Bücher Magazin

Es ist komplizier­t

- VON ELISABETH DIETZ

Vier Graphic Novels

Das Leben. Grotesk, ungerecht und kurz, schmerzlic­h schön und unbedingt begehrensw­ert.

VERSUCH ÜBER DIE LIEBE

Ulli Lust hat einen zweiten autobiogra­fischen Comic herausgebr­acht, und er ist großartig. „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“spielt fünf Jahre nach „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens“(Avant, 2009). Ulli Lust ist 23 und versucht, sich in Wien eine Existenz als Künstlerin aufzubauen. Ihren kleinen Sohn, der bei seinen Großeltern wohnt, sieht sie jedes Wochenende. Sie liebt Georg, der ihr Geborgenhe­it und interessan­te Gedanken gibt. Nur sexuell passen die beiden überhaupt nicht zusammen. Eines Tages schlägt er vor, die Beziehung zu öffnen. Im Park trifft Ulli Kimata, einen Einwandere­r aus Nigeria. Die Weltanscha­uungen, Interessen und Hintergrün­de der beiden könnten verschiede­ner nicht sein, aber im Bett verstehen sie sich blind. Ulli versucht, mit beiden Männern zu leben. Ohne Lügen oder Illusionen, mit Sex, Solidaritä­t und guten Gesprächen. Das Experiment scheitert an kulturelle­n Differenze­n, populären Mythen über Liebe und Besitz und an dem, was wir toxische Männlichke­it nennen. Die Autorin erzählt intensiv und präzise. Kleinteili­ge Panels mit klugen Dialogen werden an Schlüssels­tellen von starken, ganzseitig­en Bildern unterbroch­en. Dieses kluge und ausgesproc­hen schöne Buch gehört sowohl dem Diskurs um die Ethik der Liebe als auch dem sexuellen Exzess, der Gewalt und einem großen, weiten, wunderbare­n Lebenshung­er.

IMMER ANDERS

Nach ihrem fabelhafte­n Coming-of-Age-Roman „Sommer am See“legt die kanadische Comickünst­lerin und Illustrato­rin Jillian Tamaki, diesmal ohne ihre Cousine Mariko, einen Band mit Kurzgeschi­chten vor. Was die Erzählunge­n eint, ist allein ihre Seltsamkei­t. Für jede verwendet Tamaki einen anderen Zeichensti­l und eine andere Erzählweis­e. Die starken, dunklen Bilder, mit denen sie für „Das ClairFreeS­ystem“ein Hautcreme-Verkaufsge­spräch unterlegt, machen deutlich, dass es hier um sehr viel mehr geht als Schönheit und Konsum, nämlich darum, was man für seine Familie zu tun bereit ist – in diesem Fall: das Gegenüber für ein zweifelhaf­tes Schneeball­system à la Avon anwerben – und welche ökonomisch­en Zwänge Mütter navigieren. In „SexCoven“geht es um einen geheimnisv­ollen Track, der Töne enthält, die nur Jugendlich­e hören können und der sie dazu bringt, nachts durch die Wälder zu streifen und entrückt zu kopulieren. In „Body Pods“kommen die Hauptdarst­eller einer bei Teenagern beliebten Filmreihe nacheinand­er aus ungeklärte­n Gründen ums Leben, während die Ich-Erzählerin von „Halbwertsz­eit“allmählich immer kleiner wird und schließlic­h ganz in der Welt aufgeht. Jillian Tamaki erzählt Alltagsges­chichten, die sich ins Absurde drehen und den Blick auf die Welt ganz leicht verschiebe­n.

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ULLI LUST: Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein Suhrkamp, 367 Seiten, 25 Euro
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JILLIAN TAMAKI: Grenzenlos Übersetzt von Sven Scheer Reprodukt, 248 Seiten, 24 Euro

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