9/11 im Film
Die schrecklichen Ereignisse am 11. September 2001, die von jedem Fernsehgerät der Welt aus in Echtzeit verfolgt werden konnten, sollten auch unser Verständnis von Unterhaltung für immer verändern. Besonders in Film und Fernsehen sind die Auswirkungen von „9/11“noch heute spürbar. Kein Wunder, ist die Leinwand doch immer auch ein Spiegel seiner Zeit. Aber kann so etwas wie eine gute „9/11“-Verfilmung überhaupt existieren? Wann ist etwas „too soon“und was passiert, wenn man die Definition von „too soon“sogar noch überschreitet?
Es gibt Tragödien, die sind so groß, dass sie noch Jahrzehnte später geradezu gegenwärtig wirken. Kaum zu glauben, dass die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 bereits 20 Jahre in der Vergangenheit liegen. Ein Blick auf die Unterhaltungsbranche rückt das Zeitgefühl dann aber doch zurecht. So mancher Film, der damals noch als „too soon“(zu früh) betitelt wurde, ist inzwischen fast wieder aus dem Gedächtnis verschwunden. Fernsehserien, die davon beeinflusst waren, gelten heute schon als Klassiker. Regisseure, Dokumentarfilmer, ganze Karrieren wurden in den Nachwirkungen von „9/11“begründet. Sie alle formen ein umfassendes Dokument der Ereignisse und sind Teil des allgemeinen Bewusstseins der Anschläge geworden.
Die Idee vom „Terror“als böse Macht und vom Terroristen als Feindbild Nr. 1 wurde von Hollywood übernommen. Die Angst vor dem Fremden erreichte in der Folge ganz neue Stufen. Durfte sich „Indiana Jones“noch gegen Nazis behaupten und „James Bond“gegen seine Nemesis aus Russland, ist das Gesicht des Bösen in Hollywood heute umso häufiger das einer ganzen Terror-einheit. Ähnlich wie die Regierungen der Welt sah sich Hollywood vor eine ganz neue Herausforderung gestellt: Wie konnte man mit dem schwierigen Thema umgehen? Wann war es „too soon“und wann wäre es „too late“? Und was ist mit jenen seltenen Fällen, in denen die scheinbare „9/11“-Anspielung bereits im Vorfeld gedreht wurde? Die Resultate sind gleichsam verschieden wie sie ebenso nicht immer erfolgreich gewesen sind.
Der Begriff „too soon“scheint im Fall von 9/11 jedenfalls genau für fünf Jahre zu gelten. Nur so lässt es sich erklären, dass 2006 in kurzer Abfolge gleich zwei Filme zur schwierigen Thematik erschienen. Als habe der eine auf den ersten Zug des anderen gewartet. „Flug 93“und „World Trade Center“schlagen dabei jeweils einen gänzlich anderen Ton an.
Die Geiselnahme in „Flug 93“
Regisseur Paul Greengrass gelang das, was eigentlich unmöglich sein sollte. Er gab der Welt eine spannende, aber geschmackvolle und realistische Verfilmung dessen, was sich dank umfangreicher Berichterstattung in die meisten Köpfe eingebrannt hatte. Der Schlüssel zum Erfolg war seine Zurückhaltung. Der Film „Flug 93“ist beinahe dokumentarisch in seiner linearen Darstellung der Geschehnisse. Das Bild ist unsauber, die Kamera verwackelt und die Darsteller größtenteils unbekannt. Statt sich auf Manhattan zu konzentrieren, sind Kommandozentralen und Konferenzräume die Hauptschauplätze. Nach dem Start des Fluges „UA 93“folgt er den Passagieren, die sich bald mit einer Geiselnahme konfrontiert sehen. Als die Aussicht auf Rettung zunehmend schwindet, gehen die Geiseln schließlich zum Angriff über. Wie wenige andere Filme schöpft „Flug 93“Hoffnung aus einer aussichtslosen Situation. Genau das macht ihn so spannend. Man fiebert mit, obwohl der Ausgang der Ereignisse bereits festgeschrieben ist. Erste Warnungen in Bezug auf bereits gemeldete Flugzeugentführungen
dienen dem Film als dunkle Vorboten und steigern die Spannung von der ersten Sekunde an. Dass jene Hinweise anfangs nur wenig ernst genommen werden, ist in der Nachbetrachtung nur schwer nachvollziehbar. Scheinbar banale Routinen wie das Auftanken eines Flugzeugs rufen plötzlich unangenehme Gefühle hervor. Es hat schon etwas von einem Horrorfilm, aber das liegt wohl in der Natur der Materie.
„World Trade Center“
Einen weniger subtilen Ansatz verfolgte Oliver Stone mit seinem Katastrophendrama über die Einsatzkräfte, die nach dem Zusammensturz der Türme unter den Trümmern begraben wurden. Statt unbekannter Gesichter füllen nun Hollywoodstars wie Maggy Gyllenhaal und Michael Shannon die Rollen der realen Akteure aus. Michael Peña gelang mit dem Film sein Durchbruch in Hollywood. In der Hauptrolle sieht man Nicolas Cage knapp zwischen „Wicker Man“und „Ghost Rider“.
Während der Evakuierung stürzt der Südturm ein und nur drei Mitglieder des Rettungsteams, darunter John Mcloughlin (Cage) und William Jimeno (Peña) überleben. Gefangen unter den Trümmern verlieren sie zunehmend die Hoffnung. Auch ihre Angehörigen leiden unter der Ungewissheit. Oliver Stone zeigt anhand dieser prägenden Schicksale die grausigen Folgen des Einsturzes dieser beiden Türme auf das Leben der Retter und ihrer Familien. Dass auch er die Materie geschmackvoll behandelt, steht hier außer Frage. Nur aus der filmanalytischen Perspektive kann sich „World Trade Center“nicht so recht behaupten. Ein großer Teil der Laufzeit ist dem Überlebenskampf nach dem Einsturz und den trauernden Familien in ihren Häusern gewidmet. Zwischendurch fliegen mal Feuerbälle durch die Luft und Pistolen gehen los. Bei all den bekannten Gesichtern will aber nicht so recht echtes Mitgefühl aufkommen. Selbst mit 20 Jahren Abstand fällt es schwer, die Gesichter echter Überlebender auf Nicolas Cage und Michael Peña zu projizieren. Dass Cage inzwischen mehr Meme als Mensch ist, trägt natürlich dazu bei. Die lange Laufzeit drückt zwar die unendliche Dauer der Rettungsaktionen gut aus – Stone wollte das Gefühl, lange gefangen zu sein, sicher direkt auf den Zuschauer übertragen – mehr sehenswert macht das den Film aber nicht. Weitere elf Jahre später sollte ein Film mit Charlie Sheen beweisen, dass es noch schlimmer geht. Aber dazu später mehr.
„Zero Dark Thirty“
Kathryn Bigelows Spionagedrama nimmt zeitlich und erzählerisch etwas mehr Abstand vom 11. September und ist dennoch der aktuellste Film von allen. Nur anderthalb Jahre nach der Ausschaltung Osama Bin Ladens in seinem Anwesen in Pakistan erzählt der Film von den Ereignissen, die zu dieser Mission führten. Die finale Operation, die 30 Minuten nach Mitternacht begann, gab dem Film seinen Namen. „Zero Dark Thirty“fasst am besten zusammen, was in so vielen Filmen, Serien und sogar Videospielen seit 9/11 zum Thema wurde: Der moralische Zwiespalt zwischen Terrorbekämpfung und drastischen Methoden seitens Us-behörden und Militär. Szenen von Folter eröffnen den Film, zahlreiche Erschießungen beenden ihn. Im Mittelpunkt steht die Agentin Maya, gespielt von Jessica Chastain, die mit wachsendem Nachdruck ihre Mission verfolgt und sich damit alles andere als Freunde macht. Wie für Bigelow üblich, steckt der Film voll politischer Bedeutung, akkurater Militärdarstellungen und vor allem enorm viel Spannung. In zwei Fällen wurde der Film für die unautorisierte Verwendung von Sprachaufnahmen von den Familien der 9/11-Opfer kritisiert. Die Familie von Flugbegleiterin Betty Ong forderte nicht nur Entschädigung in Form
einer wohltätigen Spende, sondern betonte ihre Ablehnung gegen Folter. Der Film wurde zudem aufgrund seiner zeitlichen Nähe zum Wahlkampf als Obama-propaganda betitelt. Doch von Kritik und Kontroversen können noch ganz andere Regisseure ein Lied singen.
„Fahrenheit 11/9“
Die Zahl der Spielfilme, welche die Ereignisse des 11. Septembers wiedergeben, mag zwar begrenzt sein, Dokumentationen zum Thema gibt es dafür genug, um ein ganzes Subgenre zu gründen. Da gab es Teams, die nur zufällig direkt am Tag vor Ort waren und jene, die kurz darauf die Gelegenheit beim Schopfe packten. Zusammenschnitte der Nachrichten, Interviews mit Zeugen und Überlebenden bilden hier die Grundlage – selbst 20 Jahre später erscheinen regelmäßig neue Filme mit neuen Erkenntnissen. Die „9/11“-Verschwörungstheoretiker sind besonders aktiv und liefern Filme wie „Loose Change“(2009), die die Anschläge aus ihrer Perspektive erklären wollen.
Kein Verschwörungstheoretiker, aber einer der heute bekanntesten Dokumentarfilmer konnte nicht nur seine Karriere, sondern auch das Medium ordentlich ankurbeln: Michael Moore. Denn wie oft zuvor gab es Dokumentationen, die man gesehen haben „musste“, um am Wasserspender oder selbst auf den Schulhöfen mitreden zu können? Einer dieser Dokumentarfilme wurde auf einmal zum Tagesgespräch. „Fahrenheit 9/11“ist ein durch und durch kritischer, aber insgesamt massentauglicher Blick auf die Fehler der Bush-regierung, besonders am und nach dem 11. September. Im Gegensatz zu „Zero Dark Thirty“ist der Film tatsächlich auch erklärte Wahlpropaganda gegen die Wiederwahl von George W. Bush. Gelungen ist ihm das bekanntlich nicht. Trotzdem ist der Film inzwischen vermutlich bekannter als der Roman, auf den sein Name anspielt.
Ground Zero Hollywood
In den Jahren nach den folgenschweren Angriffen wurde das Thema auf die verschiedensten Arten behandelt. Mal mehr und mal weniger direkt, mal sensibel und mal nicht so. Ein frühes und positives Beispiel ist Spike Lees „25 Stunden“. Der bereits 2002 erschiene Film zeigt New York City und „Ground Zero“prominent im Hintergrund seiner Geschichte und macht sie selbst zum Charakter.
Adam Sandler spielt in „Die Liebe in mir“von 2007 den Witwer Charlie, der seine gesamte Familie am 11. September verlor. In seiner Trauer steckt er seine Zeit zusammen mit Freund Alan (Don Cheadle) in das Videospiel „Shadow Of The Colossus“. Das atmosphärische Adventure von „Team ICO“, in dem man als einsamer Held 16 scheinbar harmlose Kolosse töten muss, ist nicht nur oft Thema, wenn es um Videospiele als Kunst geht, sondern wird vom Film auch als „9/11“-Metapher verwendet. Weil man Videospiele in Filmen selten ohne Uwe Boll erwähnen kann, sei auch seine recht unsensible „9/11“-Parodie im ebenfalls 2007 erschienenen „Postal“erwähnt.
Ähnlich kontrovers, aber wesentlich erfolgreicher war ein Jahr zuvor Sasha Baron Cohens „Borat“. Der Film über den kasachischen Journalisten, der im letzten Jahr eine Fortsetzung erhielt, steht zwar in keiner direkten Relation zu den Ereignsissen des 11. September, offenbart aber ganz direkt die Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit inmitten der amerikanischen Gesellschaft, die sofort nach den Anschlägen ganz neue Dimensionen erreichten. Des Weiteren ein sehr spätes und ungewöhnliches Exemplar ist der auf einem Theaterstück basierende „9/11“von 2017 mit Charlie Sheen, Gina Gershon, Whoopi Goldberg und Luiz Guzmán. Die Kritiken waren nicht gerade gnädig. Sheens Verbindung mit Alex Jones und dessen „Truther“-bewegung war bei der Vermarktung auch nicht sehr hilfreich. Es gibt noch viele weitere Beispiele, die zeigen, wie sich die Filmlandschaft nach 2001 veränderte, doch es war vor allem das Fernsehen, das sich direkt von 9/11 inspirieren ließ.
„9/11“in Serien
Wenn man bedenkt, wie sehr sich die Echtzeitfernsehserie „24“um Terrorbekämpfung und Folter als Mittel zum Zweck dreht, ist es schwer zu glauben, dass Jack Bauers erster Einsatz bereits im Frühjahr 2001 gedreht wurde. In vielen Aspekten war die Serie ihrer Zeit voraus und strickte ihre Handlung um einen schwarzen Präsidenten, der Ziel eines Attentats werden sollte. Erst mit der zweiten Staffel wurde der Fokus auf das vom Terror traumatisierte Amerika gelenkt. Statt einer kleinen Gruppe Attentäter bedroht nun eine Atombombe das Land. Später konnte Kiefer Sutherland in „Designated Survivor“selbst ins „Oval Office“einziehen, nachdem in einem Anschlag beinahe die gesamte Regierung ausgelöscht wurde. „24“sollte nur der Anfang sein. Die 2000er und frühen 2010er Jahre waren gespickt mit Serien, die auf ihre Art die Themen Terrorismus, Angst und Verschwörungen ver
arbeiteten. Die Ereignisse in „Lost“starten mit einem Flugzeugunglück. Einer der zentralen Charaktere Sayid (Naveen Andrew) wird immer wieder mit seiner Vergangenheit als Folterer in der irakischen Armee konfrontiert. Die ebenfalls erfolgreiche Mysteryserie „Fringe“präsentiert in ihrer finalen Staffel eine Realität, in der „9/11“nie stattgefunden hat. „Jericho“erzählt von den Folgen zahlreicher Atomanschläge in den USA und „Homeland“geht das Thema Terrorismus noch viel direkter an. Die leider längst vergessene Serie „Sleeper Cell“steigt tief in das Leben einer Terrorzelle ein, während ein Undercoveragent mit moralischen Zweifeln konfrontiert wird. Zum Abschluss noch eine besondere Kuriosität, die die Bedeutung von „too soon“neu definiert: Das „Akte X“-spin-off „Die einsamen Schützen“erzählt in seiner Pilotepisode von einer Verschwörung der Us-regierung. Ein ferngesteuertes Passagierflugzeug soll vom Geheimdienst in das „World Trade Center“geflogen und der Anschlag anschließend einem ausländischen Diktator angehängt werden. Die Episode lief am 4. März in den USA, also fünf Monate vor den Anschlägen und erst zwei Jahre später in Deutschland. Für die deutsche Veröffentlichung wurden einige Details wie das Ziel des Angriffs und die Art des Flugzeugs geändert.
Ein Tag, der die (Film-)welt veränderte
So sehr die tragischen Ereignisse von 2001 noch immer global spürbar sind, schwingen sie in Filmen oft nur unterschwellig mit. Als Kong und Godzilla in ihrem Kampf halb Hongkong zerstören, scheint das kaum jemanden zu kümmern. In den klassischen Filmen ging das ja auch. Als moderner Zuschauer wundert man sich dann aber doch beim Anblick all der eingefallenen Häuser. War das nicht auch ein wesentlicher Kritikpunkt an „Man of Steel“? Die Angst vor Terrorismus brachte so viele neue Aspekte in jede Form von Unterhaltung und ist heute kaum noch getrennt zu betrachten. Filme und Serien sind jedoch weiter gezogen und „too soon“gibt es schon fast gar nicht mehr. Themen wie Nordkorea oder die Corona-pandemie werden sofort angegangen. Doch auch das scheint eine der Auswirkungen zu sein, die der 11. September auf die Filmlandschaft hatte.