The Vigil – Die Totenwache
Vom Prinzip der Totenwache hat jeder schon einmal gehört. So bleiben nahe Angehörige über Nacht beim Verstorbenen und erinnern sich auf meist positive Weise an vergangene Erlebnisse. Im religiösen Kontext wurde dies insofern ritualisiert, dass jemand beim Toten Nachtwache hält, um dessen Seele zu trösten und sie vor bösen Geistern zu bewahren. So auch im jüdischen Glauben, bei dem ein sogenannter Schomer dann gegen Geld engagiert werden kann, wenn es keinen nahen Verwandten oder Bekannten gibt, der diese Aufgabe erledigen kann. Eigentlich ist Yakov Ronen (Dave Davis) aus einer ultraorthodoxen jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Seitdem versucht er in seinem neuen Leben zurecht zu kommen, wobei er erst noch lernen muss, mit Handy und Internet zurecht zu kommen. Der Umgang mit Frauen ist dem jungen Mann ein ähnliches Rätsel wie die formalen Riten bei Bewerbungsgesprächen. Um seiner Geldnot zu entkommen, geht Yakov widerwillig auf das Angebot seines jüdischen Bekannten Reb Shulem (Menashe Lustig) ein, der ihn für eine Nacht als Schomer engagieren möchte. Der alte Kriegsveteran Litvak starb zwar im Beisein seiner Frau (Lynn Cohen), diese leidet aber unter Alzheimer, weshalb ihr niemand die Last der Totenwache aufbürden will. Und 400 Dollar für fünf Stunden neben einer Leiche – das ist schon ein annehmbarer Lohn. Doch war das eben ein Zucken unter dem Leichentuch? Und was sind das für seltsame Geräusche vom oberen Geschoss des Hauses? Plötzlich erhält Yakov eine Video-nachricht, die ihn selbst zeigt, schlafend. Eine alte Hand streichelt seinen Kopf. Hat Mrs. Litvak das Video aufgenommen, als er vorhin kurz einnickte? Spielt ihm Reb Shulem einen Streich, um ihn wieder in die jüdische Gemeinde zurück zu holen? Hat er aufgrund fehlender Medikamentierung Wahnvorstellungen? Oder ist dort tatsächlich eine dunkle Macht am Werk?
Suspense in Reinform
„The Vigil“gruselt in etwa so effektiv wie der erste „Paranormal Activity“-film. Zwar liegt hier eine andere Präsentations-form vor als „Found Footage“, aber der Horror entwickelt sich ebenfalls aus der unheimlichen Atmosphäre heraus, die sich in ständiger Steigerung befindet. Beginnend mit kleinen Indikatoren wie nervös krabbelnden Spinnen, gruseliger Geräusche oder angelassener Film-projektoren setzt sich der Horror fort bis zu obligatorischen Jump Scares sowie zur traumartigen Manifestierung eines Mazzik – einem animalischen, parasitären Dämon, der ausschließlich in die Vergangenheit blickt und daher sein Gesicht stets abwendet. Doch selbst wenn sich wurstartige lange Finger um ein Menschengesicht schließen, weiß der Zuschauer nie, ob es nun eine natürliche oder übernatürliche Erklärung für das Gesehene gibt. Denn wenn Yakov an diesen Geist wirklich glaubt, dann wäre das auch sein Eingeständnis, wieder zurück in die Gemeinde zu gehen. Die Antwort auf seine Unsicherheit befindet sich dem Dämonen entsprechend in der Vergangenheit. Traumabewältigung und Erlösung sind also die Hauptthemen des Films, der auf subtile Weise mit den Erwartungen seines Publikums spielt. Seine Stärke ist die dichte Atmosphäre, seine „Schwäche“die undeutliche Konsequenz des Horrors, dessen Bedrohlichkeit hauptsächlich metaphysischer Natur ist, nicht körperlicher. Riesige Dunkelflächen verschlingen sehr viele Details. Der Schwarzwert ist dabei meistens so schlecht, dass es statt Schwarz häufig ins Gräuliche tendierendes Dunkelgrün zu sehen gibt. Die Schärfe kann ebenfalls nicht überzeugen, weshalb man sich auf seine Ohren verlassen muss. Diese bekommen deutlich genauer wahrnehmbare Elemente zu hören. Dank einer subtil offensiven Audio-abmischung erhält jede knarrende Diele und jeder unruhig knackende Knochen extra Gewicht, was das wohlige Suspense-horror-erlebnis intensiviert.