Bühnenweihspiel:
Osterfestspiele Baden-Baden: Premiere von Wagners „Parsifal“überzeugt vor allem musikalisch
Mit Richard Wagners Werk „Parsifal“(Foto: Rittershaus) wurden die Osterfestspiele in Baden-Baden eröffnet. Bis zum 2. April stehen dort noch 40 Einzelveranstaltungen auf dem Programm, darunter zwei weitere Aufführungen der von Simon Rattle dirigierten Neuinszenierung von Dieter Dorn.
Kein Musikdrama passt derart gut zu Osterfestspielen wie Richard Wagners letztes: sein Bühnenweihspiel „Parsifal“aus dem Jahr 1882, das mit weihevoller Musik religiöse Elemente wie die Monstranzenthüllung, die Taufe und ein Abendmahlsritual enthält. Mit großen Erwartungen reisen die Gäste von weit her, um Simon Rattle zum letzten Mal in Baden-Baden als Chef der Berliner Philharmoniker zu erleben. Sein flottes Dirigat – der Brite schafft den „Parsifal“in nur vier Stunden – steht im Kontrast zur zwar soliden, aber langatmigen Inszenierung des Regie-Altmeisters Dieter Dorn, der beim Schlussapplaus einige Protestrufe einstecken muss.
Augenblicke wie diese sind daher ein Segen: Parsifals erster Auftritt. Nicht etwa, weil nun der Titelheld in Erscheinung tritt, sondern weil Franz-Josef Selig als Gurnemanz nach seiner musikalisch brillanten, aber szenisch ermüdenden Erzählung „Titurel, der fromme Held“seiner Figur Glaubwürdigkeit verleiht, wo der Regie die Ideen fehlen. In seiner Schelte an Parsifal, der mit Pfeil und Bogen einen heiligen Schwan getötet hat, singt er zunächst lieblich: „Sein Weibchen zu suchen flog der auf, mit ihm zu kreisen über dem See, den so er herrlich weihte zum Bad“, um dann geführt vom nun bedrohlichen Orchesterklang den ganzen Zorn eines Basses hereinbrechen zu lassen: „Dem stauntest du nicht? Dich lockt es nur zu wild kindischem Bogengeschoss?“Ein im wahrsten Wortsinn musikalisches Erweckungserlebnis, das die Inszenierung zu oft bitter nötig hat.
Franz-Josef Selig singt düster, gewaltig, sein Gurnemanz erobert die Bühne und das Geschehen und verführt zur Aufmerksamkeit. Zumal Selig es wie nur wenige schafft, eine Wagnersche Gesangspartie absolut textverständlich zu artikulieren. Mehr noch als Parsifal, den Stephen Gould überzeugend und mit großer Kontrolle in allen Lagen, mit metallischen Höhen und heldischer Kraft singt, nimmt Selig das Publikum für sich ein. Es ist stellenweise, als würde nicht Rattle, sondern er das Geschehen musikalisch zusammenhalten. Denn so beeindruckend Rattle den rein instrumentalen Karfreitagszauber gestaltet und einzelne Musiker sowie den großartigen Philharmonie Chor Wien in Szene setzt, nicht immer ist er voll und ganz bei den Sängern. Wie schon vor zwei Jahren in „Tristan und Isolde“zaubert der scheidende Chefdirigent der Berliner einmal mehr eine kostbare und farbenreich ausgeleuchtete Sinfonie, nicht aber ein Musikdrama, das Stimmen und Orchester zum großen Bogen spannt.
Und doch ist es die Musik, die den Abend über Wasser hält. Denn trotz interessanter Ansätze und einer klaren Handschrift schafft es Dieter Dorn nicht, mit seiner Deutung des mystischen Stoffes die Aufmerksamkeit auf der Bühne zu halten. Die Gralsritter sind eine Gemeinde verschüchterter Existenzen. Wie es scheint, ist ihre Gralsburg eine Schreinerei (Bühne: Magdalena Gut). Unfähig, eine neue gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, schieben die mit Stofffetzen behangenen (Kostüme: Monika Staykova) Mitglieder der Brüderschaft ziellos wuchtige, keilförmige Bühnenelemente aus Spanplatten umher. Vorne sind sie zart bemalt mit einer abstrakt den Berg Monsalvat andeutenden Gebirgslandschaft, hinten eröffnen sie Räume im Setzkasten-Stil.
Zwar heißt es in diesem Musikdrama: „Zum Raum wird hier die Zeit“. Doch will partout kein Raum entstehen. Nur zweimal findet das chaotische Treiben eine räumliche Ordnung für den Ritus der Gralsenthüllung. Bei Dorn erinnert sie an eine Speisung Bedürftiger rings um den leidenden Amfortas. Gerald Finley ist zwar kein überzeugend genug Siechender, singt aber mit schönem Timbre, strahlend und sicher in allen Lagen. Stark gereift wirkt die Stimme von Robert Lloyd und insofern passend zum alten, gebrechlichen Titurel.
Während diese Szenerie den ersten und dritten Aufzug bestimmt, führt Dorn im zweiten Aufzug vor die Zinnen in den Garten des Zauberers Klingsor. Dort wollen die mit verwelkten Blüten behangenen und zirpend singenden Blumenmädchen Parsifal verführen. Man erlebt Evgeny Nikitin in großartigen Passagen, der einen vorzüglich diabolischen, sinistren Klingsor bietet. Und den großen Auftritt von Ruxandra Donose als Kundry. Donose hat ein wohlklingendes sinnliches und dunkles Timbre, die Stimme ist kraftvoll und füllig, doch zu eindeutig, um der zwiegespaltenen Figur die Fallhöhe zwischen Teufelsweib und reumütiger Sünderin zu verleihen. Ihr Versuch, Parsifal zu verführen, mündet nun in das Hauptproblem dieser Inszenierung: Längere Partien sind szenisch schleppend. So angenehm nah Dorn in Augenblicken wie der der Salbung Kundrys sowie der Enthüllung des Grals am Libretto arbeitet, so dünn ist auch die Spannung zwischen den Personen. Trotz dieser wenig akzentuierten Inszenierung erlebt das Premierenpublikum in Baden-Baden einen genussvollen Auftakt in erneut mit facettenreichem Programm aufwartende Osterfestspiele. Isabel Steppeler
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GROSSE AUFTRITTE haben Stephen Gould als Parsifal und Ruxandra Donose als Kundry, doch szenisch bleibt die von Simon Rattle dirigierte Inszenierung von Dieter Dorn oft schleppend. Foto: Rittershaus