Die kleine Horrorschule: Science-fiction-horror
Der Science-fiction-film hat eine ähnlich lange Tradition wie der Horrorfilm – man erinnere sich nur an die frühe filmische Erkundung des Mondes durch Georges Méliès (1902). Und kaum ein anderes Filmgenre hat so viele Gemeinsamkeiten mit dem Horrorfilm wie das Science-fiction-genre. Aus der Faszination für Technik, Zukunft und Außerirdische wird zumeist blanker Terror und das Unbekannte ferner Welten wird zum kalten Grauen.
Einer der frühsten Sci-fi-horrorfilme ist „Der Unsichtbare“(1933, Regie: James Whale). Mit vielen revolutionären Spezialeffekten versehen, erzählt der Film die Geschichte eines Wissenschaftlers, der aufgrund seiner besonderen Fähigkeit, unsichtbar zu sein, langsam dem Wahnsinn verfällt und sich dem Morden und Rauben hingibt. Die eigentliche, wissenschaftlich gesehen bahnbrechende Errungenschaft wird eben nicht, wie es die ehrenhafte Sciencefiction gebietet, für das Gute genutzt, sondern verkehrt und missbraucht. James Whale inszeniert die Geschichte rasant und actionreich – „Der Unsichtbare“gehört nicht ohne Grund neben Dracula, Frankensteins Monster und dem Wolfsmenschen zu den Größen des Universalpictures-horrors. Science-fiction und auch die Verschmelzung mit dem Horrorgenre war nicht nur im Film populär: Autoren wie H. P. Lovecraft oder John W. Campbell Jr. vermischten in ihren Geschichten in den 1920er und 30er Jahren bereits Wissenschaft und Horror. Die 1938 erschienene Kurzgeschichte „Who Goes There?“von John W. Campbell Jr. war die Grundlage für den 1951 erschienenen Horrorklassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“(Regie: Christian Nyby). In dem Film trifft eine Gruppe Wissenschaftler in der Arktis auf ein Raumschiff – und damit auch auf ein außerirdisches Wesen, das der Menschheit so gar nicht wohlgesonnen scheint. Die Wissenschaftler werden angegriffen, einer nach dem anderen umgebracht – bis es schließlich gelingt, das Wesen zu töten. Obwohl der Film seinerzeit erfolgreich in den Kinos lief, war es das Remake von 1982, mit dem Regisseur John Carpenter („Halloween“) Horrorfilmgeschichte schrieb: Die Story blieb in ihren Kernelementen erhalten, doch wurde der Film um eine bahnbrechende Tricktechnik erweitert. Die verstörenden Aufnahmen von veränderten Körpern, verschmolzenen Hunde-alien-hybriden und viele weitere Horrorelemente brachten dem Film mehr als nur den Kultstatus ein. Carpenter schuf einen Meilenstein des so genannten Body-horrors, bei dem vor allem der Fokus auf der Veränderung des (menschlichen) Körpers liegt. 1956 veröffentlichte Regisseur Don Siegel den Film „Die Dämonischen“(„Invasion der Körperfresser“) und folgte thematisch dem „Ding aus einer anderen Welt“. Auch hier droht der Menschheit eine Gefahr aus dem Weltall, die jedoch etwas anders gestaltet ist. Hier geht es darum, dass die Menschen durch außerirdische Doppelgänger ersetzt werden sollen. Die Doppelgänger sind, im Gegensatz zu ihren menschlichen Vorbildern, gefühllos und eher roboterhaft. Ein Arzt deckt die Verschwörung auf und versucht, das Schlimmste zu verhindern. Genau wie bei „Das Ding aus einer anderen Welt“erfährt der Film ein paar Jahre später, 1978, ein Remake durch Regisseur Philip Kaufman. „Die Körperfresser kommen“wird auch hier etwas aufgepeppt und die Schauspieler Donald Sutherland, Leonard Nimoy sowie der junge Jeff Goldblum verleihen der Verfilmung einen gewissen Charme. Der Fokus verschiebt sich allerdings mehr in die Richtung des Horrors und des Grauens, denn Kaufmans Verfilmung setzt eindeutig mehr auf Schrecken als auf die Faszination für das Außerirdische, wie es noch bei Don Siegels Film der Fall war. Mit „Body Snatchers“folgte 1993 unter der Regie von Abel Ferrara ein weiteres Remake, das die Handlung der beiden Vorgänger im Großen und Ganzen auch nicht weiter veränderte oder geschweige denn etwas Neues hinzufügte.
Insekten, Parasiten und Außerirdische
Sci-fi-horror scheint ein Paradies für Remakes zu sein, denn auch der nächste Film, der an dieser Stelle genannt werden soll, bekam einige Jahre später ein kraftvolles Remake: 1958 entstand unter der Regie von Kurt Neumann der Film „Die Fliege“, in dem ein Wissenschaftler mit der Technologie der Teleportation experimentiert und dabei versehentlich seinen Körper mit dem einer Stubenfliege verschmelzen lässt: Sein Kopf und ein Arm tauschen quasi die Körperteile mit denen der Fliege und der Wissenschaftler läuft fortan mit Fliegenkopf durch die Gegend, was für allerlei Schrecken sorgt. Aus der heutigen Perspektive wirkt der Film dezent komisch und vermittelt eher Slapstik als blanken Wissenschaftsirrsinn, aber zu seiner Zeit war der Streifen äußerst erfolgreich, sodass weitere Fortsetzungen gedreht wurden. Die Wissenschaft war hier einmal mehr die Brutstätte des Grauens selbst und macht den Film, wie bereits unzählige Creature-filme zuvor, zu einem Kommentator seiner Zeit: Die Angst vor Technik, vor allem wenn sie nicht weiter erprobt ist oder gefährlich anmutet, ist ein beliebtes Motiv für die 1950er und -60er Jahre. Die „Fliege“der späten 1950er Jahre ist heutigen Horrorfans allerdings nicht so geläufig wie das Remake von 1986, das unter der Regie von Horrorfilm-legende David Cronenberg entstand. Jeff Goldblum spielt hier den Wissenschaftler Seth Brundle, der ebenfalls
mit Teleportation experimentiert und dabei seine DNA mit der einer Stubenfliege kreuzt. Anfangs stellt dies für Brundle gar kein Problem dar, denn er wird stärker, seine sexuelle Potenz steigt ins Unermessliche und er entwickelt eine eigene Form seiner selbst – er wird zur „Brundle-fliege“. Problematisch wird diese Transformation allerdings erst, als ein körperlicher Verfall eintritt und er mehr und mehr zur monströsen Fliege wird. Regisseur Cronenberg ist der König dessen, was man als Body-horror bezeichnet: Der eigene Körper des Menschen wird zum Grauen und zum Ursprung des Schreckens. Gerade „Die Fliege“ist eines dieser Meisterwerke, das genau und bis ins kleinste Detail den Verfall sowie die Veränderung des Körpers porträtiert. Was vielleicht noch wichtiger ist: Cronenberg inszeniert seinen Horror-schocker ohne großartig Computereffekte zu verwenden, sondern lässt das Maskenbildner-genie Chris Walas die Arbeit verrichten, der dem Film den wahren Schrecken verleiht. Die plastischen Effekte, das Blut, die anderen Sekrete und Körperflüssigkeiten verursachen Ekel und Abscheu und das Spiel von Jeff Goldblum und seiner Filmpartnerin Geena Davis runden das Meisterwerk ab. „Die Fliege“ist dabei nicht der einzige Sci-fi-horrorfilm von Cronenberg: 1975 dreht er den Low-budget-streifen „Shivers – Die Parasiten-mörder“, in dem ein Wissenschaftler versucht, mit Hilfe von parasitären Lebewesen das Problem der Organtransplantation zu umgehen – mit fatalen Folgen. Ein Hochhauskomplex wird zur Brutstätte einer von jenen Parasiten befallenen Menschenmasse. Das Ende ist eine
Eskalation in Gewalt und Sex. Einige Jahre später, 1981, erlebte Cronenberg mit dem Sci-fi-horrorklassiker „Scanners“seinen kommerziellen Durchbruch: Der Film handelt von besonderen Menschen, die sowohl telepathisch als auch telekinetisch begabt sind und sich in einer Art Untergrundkonflikt gegenseitig bekämpfen. Ikonisch für den Film ist eine berühmte Szene zu Beginn, bei der einer dieser Scanner einem anderen Telepathen den Kopf explodieren lässt – wie in beinahe jedem anderen seiner Filme arbeitete Cronenberg auch hier nicht mit digitalen oder computergenerierten Effekten, sondern schaffte es, mit handwerklich eindrucksvollen Spezialeffekten blankes Entsetzen hervorzurufen. Allerdings geht der Film auch über diese heftigen Splatter-momente hinaus, denn in ihm werden auch philosophische und technische Themen erörtert wie etwa die Vernetzung des menschlichen Geistes durch Computer – eine Idee, die in späteren Werken auch unter dem Begriff des Cyberspace ihren Einzug in die Science Fiction fand. Cronenberg ist gerade durch Filme wie „Scanners“oder „Die Fliege“zu einem der wichtigsten Regisseure des Science-fictionhorrors geworden, auch wenn er sich in seinem späteren Werk immer weiter von dieser Materie entfernte. Science-fiction ist ein kraftvolles Thema, das gerade viele Veteranen des Horrorgenres reizt. So machte sich Horror-urgestein Tobe Hooper 1985 ans Werk, „Lifeforce – Die tödliche Bedrohung“zu drehen. Der Film, basierend auf der Buchvorlage von Bestsellerautor Colin Wilson, handelt von einer Weltraummission,
deren Astronauten bei der Untersuchung eines Kometen ein außerirdisches Schiff finden. An Bord befinden sich drei gläserne Sarg-kapseln, die menschenähnliche Wesen zu enthalten scheinen. Ein Zwischenfall ereignet sich an Bord des Menschenraumschiffs und schon ist es geschehen: Das Unheil nimmt seinen Lauf. Eine der in den Glassärgen eingeschlossenen Menschen, eine junge, hübsche (und nackte) Frau erwacht zum Leben und entpuppt sich als eine Art intergalaktischer Vampir, der Tod und Verderben auf die Erde bringt. Hoopers Film ist sehr kurzweilig und unterhaltsam – auch wenn Autor Colin Wilson selbst von dem Film behauptet, er sei der schlechteste Film überhaupt.
Xenomorphologie
Man kann in einer solchen Reihe natürlich nicht auf jeden großartigen Film des Horrorgenres eingehen. Es gibt unzählige Filme und jeder Horrorfan hat hier und da seine Lieblinge wie zum Beispiel „Event Horizon“von Paul W. S. Anderson von 1997, der einfach ohne Wenn und Aber ein grandioser Sci-fi-horrorfilm ist. Aber wenn man über Sci-fi-horror schreibt, gibt es diesen einen Film, an dem kein Science-fiction-fan und auch kein Horror-geek vorbei kommt: „Alien“(1979, Regie: Ridley Scott). Dieser Film perfektioniert das, was Science-fiction-horror ausmacht: Ein Raumschiff in einer nicht allzu fernen Zukunft; eine Menschheit, die auf eine spannende und gar nicht sonderlich strahlend-schöne Art und Weise das Weltall für sich erobert hat und mit großen Konzern-raumschiffen durch die Dun
kelheit reist; sowie schließlich die Erkenntnis, dass die Menschheit nicht allein dort draußen ist. Ridley Scott schuf mit „Alien“einen der unheimlichsten und gruseligsten Filme aller Zeiten. Der Schweizer Künstler H. R. Giger war es, der das namensgebende Alien designte und ihm sein charakteristisches Aussehen verlieh. Für den Entwurf des xenomorphen Lebewesens wurde Giger mit dem Oscar ausgezeichnet. Zu dem Film gibt es so viel zu erzählen – und auch wieder nicht, denn es ist ein unvorstellbares Erlebnis, sich der dichten, beklemmenden Atmosphäre des Films auszusetzen. Die vielen Storywendungen des Films, gepaart mit Schockmomenten machen aus ihm eigentlich DEN Sci-fi-horrorfilm schlechthin und das auch noch überaus erfolgreich. Bis heute sind fünf Fortsetzungen bzw. Prequel-filme entstanden, die sich der Geschichte um die mörderischen Aliens annehmen. In beinahe jedem Film wird ein klein wenig zur Mythologie, die um die Wesen entstand, hinzugefügt und die Produzenten sind auch noch nicht mit der Erzählung fertig. Hinzu kamen noch Crossover-verfilmungen mit den „Predator“-filmen („Predator“1987, Regie: John Mctiernan), die zwar mehr auf Action setzten als Atmosphäre, aber die dennoch ein stimmiges Gesamtpaket lieferten. Eine Sache macht „Alien“noch zusätzlich zu all der dramaturgischen Finesse zu einem verdammt guten Film: Sigourney Weaver zeigt in ihrer Rolle als Ripley, dass im Science-fiction-, Action- und Horrorkino auch eine Frau eine starke Persönlichkeit sein kann. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen seiner Zeit ist die Hauptfigur bei Alien weiblich und dabei auch nicht großartig leidend oder melodramatisch, sondern stark, intelligent und selbstbewusst. Ripley ist es, die das Wesen am Ende besiegen kann und das nicht, weil sie vielleicht sexuelle Reize oder sonstige, deplatzierte Eigenschaften bei Frauen im Film einsetzt, sondern weil sie eine starke Persönlichkeit ist. Das war damals eine Neuerung und ist auch in aktuellen Filmen keine Selbstverständlichkeit. „Alien“beeinflusste fast wie kein anderer Film die nachfolgenden Generationen an Horrorund
Science-fiction-filmen. Auch moderne Interpretationen des gleichen Motivs wie etwa „Life“(2017, Regie: Daniél Espinosa) wären ohne den weitreichenden Einfluss des ersten „Alien“-films einfach undenkbar und gerade die Tatsache, dass auch Ur-regisseur Ridley Scott mit den neueren Prequels sich selbst an die Vervollständigung der „Alien“-geschichte macht, zeigt, dass es sich hier nicht um einen einmaligen Erfolg handelt, sondern es Scott auch darum geht, eine bedeutsame Geschichte zu erzählen.