Blockbuster
Chaos Walking, Monster Hunter, Wonder Woman 1984, The Marksman, Mortal Kombat, A Quiet Place 2
Nach einer langwierigen Produktionsgeschichte erscheint mit „Chaos Walking“die Verfilmung des ersten Teils der gleichnamigen Romantrilogie von Patrick Ness. Der Science-fiction-film kommt mit einem interessanten Kniff daher, droht aber, in einem überlaufenen Genre unterzugehen.
In der Zukunft ist mal wieder alles beim Alten. Die Menschheit hat sich eine neue Heimat gesucht oder besser: Sie musste sich eine neue Heimat suchen. Aus Fortschritt und Wissenschaftsglaube sind zwar technische Innovationen hervorgegangen, zugleich degenerierte die Zivilisation. Wie vor mehreren Jahrhunderten schuften die Menschen unter beschwerlichen Umständen, müssen sich mit wenig Hab und Gut zufrieden geben. Ein autoritäres System regiert, irgendwann begibt sich jemand auf eine Heldenreise. Ein Gefühl von Erkenntnis und Aufbruch, vielleicht sogar Rebellion liegt in der Luft. Das alles sind vertraute Zutaten, die das Science-fiction-genre und unzählige Dystopien in Literatur, Film oder auch Videospielen immer wieder bedient haben. Auch „Chaos Walking“von Regisseur Doug Liman („Edge Of Tomorrow“) bedient sich dieser Zutaten und steht – wie schon viele andere Genrevertreter vor ihm – vor der schwierigen Aufgabe, die Grundsteine für eine ganze potenzielle Reihe zu legen. Eine fremde Welt nebst Figuren muss da in ihrer Funktionsweise und ihren Konflikten ergründet und zugleich müssen ihre Bezüge zu unserer Gegenwart eröffnet werden. „Chaos Walking“führt in das Jahr 2257. Auf dem Planeten „New World“haben die Menschen Kolonien gebildet. In der sogenannten Prentisstown-siedlung wächst der junge Todd Hewitt (Tom Holland) bei seinen beiden Adoptivvätern (Demián Bichir und Kurt Sutter) auf. Die Welt von Prentisstown ist eine von Männern dominierte. Einst soll ein großer Krieg stattgefunden haben, in dessen Folge sämtliche Frauen ausgelöscht wurden. In diese Welt landet nun Viola (Daisy Ridley), die mit einem Raumschiff auf dem Planeten eine Bruchlandung erlebt. Als Frau wird sie kurz nach ihrer Ankunft zur Gejagten. Und mehr noch: Viola wird direkt mit einem eigenartigen Phänomen auf „New World“konfrontiert, das auch für das Publikum ab den ersten Szenen des Films auf befremdliche Weise erfahrbar wird.
Überall Lärm
Die Männer in Prentisstown können keine Geheimnisse mehr hüten. Ihre Gedanken sind jederzeit für alle hörbar und mitunter sogar sichtbar. Sie schwirren in halbdurchsichtigen, bunten Schleierwolken um die Köpfe der Männer, formen Traumbilder, Visionen, Erinnerungen. Für das Publikum erscheint das als chaotisches, überforderndes Stimmengewirr, das sich immer wieder auch zu Bildern zusammensetzt. „Chaos Walking“hat damit eine konsequente Möglichkeit gefunden, den immerwährenden abstrakten „Lärm“, wie er bereits in der Romanvorlage bezeichnet wird, im filmischen Medium zu visualisieren. Das ist ein sehr interessantes Szenario, das der Film damit kreiert. „Chaos Walking“zeigt in seiner dystopischen Zukunftsvision quasi den gläsernen Menschen in seiner zugespitzten Form. Das Innerste schwebt über einem, da gibt es kaum noch etwas zu verbergen, jeder Gedanke wird zugleich zum Allgemeingut und bricht ungefiltert aus den Männern hervor. Die Parallelen und Seitenhiebe zu unserer technologisierten, medial geprägten Gegenwart sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Und doch wirkt „Chaos Walking“etwas unbedarft im Umgang mit dieser Verbildlichung. Das wird alles nicht bis zur letzten Konsequenz durchgespielt. Zu viel erscheint kontrolliert; das ist weniger ein Bewusstseinsstrom, der da eigentlich aus den Figuren hervorbrechen müsste, als vielmehr eine Ansammlung an Drehbuchzeilen, die in erster Linie ihren Zweck innerhalb der Handlung zu erfüllen haben. So, wie der junge Todd lernt, seine zügellosen Gedanken zu zähmen, zähmt auch der Film seine eigene Idee. Er verengt dessen vielseitig bespielbare Projektionsfläche zu einem kleinen Ausschnitt, der sich in erster Linie mit toxischer Männlichkeit auseinandersetzt. Da liegt etwas Aggressives, Unheilvolles über dem Szenario. Verkörpert wird es in der Gestalt des Bürgermeisters David Prentiss (mit eindrucksvoller Präsenz gespielt von Mads Mikkelsen), der alles daran setzt, die Kontrolle über sein kleines Reich zu bewahren und sich des weiblichen Eindringlings zu bemächtigen. Ein dunkles Geheimnis hüten er und seine Schergen, das im Laufe des Films zu Tage treten wird. Wie eine
Horde berittener Banditen ist er dem entflohenen Todd und seiner neuen Weggefährtin Viola auf den Fersen. „Chaos Walking“entspinnt sich als Flucht durch die Wälder.
Ein futuristischer Western
Dass man sich hier Verfolgungsjagden zu Pferde liefert, ist kein unwichtiges Detail. Von der Zukunft ist in der Welt von „Chaos Walking“eigentlich nur wenig spürbar. Die technologischen Errungenschaften wirken eher wie Fremdkörper oder sie sind als Ruinen in der Landschaft drapiert. Stattdessen erlebt hier der Wilde Westen seine Rückkehr. „Chaos Walking“beschwört immer wieder Referenzen an das klassische Westernkino und projiziert dessen Aufbruchstimmung zugleich in eine weit entfernte Zeit, die sich mit einer grausamen Schuld auseinandersetzen muss, die man im Laufe der Geschichte auf sich geladen hat. Auch in diesem Film geht es um Konflikte mit Ureinwohnern, um Fanatismus, strenge Hierarchien und Machtkämpfe, um Ausgestoßene, die durch die Wildnis ziehen und diese Ordnung hinterfragen. Das sind viele interessante Anknüpfungspunkte, die „Chaos
Walking“ausbreitet und doch verschwimmt ein Großteil von ihnen im rauen Dickicht der Natur, durch die der Film in eher unspektakulären Aufnahmen irrt. Generell ist Doug Limans Film einer, der trotz fremder Planeten, abgestürzter Raumschiffe und veränderter Lebensformen wenig herkömmliches Science-fiction-flair aufkommen lässt. Große Bilder gibt es kaum zu sehen, überbordende Action sucht man ebenfalls vergebens.
Ins Zentrum rückt die Begegnung zwischen Mann und Frau, verirrt in den Wäldern. „Chaos Walking“traut sich aber umgekehrt auch nicht, daraus eine solch entschleunigte, nachdenkliche Studie wie etwa Casey Afflecks „Light Of My Life“zu stricken, der sich ebenfalls in einem dystopischen Setting mit dem Aussterben von Frauen auseinandersetzte. „Chaos Walking“ist dann doch verschiedensten, recht stereotypen Genreeinflüssen verpflichtet und mixt allerhand Jugendfilm-dna à la „Tribute von Panem“, „Maze Runner“, „Divergent“und Co. hinein, deren Fußstapfen dieses Werk offensichtlich füllen will. Zu vieles fühlt sich nach vertrauten Versatzstücken an, die man zwar mit allerhand Hingabe, aber auch wenig Spannung und Kreativität aneinanderklebt.
Langjährige Produktionsgeschichte
Man kann nur mutmaßen, inwiefern sich die eher chaotisch anmutende Entstehungsgeschichte auf dieses etwas durchwachsen wirkende Gesamtbild ausgewirkt hat. Bereits 2011 hatte sich Lionsgate die Filmrechte gesichert. Zunächst sollte noch Surrealismus-experte Charlie Kaufman („Vergiss mein nicht!“) den Stoff adaptieren, was eine spannende Wahl gewesen wäre! Später wurde von verschiedenen Seiten an dem Filmprojekt gefeilt, Kaufman sprang ab, 2016 übernahm „Die Bourne Identität“-regisseur Doug Liman. Weitere drei Jahre und Nachdrehs später war das Resultat fertig. Gemessen an einer solchen Produktionsgeschichte erscheint „Chaos Walking“doch erstaunlich konsequent in seinem Erzählbogen. Das Problem ist mitnichten, dass er nicht jedes angerissene Thema bis ins letzte Detail durchexerziert. Die Romanadaption krankt in erster Linie daran, dass ihr ein Aha-erlebnis fehlt. Da begibt man sich mit Tom Hollands Protagonisten auf eine eher zähe Selbstfindungsreise, quasi hinaus aus der symbolischen Höhle, bis das gewohnte Dasein in der Kolonie plötzlich in neuem Licht erscheint. Aber was ist es, was man da eigentlich findet? Im Grunde genommen nichts Neues, so wie „Chaos Walking“mit seinem Erzählkosmos umgeht. Was nun, wenn die koloniale Lüge erst einmal enttarnt ist? Am Ende wird man – die Konstruktion einer solchen Literaturadaption will es so – mit einer vagen Geste auf das verwiesen, was da vielleicht in möglichen Fortsetzungen noch kommen mag. Im selben Moment hat man längst verpasst, genügend Interesse für die eigene Welt zu wecken. Ihre Ausmaße und Dimensionen, was man mit einer solchen Dystopie heute noch erzählen könnte, schimmern nur selten über den Baumwipfeln.