Blu-ray Magazin

Der Mauretanie­r

(K)eine Frage der Gerechtigk­eit

- LARS ZSCHOKE

Es ist November 2001. Der 11. September ist zwei Monate her und die amerikanis­che Regierung muss, aus Mangel an echten Beweisen, einen Sündenbock für die Zufriedens­tellung der Kleinbürge­r finden. Jeder, der in der Vergangenh­eit auch nur Kontakt zu Mitglieder­n der islamistis­chen Organisati­on al-quaida hatte, soll festgenomm­en werden. Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) ist so jemand. Ohne rechtmäßig­e Anklage wird Slahi 14 Jahre lang in Guantanamo weggesperr­t. Die Anwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) und ihre Assistenti­n Teri Duncan (Shailene Woodley) kämpfen für die Freilassun­g ihres Mandanten Slahi, Armee-rechtsanwa­lt Stuart Couch (Benedict Cumberbatc­h) wiederum für seine Verurteilu­ng. Doch je länger alle Beteiligte­n in dieser Sache ermitteln, desto klarer wird den Anwälten die unmenschli­che Gefangensc­haft in Guantanamo vor Augen geführt. Nach und nach zeichnet sich ein Bild von systematis­cher Folter ab, der Slahi

jahrelang ausgesetzt war. Eine unter Folter erzwungene Aussage ist aber im eigentlich­en Sinne nicht rechtskräf­tig.

„Der Mauretanie­r“erzählt die Geschichte von dem in Rosse, Mauretanie­n geborenen Mohamedou Ould Slahi, der tatsächlic­h von 2002 bis 2016 in Guantanamo im Gefängnis saß. Seit 2015 werden Slahis Erfahrunge­n, auf Ansporn seiner Anwältin Hollander, in Zeitungen abgedruckt. Im Jahr 2018 ist sein Buch, „Das Guantanamo-tagebuch“, erschienen. Regisseur Kevin Macdonald ist in erster Linie Dokumentar­filmer. Ob „Ein Tag im September“(1999), „Sturz ins Leere“(2003) oder auch „Marley“(2012), seine Dokus sind beim Publikum sehr beliebt. Da passt es sehr gut, dass seine wenigen Spielfilme ebenso von historisch­en Figuren und Ereignisse­n handeln. Und es hat noch einen anderen Vorteil. Wie schon in „Der letzte König von Schottland“(2006) ist auch „Der Mauretanie­r“(fast) befreit von unnötig verkitscht­en Szenen. „Der Mauretanie­r“ist reduziert auf das Wesentlich­e und erzählt, beinahe neutral, die Geschichte eines unschuldig­en Gefangenen.

Form und Funktion

„Der Mauretanie­r“ist ein Gerichtsdr­ama par excellence und kann mit Filmen wie „Eine Frage der Ehre“(1992) oder auch „Im Auftrag des Teufels“(1997) mühelos mithalten, diese sogar in einigen Aspekten übertreffe­n. Auch wenn wie in vielen Filmen dieses Untergenre­s die Bilder von sich unterhalte­nden Menschen geprägt sind, so tut das „Der Mauretanie­r“nur 90 Minuten lang, also in den ersten beiden Akten. Im dritten und letzten Akt erleben wir eine kinematogr­afische Kakophonie von grellen Bildern, die den Zuschauer durch die Gräuel der Foltermeth­oden Guantanamo­s leitet. Dieses rein auf das Optische reduzierte Geisterbah­nerlebnis führt die Unmenschli­chkeit der Folter vor Augen und lässt die (Fehl-)entscheidu­ngen des Protagonis­ten, die er im Laufe der Handlung trifft, relativier­en. Denn der Film ist zudem noch zeitlich getrennt. Die Zeit mit dem Anwältinne­nduo Hollander und Duncan spielt ab dem Jahr 2005 und wird im 2.35:1 Panorama-format präsentier­t. Die Folter in der Gefangensc­haft wird in den frühen Jahren 2002 sowie ’03 praktizier­t und ist im 1.33:1 Format, also 4:3, zu sehen. Dieses Format verdeutlic­ht auch die Lage von Slahi, denn in diesen Jahren führte er sein Leben nur in engen Räumen, ob nun seine enge Zelle oder auch der Verhörraum.

„Der Mauretanie­r“ist nicht nur ein Film, der eine wahre (und sehr aufwühlend­e) Geschichte auf die Leinwand gebracht hat, ohne viel Kitsch und ohne falschen Pathos. Er geht auch selbstsich­er mit seiner Palette an Stilmittel­n um und bietet einen einmaligen Einblick in die Lebenssitu­ation eines Guantanamo-häftlings. Die Foltersequ­enzen sind intensiv in Szene gesetzt und sprechen für sich. Es kommt selten vor, dass ein Film gleichzeit­ig so viel fordern und geben kann, sowohl narrativ als auch visuell.

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 ?? ?? OT: The Mauritania­n L: GB, US J: 2021 V: Leonine
B: 2.35 : 1, 1.33 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Kevin Macdonald D: Jodie Foster, Benedict Cumberbatc­h, Tahar Rahim
LZ: 130 min FSK: 12 W-cover: ja
OT: The Mauritania­n L: GB, US J: 2021 V: Leonine B: 2.35 : 1, 1.33 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Kevin Macdonald D: Jodie Foster, Benedict Cumberbatc­h, Tahar Rahim LZ: 130 min FSK: 12 W-cover: ja
 ?? ?? Die Haftbeding­ungen in Guantanamo widersprec­hen den Menschenre­chten und den Prinzipien der Menschenwü­rde
Die Haftbeding­ungen in Guantanamo widersprec­hen den Menschenre­chten und den Prinzipien der Menschenwü­rde
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 ?? ?? Zwei Anwältinne­n (Shailene Woddley und Jodie Foster) kämpfen für die Freilassun­g Slahis
Zwei Anwältinne­n (Shailene Woddley und Jodie Foster) kämpfen für die Freilassun­g Slahis

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