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Weit draußen auf dem Meer

Anja Kampmann, bisher bekannt durch ihre Gedichte, hat ihren ersten Roman veröffentl­icht. Von einer Ölplattfor­m führt er durch verschiede­ne Länder bis hin in ein polnisches Dorf. Und schenkt seinen Lesern Momente großer Schönheit und Schwermut.

- VON KATHARINA MANZKE

Anja Kampmanns Debütroman

Auf einer winzigen von Menschen geschaffen­en Insel lebt und arbeitet Waclaw, ein nicht mehr junger Mann Anfang 50. Er strapazier­t Körper und Geist über alle Maßen, verdient viel mehr Geld, als er ausgeben kann und während die Zeit vorbeiraus­cht, verliert er jede Verbindung zu seinem früheren Leben. Der Protagonis­t in Anja Kampmanns Debütroman „Wie hoch die Wasser steigen“arbeitet seit mehr als zwölf Jahren auf Ölplattfor­men auf verschiede­nen Weltmeeren. Nur ein Freund teilt seine Einsamkeit. Mátyás lebt mit ihm im selben Zimmer, streichelt hin und wieder seinen Rücken, zieht mit ihm von Ort zu Ort. Und dann verschwind­et dieser Freund, kommt bei einem Sturm ums Leben. Waclaw ist nun wirklich ganz allein auf sich gestellt. Mit diesem Gefühl absoluter Isolation beginnt der Roman. Schwer und mächtig spricht die Einsamkeit zum Leser durch jedes Wort, ohne dass Waclaw sie direkt benennen würde. Statt seine eigene Situation zu reflektier­en, erinnert er sich an Momente mit dem Freund. Er versucht, ihm wieder nahezukomm­en, indem er seinen Heimatort in Ungarn aufsucht, mit seinem Onkel spricht und mit seiner Schwester eine Nacht verbringt. Doch Mátyás schweigt, Mátyás fehlt und irgendwann werden auch die Erinnerung­en weniger präsent und Waclaw geht eine Schicht tiefer. Es wird ihm bewusst, dass dem Verlust des Freundes andere Verluste vorausgega­ngen sind. So wird das Buch langsam zu einer Art Rückkehr in Waclaws Vergangenh­eit, wobei man jedoch nie das Gefühl hat, sich gemeinsam mit ihm zielgerich­tet irgendwo hinzubeweg­en. Es ist vielmehr so, als würde man treiben. Über den Ozean hin zu den unterschie­dlichsten Orten in verschiede­ne Länder, von der Vergangenh­eit in die Gegenwart und wieder zurück. Stationen sind Ungarn, Italien, Marokko, Ägypten und Polen. Waclaws Wege kreuzen Bars, Hotelzimme­r, einsame Strände, Feldwege, Gebirgsdör­fer, Blumenläde­n und Bergbaugeb­iete. Er trifft auf verschiede­ne Menschen, Frauen und Männer, die sein Leben bereits in der Vergangenh­eit gestreift und auch berührt haben. Keinem von ihnen gelingt es, wirklich zu ihm durchzubre­chen. Doch zurück bleiben Momentaufn­ahmen von Begegnunge­n, einprägsam­e Bilder, von der Schöpferin virtuos gemalt. Man merkt der Sprache an, dass die 1983 geborene Anja Kampmann, die am Deutschen Literaturi­nstitut in Leipzig studiert hat, bisher preisgekrö­nte und vielbeacht­ete Gedichte geschrie

ben hat. Wunderschö­n klingen die Worte, wenn man sie laut liest, jedes Kapitel birgt neue kleine Wunder, Beobachtun­gen, über die man staunt und sich freut.

Anja Kampmann selbst bezeichnet ihren Roman als „eine Einladung in diese Welt“. „Die Figuren trinken, lachen, weinen, sie benehmen sich daneben, sie haben nichts als dieses Leben, das sie an die verschiede­nsten Orte geführt hat, mit dem sie nun umgehen müssen.“Die Bilder, mit denen sie arbeitet, seien aus Erfahrunge­n und Beobachtun­gen entstanden, sie selbst stünde als Autorin aber weit hinter dem Text. Sie habe deswegen auf Kommentare und einen ordnenden oder urteilende­n Erzähler verzichtet.

Das ist gut so, denn diese Erzählweis­e macht die Lektüre von „Wie hoch die Wasser steigen“aufregend und unmittelba­r, wie Erlebnisse, die man an fremden Orten hat und noch nicht verarbeite­n konnte. Lesen wird zur Abenteuerr­eise in eine weite, unbekannte Welt, die voller Schönheit ist. Und bisweilen auch zur beschwerli­chen Wanderung. So wie Waclaw seinen riesigen Seesack überall mit sich herumschle­ppt, trägt man als Leser Waclaw mit sich herum. Seine Einsamkeit, seine Unzugängli­chkeit und das, was er im Leben versäumt hat, wiegen schwer. Besonders dann, als er zum Romanende hin, dem, was er vor seiner Zeit auf dem Wasser zurückgela­ssen hat, näherkommt. Für seinen Onkel Alois bringt er eine Taube über die Alpen, das führt ihn zurück zu seinem Heimatdorf im Ruhrgebiet und zu Milena, der Frau, mit der er einmal sein Leben verbringen wollte.

Auch wenn Anja Kampmann mit Waclaw, der an einigen Stellen auch Wenzel, genannt wird, eine Figur geschaffen hat, die, sich selbst fremd geworden, auch den Leser immer auf Distanz hält, birgt er dennoch etwas zutiefst Vertrautes in sich, womit sich viele Leser gut identifizi­eren dürften. Er verkörpert den Typ des unsteten Wanderers, des maßlosen Ausreißers, der immer dem hinterherj­agt, was er in der Ferne sieht und dabei sein Leben versäumt. Waclaw ist so etwas wie ein schwermüti­ger und sanfter Bruder von Odysseus oder Peer Gynt, oder aber ein typisches Opfer unserer modernen Arbeitswel­t. Was nach der Lektüre dieses großartige­n Romans, der zu Recht für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist, übrig bleibt, ist ein Gefühl von Dankbarkei­t, dass man selbst drinnen ist und nicht da draußen auf dem Meer oder auf der Straße oder in einem einsamen Hotelzimme­r. Und dass man gut auf das aufpassen sollte, was man liebt.

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ANJA KAMPMANN: Wie hoch die Wasser steigen Hanser, 352 Seiten, 23 Euro
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3.2018

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