The English
Bedenkt man, dass der Western in den 1940ern und 1950ern einst das große Hollywood-genre war, ist es für heutige Vertreter nicht leicht. Ihnen sitzt eine breite Palette an Klassikern im Rücken, die einerseits prägend für das Kino waren, andererseits massive Geschichtsverklärung betrieben haben. Filme wie John Fords Kavallerie-trilogie („Bis zum letzten Mann“1948, „Der Teufelshauptmann“1949 und „Rio Grande“1950) stehen exemplarisch für einen selbstbezogenen Männer-kosmos, wo vermeintlich „überemotionale“und „weltfremde“Ehefrauen nur am Rande zuschauen dürfen, während die Herren der Schöpfung zu Pferde mit ihren Gewehren spielen und am ehesten im glorifizierten Militär-zeremoniell den Freibrief erhalten, auch mal pathetische Tränen der Rührung zu vergießen. Die amerikanischen Ureinwohner werden dabei vielfach zur blutrünstigen Plage entmenschlicht, an der sich das Heldenprofil
des weißen Us-amerikaners stählen kann. Nicht falsch verstehen: Diverse alte Westernwerke sind mitunter genial in ihrer filmischen Qualität und, bezogen auf die obigen Problematiken, auch nicht restlos über einen Kamm zu scheren. In Sachen Wertevorstellung sowie historischem Bewusstsein sind viele Us-klassiker aber seit Jahrzehnten aus der Zeit gefallen. Und auch wenn verschiedenste Neo- und Antiwestern solche antiquarischen Narrative bereits gebrochen haben, gehört es heute mehr denn je zur Genre-prämisse, nicht nur einen Ausgleich zwischen cineastischer Nostalgie und modernen Sehgewohnheiten zu finden, sondern auch eine Art Wiedergutmachung zu leisten. Letzteres bedeutet, ebenjene vergangenen Schicksale hervorzuheben, die das alte Hollywood mit Millionen-budgets so unrühmlich verleumdet hat.
Rächer der Unterdrückten
An dieses komplexe Erbe knüpft der Filmemacher Hugo Blick („The Honourable Woman“) mit seiner Miniserie „The English“an. Die sechs Episoden handeln von der englischen Adelsdame Cornelia Locke (Emily Blunt), die Ende des 19. Jahrhunderts in den Westen der USA reist, um Rache zu üben. Die genauen Hintergründe enthüllt die Serie erst zum Schluss. Auf ihrer Reise tut sie sich mit dem Pawnee Eli Whipp (Chaske Spencer) zusammen, der ehemals als Scout für die Us-kavallerie ins Feld ritt und nun vor den Trümmern eines blutgetränkten Landes steht. Dieses ungewöhnliche Paar muss fortan verschiedenste Gefahren überwinden. Dabei mausert sich die anfangs affektierte Cornelia zur Revolverheldin, während Eli sein verdrängtes Stammeserbe wieder entdeckt. Wie oben bereits angedeutet, ist „The English“eine bittere Abrechnung mit all den selbstgerechten Heldenmythen alter Western-motive. Weiße Männer sind hier fast ausnahmslos Rassisten, Ausbeuter, Vergewaltiger, Massenmörder. Oder sie sind im besten Fall zur resignierenden Passivität verdammt. Das mag einseitig klingen, wird der menschlichen Verrohung jener Epoche und dem grausamen Genozid an der Urbevölkerung aber gerecht. Die beiden Hauptfiguren werden im Gegenzug zu Rächern der Unterdrückten – ein wenig wie
in den alten Italo-western à la „Django“oder „Leichen pflastern seinen Weg“. Auch die zarten Knospen einer Romanze keimen zwischen Cornelia und Eli auf. Auf der anderen Seite gefällt die druckvolle Action-inszenierung. Atmosphärisch glänzt die Serie mit ästhetischen Panorama-aufnahmen und einem stivollen Soundtrack inklusive Morricone-anleihen. Was man „The English“am ehesten vorwerfen kann, ist, dass hier zuweilen recht wechselhaft zwischen dem Charakterdrama, der historischen Aufarbeitung und dem cineastischen Western-mythos hin und her gesprungen wird. Manche Plot-entwicklungen wirken dadurch etwas konstruiert und hastig. Das ist aber die berüchtigte Kritik auf hohem Niveau.