keine Story. Das Unheimliche und Unbekannte sind allerdings nicht immer die Hauptträger des Horrors. Manchmal sind es auch gerade die bekannten Dinge, die sich verändern und somit Auslöser unermesslichen Schreckens werden. Eins ist sicher: Horror ist eine extrem individuelle Angelegenheit, die bei jedem Menschen unterschiedliche Wirkung hat und auch auf unterschiedliche Art und Weise ausgelöst wird. Deshalb gibt es auch per se keine schlechten Horrorfilme. Man muss nur den richtigen für sich finden.