FRIEDE SEI MIT DIR
Es sind Wahnsinnige. Fundamentalisten, Extremisten, Menschen, die andere in den Tod reißen, um im Jenseits Jungfrauen zu vögeln. Sie können weder besonders helle noch besonders gut organisiert sein. Oder?! Der Kriminalroman als politisches Buch, als Sozialstudie und Psychogramm schließt im besten Fall eine Lücke zwischen der Sachinformation und den Menschen, die hinter den Ereignissen stehen. Spannend und gut recherchiert, einfühlsam und realistisch. Den Extremismus und das Verbrechen unserer Zeit schlechthin, den Terror, der allgegenwärtig zu werden scheint, im Roman zu erzählen, scheint deshalb zunächst fast unmöglich.
Wie soll ein Autor sich diesen Charakteren nähern?! Zu sagen Yassin Musharbash habe selbst arabische Wurzeln, greift zu kurz. Er ist in Deutschland aufgewachsen, spricht in Interviews auch von dem Geschenk einer zweiten, inneren Heimat. Aber es ist wohl das eigentliche Geschenk, dass er, der Arabistik und Politikwissenschaften studierte, für Spiegel-Online unter anderem das Al-Quaida Logbuch erstellte, inzwischen als Korrespondent für die ZEIT aus Amman berichtet und ein Sachbuch mit dem Titel „Die neue al-Qaida“geschrieben hat, ein begnadeter Erzähler ist. In dem Roman von 2011 „Radikal“konnte er das unter großen Ovationen bereits unter Beweis stellen. Auch hier ging es um die Mechanismen der Radikalisierung und Terror sowie um die Aufgabe der Medien.
In „Jenseits“wird aus vier Perspektiven rasant spannend von dem deutschen Konvertiten Gent Sassenthin erzählt, der sich als Abdallah in Syrien dem IS anschließt – und was dies bei der deutschen Terrorabwehr auslöst. Der Verfassungsschutz-Analyst Sami möchte einmal etwas Großes wirklich verhindern. Die Journalistin Merle muss ihre internen Informationen gegen gierige Kollegen verteidigen. Titus von der Beratungsstelle Amal steht den verwirrten Eltern bei. In jeder Perspektive steigt Musharbash tief in die Lebensrealität der Figuren ein. Gents Erfahrungen in Syrien erschließen dem Leser, wie Zwänge und Religion, aber auch Freundschaft und militärische Strukturen das Kalifat zementieren. Es sind nicht alles fanatische Gotteskrieger, denen er begegnet, kopflos im Kampf gegen die Kuffar, im IS geht es auch um Organisation von Kontrolle und Macht. Da sind der interne Geheimdienst al-Amn alkharidschi, die Kontakte der Emire zu ehemaligen Militärs des Irak und al-Qaida. Versiert berichtet Musharbash auch von der Arbeit im BfV, zeigt, wie Sami die Spuren des neuen Radikalen bis nach Syrien verfolgt. Er fliegt nach Amman in der Hoffnung auf verwertbare Informationen. Als tatsächlich etwas passiert, fühlt man sich förmlich neben dem Spiegel- und ZEIT-Journalisten Musharbash am Schreibtisch seiner fiktiven Redakteure stehen.
Und Musharbash schafft es auch, das friedliche, beseelte Gesicht des Islam zu zeigen. „Du betest, wie du früher gesoffen hast“, sagt der Imam Abu Karim zu Gent alias Abdallah. Doch da hat er ihn bereits verloren. Und bei all dieser großen Politik und diesen weltumspannenden Ereignissen sind die Protagonisten einfach Menschen; Musharbash adaptiert die Sprache des jeweiligen Milieus, weist sich als Kenner aus, ohne zu erklären oder zu überfrachten, macht alles greifbar und lebendig. Unbedingt lesenswert!
Das Gefühl, in einer Besprechung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ zu sitzen, mit Animositäten und Sympathien; wie es ist, wenn ein Verlorener durch ein Hadith zu Gott findet: All das und mehr, hervorragend erzählt in „Jenseits“von Yassin Musharbash.