Drei Tage und ein Leben
Bevor Nicolas Boukhrief („Made in France“) Regisseur wurde, schaute er zwei bis drei Filme pro Tag und schrieb Filmkritiken. Na, wenn das mal nicht Hoffnung macht? Kaum zu glauben, dass er sich das Handwerk ohne filmische Ausbildung schließlich selbst beibrachte und umso erstaunlicher, dass er sich für seine Filme recht schwierigen Themen zuwendet. So wie in diesem Fall der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Pierre Lemaitre.
Ruhe vor dem Sturm
Auf den ersten Blick und in den Trailern macht „Drei Tage und ein Leben“den Anschein eines düsteren Thrillers. Mit Geheimnissen und finsteren Offenbarungen fügt er sich womöglich ins Zeitalter der „True Crime“-ermittlungen ein. Aber das französische Drama fällt in keine dieser Sparten. Denn dieses Verbrechen erfordert keine Aufklärung, zumindest nicht für die Zuschauer. Die sind von Anfang an Zeuge. Alles beginnt mit dem 12-jährigen Antoine (Jeremy Serez), der seine Schulferien nicht lange genießen kann. Das Mädchen, mit dem er Zeit verbringen will, trifft einen älteren Jungen und so bleibt ihm nur sein jüngerer Freund, der kleine Rémi. Dann muss Antoine auch noch mit ansehen, wie Rémis Hund auf offener Straße erschossen und in einen Müllbeutel gestopft wird. So findet sich Antoine plötzlich in einer viel trostloseren Welt wieder. Einer Welt, der er nie mehr vollkommen entkommen soll. Als am nächsten Tag sein Freund Rémi verschwindet, gerät das Dorf in Aufruhr. Verdächtigungen und Gerede lassen nicht lange auf sich warten. Beim weihnachtlichen Kirchengesang bricht Rémis Vater schließlich in Tränen aus und fordert seine Nachbarn auf, schnell zu handeln. Doch als er endlich beruhigt wird, wenden sich alle wieder dem Gesang zu. Es wird klar, worauf Film und Buch wirklich abzielen. Sie zeigen die Auswirkungen einer Tragödie auf ein ganzes Dorf und wie sich ein Geheimnis wie ein... Pardon... „Virus“ausbreiten kann. Über mehrere Zeitebenen erzählt der Film die Geschichte des Dorfes weiter. Nach einem verheerenden Sturm Ende der 1990er werden die Ermittlungen jäh unterbrochen und erst 15 Jahre später wieder aufgenommen. Der erwachsene Antoine (Pablo Pauly) wird erneut aus seinem fast schon perfekten Leben gerissen.
Ruhe nach dem Sturm
Abgesehen von sehr kurzen Spannungsspitzen, vergeblichen Festnahmen oder Suchaktionen im Wald, distanziert sich der Film vom üblichen Thriller-einmaleins. Es geht sehr ruhig zu. Schweigen überwiegt das Reden. Besonders aufregend ist das zwar nicht, aber Antoine muss Entscheidungen treffen, die auch dem Zuschauer nahe gehen. Das liegt nicht zuletzt am überzeugenden Schauspiel von Pablo Pauly, der seinen emotionalen Zwiespalt stets im Gesicht trägt. Unterstützt wird das von seiner Mutter, ebenfalls überzeugend gespielt von Sandrine Bonnaire, und einer rundum starken Besetzung. Der Film gibt selten klare Antworten und so verraten oft nur kurze Blicke und Ausdrücke, wer mehr weiß und wer nicht. Zugegeben, bei zwei Stunden Laufzeit wäre etwas weniger Ruhe manchmal willkommen gewesen. Vor allem dann, wenn sich die Handlung nur zäh vorwärts bewegt. Es hilft, dass der Film chronologisch über drei Zeitspannen erzählt wird – den drei wichtigen Tagen im Leben von Antoine. Die Sprünge sorgen zumindest für etwas Abwechslung. Blu-ray-käufer bekommen ein in jeder Hinsicht solides, wenn auch nicht überragendes Produkt. Bild und Ton bewegen sich im guten Mittelfeld. Teils ist das Bild etwas hell und kontrastarm, meist aber ausreichend scharf, vor allem in Nahaufnahmen. Beeindruckend wird es erst während der großen Sturmnacht. Erzählung und audiovisuelle Präsentation gehen hier Hand in Hand. Auf Extras wurde leider verzichtet.