Qualität durch Zeit
Matthias Brandt steht für Hörbuchqualität. Seine ganz eigene Herangehensweise an die Geschichten und Figuren stechen aus der Hörbuchwelt heraus. Nun beglückt er uns erneut mit „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“von Jan Costin Wagner.
Matthias Brandt im Portrait
Die Entscheidung, ob das ein fesselndes Hörbuch ist, nimmt er uns nicht ab. „Das muss ja der Hörer beantworten, das kann ich schlecht selbst behaupten. Ich war jedenfalls beim Lesen wieder sehr angetan von der emotionalen Präzision, mit der Jan arbeitet.“
Jan Costin Wagner, deutscher Schriftsteller mit internationalem Erfolg (seine Bücher werden in 14 Sprachen übersetzt) und bereits ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis, ist mit einer Finnin verheiratet und verbringt mehrere
Monate im Jahr in Finnland. Dort, wo seine Krimi-Reihe um Kommissar Kimmo-Joentaa angesiedelt ist. Doch nordische Klischees werden nicht bedient, genauso wenig, wie Matthias Brandt Klischees bedient. Es gibt natürlich eine Tat, ein Motiv und einen Täter, doch nicht die Spannung steht im Vordergrund, sondern die Emotionen, die Verletzlichkeit der Figuren, die irgendwann so durchsichtig werden, als sei ihre Haut aus Pergament. Gesetze von Raum und Zeit werden außer Kraft gesetzt. Im sechsten Fall von Kommissar Kimmo Joentaa führt die Spur mitten in eine familiäre Katastrophe. Ein offensichtlich verwirrter Mann, der nackt mit einem Messer in einen Brunnen am Marktplatz steigt, wird von einem Polizisten erschossen. Kimmo, inzwischen alleinerziehender Vater, überbringt den Eltern die Nachricht vom Tod ihres Sohnes. Spuren einer Katastrophe werden sichtbar, die viele Leben verändert und eine Kettenreaktion auslöst, die das Leid durch ein Unglück in der Vergangenheit bis in die Jetztzeit fortsetzt. Die Dinge geraten außer Kontrolle und der Melancholiker Kimmo taucht tief in die Träume und Albträume der anderen Figuren ein. Dem Hörer wird einiges abverlangt, da es zeitweise an die Grenze des Erträglichen geht, so sehr leidet man mit den Figuren mit. Kaum auszuhalten die Schärfe, mit der ihre Kon
turen gezeichnet werden. So sieht das auch Brandt. „Das ist eben eine große Qualität von Jan Costin Wagner, wie er in die Figuren hineingeht. Wie ein Schauspieler eigentlich, der sämtliche Rollen eines Stückes selbst spielt.“Matthias Brandt liest so eindringlich, fesselnd und mit einer fast gespenstischen Ruhe, dass die Geschichte noch einmal unheimlicher erscheint. Autor und Sprecher scheinen sich gefunden zu haben. „Ich wollte dem Text und dem Autor gerecht werden und habe versucht, mich dem Text so zu nähern, wie Jan ihn beim Schreiben gehört haben könnte. Er ist ja ein ungeheuer musikalischer Autor. Die Texte sind sehr rhythmisch. Und es sind innere Vorgänge, um die es geht. Deshalb muss es auch eine innerliche Stimme sein, glaube ich.“„Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ist das vierte Buch Costners, das Matthias Brandt einliest und er fühlt sich der Figur „inzwischen sehr nahe“. Der aktuelle Band hat ihn berührt. „Die Geschichte beruht ja, so weit ich weiß, auf einer tatsächlichen Begebenheit. Es gab vor Jahren einen ähnlichen Vorfall in Berlin, im Brunnen auf dem Alexanderplatz. Das war wohl der Impuls zu dieser Geschichte. Die Jan dann literarisch zu seiner gemacht hat. Mir ist die, ehrlich gesagt, ziemlich nahe gegangen.“
MIT TEXTEN VERSCHMELZEN
Matthias Brandt ist wählerisch und konsequent bei der Auswahl der Hörbücher und das ist gut so. „Es ist mir natürlich überhaupt nicht egal, was das für ein Text ist. Ich muss ja ein Verhältnis dazu auf bauen können, wodurch es Sinn ergibt, dass gerade ich das mache. Grundsätzlich finde ich, dass ein Hörbuch desto besser gelungen ist, je weniger Gedanken man sich über den Sprecher macht. Es geht wirklich nur um den Text.“
Und „seine“Texte haben eines gemein: eine literarische Tiefe, sie sind unbequem, ziehen den Hörer hinein in eine Welt, die jenseits des Beliebigen liegt. Niemals lässt sich Brandt verbiegen, immer bleibt er seiner Linie treu: Er lässt sich Zeit, um sich dem Stoff wahrhaftig zu nähern. Eine Eigenschaft, die nicht immer in die heutige Zeit passt. „Ich mache mittlerweile nicht mehr so oft Hörbücher, weil es immer so wahnsinnig schnell gehen soll, die aufzunehmen. Zu schnell für mich. Für mich ist es wichtig, dass ich einen Punkt finde, an dem ich mich mit dem Text verbinden kann, an dem er mir Zugang gewährt. Dann habe ich das Gefühl, als Sprecher etwas beitragen zu können. Manchmal bekomme ich auch Texte angeboten, die oft sogar sehr gut sind, die mir aber verschlossen bleiben. Da sage ich dann natürlich, dass es besser ist, das jemand anderem zu geben.“Vielleicht mag das der Grund sein, warum er nun selbst zur Feder gegriffen hat: „Raumpatrouille“ist Matthias Brandts erstes Buch, was er dankenswerterweise selbst eingelesen hat. Es sind Geschichten, angelehnt an seine eigene Kindheit, die er literarisch auf bereitet hat: aufgewachsen in Bonn als Sohn des damaligen Bundeskanzlers Willi Brandt, beschreibt er das „etwas andere Leben“, umgeben von Personal und Kollegen des Vaters. Unbedingt hörenswert! Es zeigt sich auch hier Brandts herausragende Art bei der Umsetzung: „Ich kann da nicht generell herangehen, nur speziell.“