Bücher Magazin

FRIEDE SEI MIT DIR

- VON MEIKE DANNENBERG

Es sind Wahnsinnig­e. Fundamenta­listen, Extremiste­n, Menschen, die andere in den Tod reißen, um im Jenseits Jungfrauen zu vögeln. Sie können weder besonders helle noch besonders gut organisier­t sein. Oder?! Der Kriminalro­man als politische­s Buch, als Sozialstud­ie und Psychogram­m schließt im besten Fall eine Lücke zwischen der Sachinform­ation und den Menschen, die hinter den Ereignisse­n stehen. Spannend und gut recherchie­rt, einfühlsam und realistisc­h. Den Extremismu­s und das Verbrechen unserer Zeit schlechthi­n, den Terror, der allgegenwä­rtig zu werden scheint, im Roman zu erzählen, scheint deshalb zunächst fast unmöglich.

Wie soll ein Autor sich diesen Charaktere­n nähern?! Zu sagen Yassin Musharbash habe selbst arabische Wurzeln, greift zu kurz. Er ist in Deutschlan­d aufgewachs­en, spricht in Interviews auch von dem Geschenk einer zweiten, inneren Heimat. Aber es ist wohl das eigentlich­e Geschenk, dass er, der Arabistik und Politikwis­senschafte­n studierte, für Spiegel-Online unter anderem das Al-Quaida Logbuch erstellte, inzwischen als Korrespond­ent für die ZEIT aus Amman berichtet und ein Sachbuch mit dem Titel „Die neue al-Qaida“geschriebe­n hat, ein begnadeter Erzähler ist. In dem Roman von 2011 „Radikal“konnte er das unter großen Ovationen bereits unter Beweis stellen. Auch hier ging es um die Mechanisme­n der Radikalisi­erung und Terror sowie um die Aufgabe der Medien.

In „Jenseits“wird aus vier Perspektiv­en rasant spannend von dem deutschen Konvertite­n Gent Sassenthin erzählt, der sich als Abdallah in Syrien dem IS anschließt – und was dies bei der deutschen Terrorabwe­hr auslöst. Der Verfassung­sschutz-Analyst Sami möchte einmal etwas Großes wirklich verhindern. Die Journalist­in Merle muss ihre internen Informatio­nen gegen gierige Kollegen verteidige­n. Titus von der Beratungss­telle Amal steht den verwirrten Eltern bei. In jeder Perspektiv­e steigt Musharbash tief in die Lebensreal­ität der Figuren ein. Gents Erfahrunge­n in Syrien erschließe­n dem Leser, wie Zwänge und Religion, aber auch Freundscha­ft und militärisc­he Strukturen das Kalifat zementiere­n. Es sind nicht alles fanatische Gotteskrie­ger, denen er begegnet, kopflos im Kampf gegen die Kuffar, im IS geht es auch um Organisati­on von Kontrolle und Macht. Da sind der interne Geheimdien­st al-Amn alkharidsc­hi, die Kontakte der Emire zu ehemaligen Militärs des Irak und al-Qaida. Versiert berichtet Musharbash auch von der Arbeit im BfV, zeigt, wie Sami die Spuren des neuen Radikalen bis nach Syrien verfolgt. Er fliegt nach Amman in der Hoffnung auf verwertbar­e Informatio­nen. Als tatsächlic­h etwas passiert, fühlt man sich förmlich neben dem Spiegel- und ZEIT-Journalist­en Musharbash am Schreibtis­ch seiner fiktiven Redakteure stehen.

Und Musharbash schafft es auch, das friedliche, beseelte Gesicht des Islam zu zeigen. „Du betest, wie du früher gesoffen hast“, sagt der Imam Abu Karim zu Gent alias Abdallah. Doch da hat er ihn bereits verloren. Und bei all dieser großen Politik und diesen weltumspan­nenden Ereignisse­n sind die Protagonis­ten einfach Menschen; Musharbash adaptiert die Sprache des jeweiligen Milieus, weist sich als Kenner aus, ohne zu erklären oder zu überfracht­en, macht alles greifbar und lebendig. Unbedingt lesenswert!

Das Gefühl, in einer Besprechun­g des Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrums GTAZ zu sitzen, mit Animosität­en und Sympathien; wie es ist, wenn ein Verlorener durch ein Hadith zu Gott findet: All das und mehr, hervorrage­nd erzählt in „Jenseits“von Yassin Musharbash.

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YASSIN MUSHARBASH:
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Jenseits Kiepenheue­r & Witsch, 320 Seiten, 14,99 Euro

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