THE CORRUPTED
London, europäische Hauptstadt des Finanzkapitals und futuristischer Wolkenkratzerarchitektur, Kronjuwel des alten Empires, aber auch Schauplatz von niederträchtigen Verbrechen und weit verbreiteter Korruption. Willkommen in „The Corrupted“!
In unserer westlichen Wertegemeinschaft sollen Jene, die sich an ihren Mitmenschen und der Gesellschaft versündigt haben und dafür ins Gefängnis gesteckt wurden, dieses nicht als bestrafte, sondern als geläuterte, gesetzestreue und integrierbare Personen verlassen. Soweit das Ideal. In der Praxis sieht das natürlich anders aus. Selbst wenn der Wille zu einem besseren Leben existiert, braucht es doch auch ein Umfeld, das diesen Weg auch unterstützt. Just an diesem Umfeld gebricht es aber häufig, auch in unserer vorgeblich werteorientierten Gesellschaft.
Ein steiniger Weg
Das muss auch Ex-gangster Liam Mcdonagh („Hunger Games“-star Sam Claflin) feststellen, der zu Beginn des Filmes aus dem Gefängnis entlassen wird. Um seine Chancen auf eine Festeinstellung in einer soliden Profession, ist es aufgrund seiner Vergangenheit eher schlecht bestellt. Das macht ihm seine Jobvermittlerin deutlich. Also tut er, was er am besten kann, nämlich kämpfen. Nach einem dieser Kämpfe wird er von seinem alten Boss angesprochen, dem inzwischen zum Immobilienhai aufgestiegenen Gangster Clifford Cullen („Harry Potter“-star Timothy Spall), der vorgibt, Liam beim Wiedereinstieg in die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Was Liam noch nicht weiß: Sein Bruder Sean steckt als Handlanger mittendrin in den inzwischen noch viel schmutzigeren Geschäften Cullens. Dieser hat sich mit Baugeschäften im Rahmen des Zuschlages an London für die Ausrichtung der Olympischen Spiele eine goldene Nase verdient und dabei ein Netz der Korruption gesponnen, das bis in Regierungs- und höchste
Polizeikreise hinein reicht. In der Öffentlichkeit gilt er als Wohltäter, der sich den Anschein sozialer Verantwortung gibt; ein Unternehmer, der nicht nur High-end-apartments, sondern ebenso Wohnungen für die Ärmsten errichten lässt. Auf solch eine Wohnung hoffen auch Liams Frau Grace (Naomi Acker) und ihr gemeinsamer Sohn Archie, doch werden gerade Frau und Kind das Druckmittel, mit dem sich Cullen der Loyalität des eigensinnigen Liams versichern will.
Wenig Zeit und viel zu erzählen
Was hier schon recht kompliziert klingt, stellt im Film erst den Anfang einer erzählerisch unerwartet breit aufgestellten Geschichte dar, die sich leider etwas übernimmt bei dem Versuch, Familienund Sozialdrama, Gangsterkrimi, Politthriller, Actionfilm und Korruptionsreißer unter einen Hut
zu bringen und das in weniger als 103 Minuten. Es fällt schwer, den Korruptionsermittlungen einiger weniger couragierter Polizisten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, wenn doch sogleich wieder Schauplatz, Thema und häufig auch Stimmung gewechselt werden. Die Wiederannäherung Liams an seine Familie könnte emotional aufwühlend, zart oder tragisch sein, doch in „The Corrupted“erhalten diese leisen Momente kaum Raum, um Wirkung zu entfalten. Wer hingegen mehr als ausreichend Raum erhält, ist Clifford Cullen. Dieser Darling der High Society ist ein waschechter Psychopath, was vom Film sehr früh unter Beweis gestellt wird. Dennoch bekommt er wieder und wieder Gelegenheit, seine Grausamkeit, Brutalität und völlige Immoralität zu demonstrieren. Der Erkenntnisgewinn solcher Szenen fällt gering aus, da sie nur bestätigen, was ohnehin schon über den Charakter bekannt ist, und dank vergleichsweise zurückhaltender Inszenierung gibt es auch nur wenige makabre Schauwerte zu bestaunen. Wer die in ähnlichem Milieu angesiedelten Gangsterserien „Mcmafia“oder „Gangs Of London“kennt, wird hier wohl völlig ungerührt bleiben. Leider spielt Timothy Spall seine Figur auch durchweg mit der gleichen verdrießlich-distanzierten Miene, gefällt sich in klischeehaften Gangsterattitüden und prätentiösen Schwafeleien, während es an bedrohlicher physischer Präsenz deutlich mangelt. Das grundsätzlich vorhandene Charisma des Schauspielers
rettet den Charakter glücklicherweise vor der Karikatur, aber hier hätte eine nuanciertere Figurenzeichnung, für die durchaus Zeit gewesen wäre, viel bewirken können. Eine bessere Darstellerleistung hätte auf alle Fälle die Hauptfigur des Filmes verdient. Sam Claflin agiert durchweg farblos und wenig mitreißend. Anders als Spall fehlt ihm auch das Charisma, um seiner Figur genug Leben einzuhauchen. Wirklich schlecht ist seine Leistung nicht, aber unter den Gegebenheiten des Filmes mit all seinen verzweigten und verwobenen Handlungsästen bräuchte es überdurchschnittliche Darbietungen, um Szenen zu schaffen, die sich im Konkurrenzkampf der Erzählstränge behaupten können. Die kleineren, aber dennoch wichtigen Rollen wurden hingegen überzeugend besetzt und tragen dazu bei, dass es „The Corrupted“letztlich doch gelingt, eine sehenswerte Filmerfahrung zu werden.
Große Ambitionen
Apropos sehenswert: Die dominierenden, sehr prägnanten Impressionen des proletarisch geprägten Stadtteils Stratford im Film werden kontrastiert durch das Wolkenkratzerpanorama der Londoner Innenstadt und schaffen ein stimmungsvolles Bild einer Stadt der Gegensätze; ein Bild, das die inhaltliche Etablierung des prominenten Schauplatzes visuell beeindruckend komplementiert. An der handwerklichen Umsetzung des Stoffes gibt es also wenig auszusetzen, auch wenn die Musik weitgehend unauffällig bleibt. Und grundsätzlich ist der ambitionierte, komplexe Erzählansatz des Drehbuchs und letztlich des Filmes aller Ehren wert. Dennoch bleiben aufgrund der knappen Laufzeit viele der theoretisch interessanten Möglichkeiten solch eines dicht gewobenen Gesellschaftspanoramas in der Praxis von „The Corrupted“in vielversprechenden, aber unterentwickelten Ansätzen stecken. Schade!