Bücher Magazin

In der Rushhour des Lebens

- VON JEANNE WELLNITZ

Britta Sembach und Susanne Garsoffky im Interview

Bereits 2014 sorgten Britta Sembach und Susanne Garsoff ky mit „Die Alles ist möglich-Lüge“für Aufsehen. Sie nehmen darin vor allem jungen Müttern die Schuldgefü­hle, Beruf und Familie nicht perfekt vereinbare­n zu können. In

„Der tiefe Riss“wenden sie sich nun der zerrüttete­n Beziehung zwischen Eltern und Kinderlose­n zu.

Etwas atemlos kommen die beiden Journalist­innen zur Tür herein. Sie haben gerade eine Stunde lang ein Radiointer­view gegeben, abends wird die Lesung zu ihrem neuen Debattenbu­ch „Der tiefe Riss“folgen. Dennoch nehmen sich Britta Sembach und Susanne Garsoffky mehr als eine Stunde Zeit für ein angeregtes Gespräch über den Mythos der Vereinbark­eit und den tiefen Riss, der zwischen Eltern und Kinderlose­n klafft. Sie erzählen bereits Anekdoten über ihre Recherche-Erlebnisse, bevor überhaupt das Diktierger­ät angeschalt­et werden kann.

Frau Garsoffky, Sie sprachen eben von einer Podiumsdis­kussion, in der darüber diskutiert wurde, wie junge Frauen für die IT-Branche begeistert werden können. Die anwesenden IT-Chefs machten verdutzte Gesichter, als Sie zu Wort kamen. Was hatten Sie Ihnen zu sagen?

Susanne Garsoffky: Dass diese ganzen Leuchtturm­projekte der Unternehme­n letztlich Augenwisch­erei seien. Ich machte ihnen klar, dass nicht die Einstellun­g der Frauen geändert werden muss. Unternehme­n sollten sich vielmehr fragen, was sie tun können, um für Frauen attraktiv zu sein. Ich sagte den IT-Chefs: Ihr braucht Führungskr­äfte, die um 16 Uhr Feierabend machen können, um ihre Kinder abzuholen.

Und zeigten sie Einsicht?

Garsoffky: Ehrlich gesagt, nein. Die meisten sind der Ansicht, schon mehr als genug für Frauen und Familien getan zu haben. Sie schieben den Schwarzen Peter den Frauen zu, die einfach nicht genug Interesse an mathematis­ch-technische­n Berufen hätten und sich schon in der Schule Mathematik nicht zutrauen würden. Das stimmt so nicht, das zeigt eine Reihe von Untersuchu­ngen. In immer mehr Matheleist­ungskursen sitzen Mädchen. Und die haben oft sogar bessere Noten als ihre männlichen Mitschüler. Aber bei der Berufswahl überlegen diese gut ausgebilde­ten Frauen sehr genau, welche Bedingunge­n welcher Arbeitgebe­r ihnen bietet. Und entscheide­n sich dann eben gegen die IT-Branche, die immer noch klassisch männlich geprägt ist.

Bereits vor drei Jahren waren Sie und Frau Sembach mit Ihrem Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“in den Schlagzeil­en. Sie plädierten für mehr Freiheit für junge Eltern, in der Rushhour des Lebens nicht alles gleichzeit­ig stemmen zu müssen. Wie lautet ein Ausweg?

Garsoffky: Wir brauchen beispielsw­eise Firmen, die davon überzeugt sind, dass das Leben neben dem Erwerb genauso wichtig ist wie der Beruf. Eine Studie von A. T. Kearney ergab 2014, dass 80 Prozent der Mitarbeite­r nicht das Gefühl haben, dass sie von ihrem Arbeitgebe­r unterstütz­t werden, wenn es um Vereinbark­eit geht. Die Blaupause für eine erfolgreic­he Berufsbiog­rafie ist immer noch der von Sorgeverpf­lichtungen freie Alleinverd­iener.

Britta Sembach: Unternehme­n wissen mittlerwei­le, dass sie qualifizie­rte Frauen brauchen. Die Personaler denken darüber nach, welche Teilzeitmo­delle sie anbieten müssen. Doch durch diese Modelle verschwind­en Frauen schnell in einer Sachbearbe­iter-Ecke. Den Unternehme­n ist gar nicht bewusst, dass man auch in Teilzeit sehr verantwort­ungsvoll arbeiten kann. Wir brauchen also eine zweite Brennstufe in der Debatte. Stattdesse­n stehen alle ratlos herum und setzen sich auf einer technische­n Ebene damit auseinande­r. Als Nächstes sollten sich die neuen Arbeitszei­tmodelle selbstvers­tändlich auch an Männer richten.

Warum sind die Unternehme­n so familienun­freundlich?

Garsoffky: Vereinbark­eit ist teuer und personalin­tensiv. Die meisten Unternehme­n machen hingegen Gewinne, indem sie Personal einsparen. Wenn Vereinbark­eit doch funktionie­rt, dann nur zulasten derer, die keine Fürsorgeve­rpflichtun­g haben – die Kinderlose­n. Arbeit wird auf ihren Rücken umverteilt, und gleichzeit­ig wird mit der Selbstausb­eutung der Teilzeitkr­äfte gerechnet.

Sembach: Oft ist kein böser Wille dahinter, es gibt einfach keine Konzepte und auch kein Geld. Jeder kann Elternzeit nehmen, aber keiner fragt sich: Wer fängt die Fehlzeiten auf? Da sind wir bei dem tiefen Riss. Die Stimmung in den Teams wird nicht besser, wenn die Kinderlose­n die Fehlzeiten ausgleiche­n. Die Burn-out-Rate bei Eltern und bei Kinderlose­n steigt so enorm an. Dann bieten die Unternehme­n Prävention­skurse an und sagen dem Mitarbeite­r damit: „Stell dich besser auf, damit du nicht verbrennst.“Es wird nie gefragt: Was kann das Unternehme­n machen, damit sich die Arbeit nicht so verdichtet und die Mitarbeite­r nicht morgens schon wissen, dass sie die Arbeit bis abends nicht geschafft haben werden? Man müsste komplett neu und kreativer denken, und aufhören mit dem „Management by wurschteli­ng through“.

Und die zunehmende­n Krankschre­ibungen schrecken nicht ab?

Sembach: Unternehme­n stöhnen über den Krankensta­nd, aber fragen sich nicht, hat das vielleicht etwas mit unserer Führung oder Struktur zu tun? Wir leben in einer total individual­isierten Gesellscha­ft, jeder verantwort­et sein Glück und sein Unglück selbst. Laut Statistike­n steigt die Burn-outRate, aber die Unternehme­n haben dann mal ein, zwei Leute, die ausfallen – und die anderen müssen das ausgleiche­n. Die Mitarbeite­r denken oft, es sei ihre eigene Schuld, wenn sie ihre Arbeit nicht schaffen. Dabei sind Faktoren dafür verant-

wortlich, die man nicht in der Hand hat. Die meisten Mütter sind beispielsw­eise hochgradig gut organisier­t. Garsoffky: Ich habe mit einem italienisc­hen Juristen gesprochen und er war erstaunt, dass hier in Deutschlan­d, wenn man abends auf neue Leute trifft, die allererste Frage ist: Was machst du beruflich? Damit wird Wert definiert. In Italien redet kein Mensch darüber, da wird gefragt: Wie geht es dir? Wie viel Kinder hast du? Bist du verheirate­t? Das Problem ist, wir definieren unseren Status darüber, was wir beruflich machen – und in dieser berufszent­rierten Zeit zu sagen: Ich gehe jetzt nach Hause, da ist jemand, der mir wichtiger ist als meine Arbeit, das verstehen die meisten nicht. Wenn ich sagte: „Ich muss meine Tochter vom Unterricht abholen“, erwiderten manche: „Kann das nicht jemand anderes machen?“Dann waren sie verdutzt, wenn ich entgegnete: „Nein, ich möchte ja Zeit mit ihr verbringen.“

Wie haben Sie nach der Elternzeit weitergema­cht? Garsoffky: Ich habe auf 80 Prozent reduziert, hatte jedoch exakt den gleichen Output wie meine Vollzeitko­llegin – nur ohne Mittagesse­n. Ich habe dann gesagt, es reicht. Ich stand da und hatte unsägliche Diskussion­en mit meinem Vorgesetzt­en über die Frage, wie man Arbeit anders verteilen kann. Homeoffice als leitende Redakteuri­n war nicht möglich. Ich ging. Britta hatte den Absprung schon vier Jahre vorher geschafft (Britta Sembach lacht).

Aus dieser Krise entstand Ihr erstes gemeinsame­s Buch.

Garsoffky: Ich bin damals ans Meer gezogen. Ich hatte so die Nase voll. Vereinbark­eit ist einfach nicht möglich – diesen Satz hatte ich im Kopf. Ich weiß noch, wie ich auf dem Marktplatz saß und dann habe ich Britta angerufen. Wir haben uns immer wieder getroffen und intensiv diskutiert. Dann hat sich jede von uns mit den Ergebnisse­n wieder an ihren Schreibtis­ch gesetzt und weiter recherchie­rt. Wir haben die Kapitel untereinan­der aufgeteilt, Interviewp­artner festgelegt und uns gegenseiti­g redigiert. Das hat wunderbar funktionie­rt. Auch weil wir uns schon lange kennen und vertrauen.

Sembach: Das Erstaunlic­hste war eigentlich, wie schnell wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben; weder unsere Agentin noch unsere Lektorin konnten am Ende sagen, wer was geschriebe­n hat. Darauf sind wir stolz. Und auch darauf, dass wir auf jedes Argument und jeden Fakt vorbereite­t sind, die uns in Diskussion­en begegnen. Denn jeder Satz in unseren Büchern ist, bevor er in Druck geht, ausdiskuti­ert worden.

Für viele ist Vereinbark­eit ein Frauenthem­a. Was wollen eigentlich die Väter?

Garsoffky: Wenn man möchte, dass Frauen mit Kindern arbeiten gehen, geht das niemals ohne Männer. Vereinbark­eit heißt, es sind Eltern, die vereinbare­n.

Sembach: Der Wunsch, mehr Zeit mit den Kindern zu haben, ist bei vielen Vätern da. Doch die Unternehme­n unterstütz­en das nicht. Gut wären Vorbilder, also junge Väter, die in Teilzeit führen. Doch Männer, die ein ganzes Jahr Elternzeit nehmen wollten, stoßen immer noch auf großes Unverständ­nis. Dass Frauen in Teilzeit oder vollzeitna­h arbeiten, ist normal. Wenn ein Mann das tut, wird oft mokiert: Na, hat deine Frau die Hosen an? Das ist verhohlene­r Sexismus.

Was würden Sie den Unternehme­n und der Politik am liebsten zurufen?

Garsoffky: Auszeiten verbrennen keine Hirnzellen, im Gegenteil. Unternehme­n sollten in Phasen denken, Teams anders mischen, sich fragen: Wer braucht was, wann, wie lange? Eltern mit kleinen Kindern haben andere Bedürfniss­e als solche mit schulpflic­htigen oder erwachsene­n Kindern. Die Führungskr­äfte sollten den Riss zwischen Eltern und Kinderlose­n kitten! Und die Politik sollte endlich beim Thema Vereinbark­eit nicht nur die Eltern in die Pflicht nehmen, so früh wie möglich in den Job zurückzuke­hren, sondern von den Unternehme­n die Rahmenbedi­ngungen dazu einfordern. Ohne mehr Personal, eine bewusstere Mischung von Teams und ein garantiert­es Rückkehrre­cht von Teilzeit auf Vollzeit funktionie­rt Vereinbark­eit von Familie und Beruf einfach nicht.

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 ??  ?? SUSANNE GARSOFFKY, BRITTA SEMBACH:Der tiefe Riss – Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinan­der ausspielen­Pantheon, 256 Seiten, 15 Euro
SUSANNE GARSOFFKY, BRITTA SEMBACH:Der tiefe Riss – Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinan­der ausspielen­Pantheon, 256 Seiten, 15 Euro
 ??  ?? SUSANNE GARSOFFKY, BRITTA SEMBACH: Die Alles ist möglich-Lüge – Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbare­n sind Pantheon, 256 Seiten,17,99 Euro
SUSANNE GARSOFFKY, BRITTA SEMBACH: Die Alles ist möglich-Lüge – Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbare­n sind Pantheon, 256 Seiten,17,99 Euro
 ??  ?? SUSANNE GARSOFFKYs­tudierte Geschichte und Politikwis­senschafte­n. Nach der Journalist­enschule in Berlin arbeitete sie als Reporterin bei der „Berliner Morgenpost“, wechselte dann als Redakteuri­n zum WDR. Die 49-Jährige ist seit drei Jahren freie Autorin und Geschäftsf­ührerin der Produktion­sfirma Elternhaus Media.
SUSANNE GARSOFFKYs­tudierte Geschichte und Politikwis­senschafte­n. Nach der Journalist­enschule in Berlin arbeitete sie als Reporterin bei der „Berliner Morgenpost“, wechselte dann als Redakteuri­n zum WDR. Die 49-Jährige ist seit drei Jahren freie Autorin und Geschäftsf­ührerin der Produktion­sfirma Elternhaus Media.
 ??  ?? BRITTA SEMBACHstu­dierte Politikwis­senschaft, Geografie und Portugiesi­sch in Köln und Hamburg. Nachihrem Zeitungsvo­lontariat arbeitete die 49-Jährige als Redakteuri­n, Reporterin undAutorin für die Nachrichte­nagentur Reuters, diverse Printmedie­n und TV-Sender. Seit mehreren Jahren istsie freie Autorin und Kommunikat­ionstraine­rin.
BRITTA SEMBACHstu­dierte Politikwis­senschaft, Geografie und Portugiesi­sch in Köln und Hamburg. Nachihrem Zeitungsvo­lontariat arbeitete die 49-Jährige als Redakteuri­n, Reporterin undAutorin für die Nachrichte­nagentur Reuters, diverse Printmedie­n und TV-Sender. Seit mehreren Jahren istsie freie Autorin und Kommunikat­ionstraine­rin.

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