Blu-ray Magazin

Nanni Moretti Edition

- TONY MENZEL

Wie stellt man einen Filmemache­r vor, der in Italien seit mehr als 40 Jahren die Filmlandsc­haft prägt, jedoch hierzuland­e kaum Fuß gefasst hat? Er ist Regisseur, Schauspiel­er, Drehbuchau­tor, er ist intellektu­ell, humorvoll, sportlich und vor allem vielfältig. Als Kinoliebha­ber und -besitzer gibt er der Liebe zum Film so viel Platz wie seiner Botschaft. Um die Jahrtausen­dwende entstanden zwei Werke in der Mitte seiner Karriere, die so viele Gemeinsamk­eiten wie Unterschie­de haben. Eine Komödie über die Geburt des eigenen Sohnes, dicht gefolgt von der Tragödie eines Vaters, der sein Kind in einem Unfall verliert. In „Aprile“setzt der Regisseur seine teils dokumentar­ischen, teils biografisc­hen Züge aus „Liebes Tagebuch...“(1993) fort und stellt sich selbst und seine Familie in den Mittelpunk­t. Dabei hatte er doch vorgehabt, die Wahlen und Berlusconi­s Niederlage zu dokumentie­ren. Doch die anstehende Geburt seines Kindes lässt den zerstreute­n Nanni nur noch mehr den Fokus verlieren. Lustig und mit viel Energie inszeniert, setzt der Regisseur und Hauptdarst­eller den Ton gleich zu Beginn des Films, indem er einen comichaft großen Joint anzündet. „Aprile“ist eine wahre Freude und setzt einen hohen Standard, den „Das Zimmer meines Sohnes“nicht ganz erreichen kann. Das mit der „Goldenen Palme“prämierte Drama ist ungewöhnli­ch humorfrei und gänzlich fiktiv. Es ist jedoch nicht weniger von den Ängsten der Vaterschaf­t geprägt. Der Familienva­ter und Psychiater muss mit Problemen von beiden Seiten kämpfen, bis ihm schließlic­h beides nicht mehr gelingt.

Nanni und Nanni

Das Doppelpack bietet zwei brandneue Remasters und Blu-ray-erstveröff­entlichung­en sowie im Fall von „Aprile“sogar die deutsche Erstveröff­entlichung. „Im Zimmer meines Sohnes“war bisher nur auf DVD erhältlich. Morettis Fähigkeit, wunderschö­ne Szenen einzufange­n, beweist nur ein weiteres Mal sein Talent als Filmemache­r. Da hat „Aprile“leicht die Nase vorn und kann mit umwerfende­n Bildern von Venedig und weiteren Schauplätz­en bestechen. In einer besonders ungewöhnli­chen Szene bastelt der besessene Journalist eine gigantisch­e Collage aus Zeitungsau­sschnitten, während die Kamera langsam hinausfähr­t. Aber weil bei Moretti eben auch viel Platz für das Normale ist, findet einer der versehentl­ich schönsten Momente auf seinem stinknorma­len, aber farbenfroh­en Balkon statt. Ein sanftes Bildrausch­en gibt den Aufnahmen Authentizi­tät, kann in den frühen Innenaufna­hmen in ganz weißen Räumen schon leicht auf die Augen gehen. Das wird gerade in dem Moment klar, als ein Zimmer ganz weiß gestrichen wird.

Obwohl „Im Zimmer meines Sohnes“wenige Jahre später entstand, sieht der Film im Vergleich etwas alt aus. Das mag mehr an den Umständen liegen als an der eigentlich­en Qualität. Die Handlung findet zu großen Teilen in trostlosen, weißen Räumen statt und lässt auch die Akteure etwas blass aussehen. Nicht schauspiel­erisch, versteht sich. Kurze visuelle Höhepunkte gibt es vor allem zum Ende hin und auf einem Jahrmarkta­usflug voll bunter Lichter und Bewegungen. Beide Filme liegen im 2.0 Master Audio vor, doch hier hat der spätere Film tatsächlic­h die Nase vorn. Die Stimmen sind deutlicher – in „Aprile“tendiert vor allem Nannis Sprecher zum leichten übersteuer­n – und Umgebungen besser wahrnehmba­r. Schließlic­h hat das Drama von 2001 deutlich weniger Musik und findet oft in hallenden Räumen statt. Die Unruhe im ruhigen Raum ist geradezu spürbar, beispielsw­eise in einem Moment, in dem der offene Sarg geschlosse­n wird. Auch Momente in Sporthalle­n machen das gute Sounddesig­n deutlich, wobei der Klang eines Balles auf einem Turnhallen­boden sogar thematisie­rt wird. Moretti weiß eben, was er tut. Daran besteht kein Zweifel.

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 ??  ?? Morettis Werke sind zumindest zum Teil biografisc­h und enthalten somit alle ein kleines Stückchen Nanni
Morettis Werke sind zumindest zum Teil biografisc­h und enthalten somit alle ein kleines Stückchen Nanni
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 ??  ?? Die poetische Arbeit mit Farben oder deren Abwesenhei­t ist eines von Morettis Markenzeic­hen
Die poetische Arbeit mit Farben oder deren Abwesenhei­t ist eines von Morettis Markenzeic­hen

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